Irland und das Coronavirus: Inseln haben einen Vorteil
Maßnahme zum Ausbau medizinischer Infrastruktur: Irland hat private Krankenhäuser vorübergehend verstaatlicht.
Irland ist traditionell eine Nation der Hausbesitzer, und weil endlich Frühling ist und keine Touristen im Land sind, nutzen viele die Zwangspause für Schönheitsreparaturen.
Aber ganz so idyllisch ist das Bild nicht. Mehr als 500.000 Menschen, die aufgrund der Coronakrise ihren Job verloren haben, erhalten Arbeitslosenhilfe von 350 Euro pro Woche. Das sind 200.000 mehr als eine Woche zuvor. Darüber hinaus haben fast 40.000 Firmen Unterstützung beantragt: Die Regierung zahlt 70 Prozent der Löhne bis zu 410 Euro wöchentlich, damit die Arbeitgeber niemanden entlassen müssen.
Die Arbeitslosigkeit ist bereits jetzt von 4,8 Prozent vor der Krise auf 18 Prozent gestiegen. Neben der Tourismusindustrie, die von 9 Millionen Besuchern im Jahr lebt, ist das Baugewerbe am stärksten betroffen. Denn gebaut werden darf nur, was direkt mit Corona zu tun hat. Fast 150.000 Menschen arbeiten in diesem Sektor.
Feldbetten in Fabrikhallen zur Isolierung Obdachloser
Die Wirtschaft, so schätzen Experten, werde in diesem Jahr um 8 bis 10 Prozent schrumpfen. Vor der Krise hatte die Regierung mit einem kleinen Haushaltsüberschuss gerechnet. Nun muss sie sich auf ein Defizit von 25 bis 30 Milliarden Euro einstellen. Aber das sind nur Schätzungen, es hängt letztlich vom Verlauf der Krankheit ab.
Irland hat recht früh auf die Pandemie regiert und Schulen, Kindergärten und die meisten Geschäfte geschlossen. Privatkrankenhäuser wurden vorübergehend verstaatlicht. Dadurch hat man 2.000 Betten, 9 Laboratorien und 47 Betten in Intensivstationen gewonnen. Fußballstadien wurden in Testcenter verwandelt, in Fabrikhallen hat man Tausende Feldbetten für Infizierte aufgestellt, die sich nicht zu Hause isolieren können – zum Beispiel Obdachlose.
Aber es fehlt nach wie vor an Test- und Laborkapazitäten, so dass man noch keine klaren Aussagen machen kann. Fest steht lediglich die Zahl der Toten: Am Donnerstag waren es in Irland 235 Tote, in Nordirland 78 Tote.
Ein weiteres Problem ist, dass die Maßnahmen in beiden Teilen Irlands nicht koordiniert sind. Zwar hat man sich am Dienstag darauf geeinigt, „medizinische Materialen gemeinsam zu beschaffen, soweit es für beide Seiten von Vorteil ist“, aber das ist auch schon alles.
Inseln haben eigentlich einen Vorteil
„Inseln hatten in der Geschichte immer einen Vorteil bei der Bekämpfung von Epidemien“, sagt Gabriel Scally, Professor für öffentliche Gesundheit an der Universität Bristol. „Es ist viel einfacher, die Ein- und Ausreise zu kontrollieren, um den Import zu vermeiden. Aber wir vergeuden diesen Vorteil gerade, weil es sehr verschiedene Ansätze gibt, um diese Krankheit zu bekämpfen.“
Im Vereinigten Königreich habe man im Gegensatz zu Irland die Erfahrungen aus China und Südkorea sowie den Rat der Weltgesundheitsorganisation WHO ignoriert. „Der stellvertretende Chef-Mediziner für England erklärte Journalisten vor kurzem, dass die Empfehlungen der WHO nur für Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommen gelten“, sagt Scally.
Die wirklichen Probleme werden später auftreten, glaubt er: Wenn man die Reisebeschränkungen lockere und Schulen sowie Fabriken wieder öffne, ohne dass es in beiden Teilen Irlands einen effektiven Mechanismus zur Erkennung und Behandlung neuer Fälle gebe, müsse man mit einem erneuten massenhaften Ausbruch der Krankheit rechnen.
„Deshalb müssen die Politiker in Nordirland sich von den in London beschlossenen Maßnahmen abkoppeln und eine gemeinsame Strategie mit den Politikern in Dublin entwickeln“, sagt Scally.
Doch zunächst ist das Osterwochenende entscheidend: Normalerweise fahren die Menschen von der Ostküste, vor allem aus Dublin, wo es bisher die meisten Coronafälle gibt, über Ostern an die Westküste. Das könnte der „Cheltenham moment“ für Irland werden. Das Vereinigte Königreich hatte ja das berühmte Cheltenham-Pferderennen im März idiotischerweise stattfinden lassen, wodurch die Zahl der infizierten in die Höhe schoss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“