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Irans Reformer MontazeriDer renitente Ajatollah

Der iranische Ajatollah Montazeri versucht mit seinen Fatwas, den Islam mit den Erfordernissen einer modernen Gesellschaft in Einklang zu bringen.

Irans fortschrittlichster Ajatollah: Hossein Ali Montazeri. Bild: dpa

BERLIN taz | Die Lage im Iran sähe heute vielleicht anders aus, wäre nicht Ali Chamenei, sondern Hossein Ali Montazeri Oberster Führer der Islamischen Republik. Der 87-jährige Ajatollah, der ursprünglich zum Nachfolger von Ruollah Chomeini auserkoren war, sagte nach den umstrittenen Parlamentswahlen, wer die Ergebnisse akzeptiere, könne nicht ganz richtig im Kopf sein. Und am Wochenende legte er mit einer Fatwa nach, die sich letztlich gegen Chamenei selbst richtet und das Volk zum Widerstand gegen das Versagen der Führung aufruft.

Montazeri war zunächst ein Weggefährte von Chomeini. Er studierte bei ihm in Ghom und schloss sich den Protesten gegen das Schahregime an, was ihm vier Jahre Gefängnis einbrachte. Nach der Revolution spielte er eine wichtige Rolle bei der Ausarbeitung der neuen Verfassung, die das Prinzip der Herrschaft der Rechtsgelehrten vorsah, das sich in der Institution des Obersten Führers manifestiert. Ende 1985 wurde er zum Nachfolger Chomeinis bestimmt. Nach Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Ayatollahs kam es 1989 zum Bruch. Anlass waren die Massenhinrichtungen im Jahr zuvor. Montazeri schrieb damals einem Brief an Chomeini, in dem er warnte, das Verhalten des Geheimdienstministeriums sei schlimmer als das des Geheimdienstes des Schahregimes. Er forderte eine Politik der Öffnung und lehnte den Mordaufruf Chomeinis gegen den Autor Salman Rushdie ab.

Als Montazeri 1997 die Herrschaft des Obersten Führers kritisierte, weil sie niemandem sonst rechenschaftspflichtig sei, griffen radikale Schlägertruppen sein Haus an. Er wurde nicht verletzt, aber unter Hausarrest gestellt. Schon zuvor waren seine Leibwächter abgezogen und seine Porträts in Büros und Moscheen abgehängt worden.

Dennoch verstummte der gesundheitlich angeschlagene Ajatollah nicht. Heute bedauert Montazeri, dass er damals bereit war, die Nachfolge Chomeinis anzutreten. In einem Gespräch mit dem britischen Rundfunksender BBC sagte er kürzlich, die Menschenrechtsverletzungen unter der islamischen Regierung hätten ihn nach und nach desillusioniert. Montazeri gilt als führender Reformer, der mit seinen Fatwas versucht, den Islam mit den Erfordernissen einer modernen Gesellschaft in Einklang zu bringen.

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3 Kommentare

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  • S
    schnipp-schnapp

    Beate Seel kann für sich in Anspruch nehmen, sich in der Materie auszukennen.

     

    Die Schlagseite der taz hinsichtlich der Berichterstattung zur muslimisch/arabischen Welt muss also andere Gründe haben.

  • M
    Michael

    @Reinhard Gottorf:

     

    Nun, ersteinmal vielen Dank fuer diese Zusammenfassung aus dem taz Archiv.

     

    Trotz aller Kritik (und Polemik): mit ist eine taz, die -vielleicht auch einmal - ueber unwesentliche Aspekte im Irn berichtet tausendmal lieber als unsere neuen Wellness Formate a la Spiegel, die ein Thema mal kurz aufgreifen, Redakteure wie einen Herr Mohr noch kurz daruber schwadronieren lassen, wie wenig die "linke" Berichterstattung sich kritisch zu dem Geschehen im Iran aeussern wuerde, um dann das Thema vollkommen zu streichen fuer tagespoitisch "Interessanteres" ( in diesem Falle der Tod Jackos).

     

    Bedaure, aber mich interessiert, auch was solch ein leider im GEsicht mit weniger Haaren ausgestatteter (was fuer ein daemliches Thema!) Montazeri zu sagen hat!

    ;P

  • RG
    Reinhard Gottorf

    Es ist zum aus der Haut fahren. Nicht nur, dass bisher Herr Nirumand uns mit seiner Sicht der Ereignisse im Iran beglückte, nein, nun auch noch die Ressortleiterin Ausland. „Die Lage im Iran sähe heute vielleicht anders aus, wäre nicht Ali Chamenei, sondern Hossein Ali Montazeri oberster Führer der Islamischen Republik.“ Ja, und die Lage in Deutschland sähe heute vielleicht anders aus, wenn die Alliierten den 2. Weltkrieg nicht gewonnen hätten. Was soll eine solche „wenn, wäre und hätte“ Formulierung in einer ernsthaften Betrachtung der politischen Ereignisse in einem Land wie dem Iran? Ist die taz eine „wünsch dir was“ Postille oder eine linke Zeitung, die intelligent, unterhaltsam und respektlos sein will?

    Montazeri ist nicht oberster Führer der Islamischen Republik Iran, das ist Fakt. Wollen Sie ihn nun zu einem Weisen aus dem Morgenland machen? Weil er eine Fatwa gegen Chamenei herausgegeben hat? Vor der die derzeitigen Machthaber im Iran vor Angst schlottern werden, weil ja, wie der taz-Autor Bahman Nirumand gestern schrieb, seine religiösen Anweisungen von Millionen Gläubigen befolgt werden? So wie die aufsehenerregende Fatwa vom Beginn dieses Jahres, in der Montazeri verlangte, dass den Bahai, einer im Iran massiv verfolgten Religionsgemeinschaft, als iranischen Staatsbürgern endlich alle Bürgerrechte gewährt werden müssen. Die Machthaber haben dann, weil Montazeri unter den Großayatollahs und in religiösen Kreisen eine hohe Autorität besitzt (B. Nirumand gestern), den Bahai sofort und umgehend den Status einer schutzbefohlene religiöse Minderheit gegeben. Der gegen sieben Bahai begonnene Prozess vor einem Revolutionsgericht in Teheran wegen "Spionage für Israel, Beleidigung religiöser Gefühle und Verbreitung von Verderbtheit auf Erden", was mit der Todesstrafe geahndet werden kann, ist dann ja nur ein bedauerlicher Irrtum und auf Mängel in der Kommunikation zurückzuführen. Wer würde es sonst wagen, sich einer Fatwa dieses so einflussreichen und mächtigen Ayatollah zu widersetzen.

    Dieser Ayatollah Montazeri, auch einst der „Kronprinz im Exil” genannt, war zu Beginn der Islamischen Republik Iran durchaus ein mächtiger Mann und damit Hauptzielscheibe der Witze, die über die Führungsfiguren des Staatsapparates gemacht wurden. Die meisten Witze bezogen sich auf seine Dummheit: „Als der Kronprinz einmal die Ölfelder im Süden besuchte, sagte er: „Seht, der Schah! Er hat nie an die Menschen gedacht. Er hat so viele Ölquellen gebohrt, aber keine einzige Benzinquelle!” Ach, Frau Seel und Sie schreiben: „Nach Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Ayatollahs (Khomeini und Montazeri RG) kam es 1989 zum Bruch. Anlass waren die Massenhinrichtungen im Jahr zuvor.“ Der Brief vom Februar 1989, um den es dann im weiteren Text geht, beinhaltet auch die Kritik an dem brutalen und mörderischen Vorgehen der Geheimdienste und anderer Gruppierungen im iranischen Machtapparat. Aber die zentralen Kritikpunkte, und die waren entscheidend für die Rücktrittsforderung Khomeinis zwei Tage vor der dann erfolgten Rücktrittserklärung Montazeris, waren die Montazeris Ansicht nach verfehlte Kriegspolitik, sprich dem Waffenstillstand mit dem Irak, das Abweichen von den ursprünglichen Zielen der Revolution und die betriebene Öffnung hin zu den westlichen Staaten. Er forderte mit diesem Brief indirekt Khomeini zum vorzeitigen Rücktritt auf.

    Das, liebe Frau Seel wissen Sie alles. Warum schreiben Sie es dann nicht? Warum machen Sie aus diesem Saulus einen Paulus? Nur weil er älter und damit, wie der Volksmund sagt, weiser geworden sein soll? Haben Sie den Montazeri vergessen, der einst oberster Aufseher über die radikal–fundamentalistische „Welt–Befreiungs–Bewegungs–Organisation” (WBBO) oder auch „Organisation für die Unterstützung islamischer Befreiungsbewegungen” war, die sich zum Ziel setzte, die islamische Revolution in alle Welt zu exportieren. Die dann, weil sie einem Mann, über den man im Iran ob seines spärlichen Bartwuchses Witze macht, in die Quere kam, rücksichtslos beseitigt wurde. Montazeri war verantwortlich für eine Organisation, von der, nach der gewaltsamen Zerschlagung, ein anderer, heute als Messias der Demokratie im Iran Gefeierter, seinerzeit im iranischen Fernsehen stolz von der Zerschlagung eines Komplotts gegen die islamische Revolution sprach. Die Männer um Montazeri aus dieser Organisation wurden verhaftet und eingekerkert. Darunter die beiden Brüder Hadi und Mehdi Haschemi. Der erste war der Schwiegersohn des Ayatollah und Leiter seines Büros. Der zweite war der Exekutivchef der Organisation. Der wurde dann, weil er die Machenschaften des Mannes mit dem spärlichen Bartwuchs der Öffentlichkeit verriet, im September 1987 hingerichtet. Der mächtige, unter den Großayatollahs und in religiösen Kreisen eine hohe Autorität besitzende Ayatollah Montazeri konnte oder wollte es nicht verhindern. Diese Machenschaften sind übrigens als Iran-Contra-Affäre in die Geschichte eingegangen. Der Mann mit dem spärlichen Bartwuchs ist, wenn man den Artikeln des Herrn Nirumand glauben darf, ein weiterer Hoffnungsträger der von ihm immer so gerne erwähnten „Zivilgesellschaft“. Sein Name Ali Akbar Haschemi Rafsandschani.

    Dieser Rafsandschani war es, der Schritt für Schritt die Figur Montazeri im Machtgefüge der Islamischen Republik Iran aus dem Feld drängte. Er war es, der dafür sorgte, dass bereits im September 1986 der einflussreiche Sohn des Revolutionsführers Ahmad Khomeini die Position Montazeris als Nachfolger des greisen Revolutionsführers infrage stellte. „Mein Vater”, sagte er vor einer Schar von Mullahs, „ist mit der Wahl Ayatollah Montazeri nicht sehr glücklich. Er bevorzugt eigentlich die in der Verfassung als Alternative vorgesehene kollektive Führung.“ Was dann ja auch kam. Rafsandschani war es auch, der, nachdem Khomeini ihn zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte ernannt hatte, Montazeri beim Revolutionsführer weiter in Misskredit brachte. Montazeri hatte vorgeschlagen, Rafsandschani solle sich ausschließlich auf seine neue Aufgabe als Oberkommandierender konzentrieren und das Amt des Parlamentspräsidenten aufgeben. Als Montazeri dann noch die Verschmelzung von Armee und Revolutionswächtern forderte, nannte Staatspräsident Khomeini diesen Vorschlag bereits Stunden später „giftige Propaganda”. Das war bereits im Juni 1988. Und übrigens, Rafsandschani wurde als Parlamentspräsident wiedergewählt.

    Der Überfall auf Montazeri im Jahr 1997 erfolgte in dem Jahr, in dem ein gewisser Mohammed Chatami für viele ganz überraschend zum Präsidenten gewählt wurde. Er zählt ja zu den Guten und folgte auf Rafsandschani, ebenfalls einer der Guten. Von Ahmadinedschad noch keine Spur. Also kann der selbst unterschwellig, mit dem Hinweis „radikale Schlägertruppen“, nicht in die Pflicht genommen werden. Wer war das dann wohl, der diesen ewigen Streiter für Recht und Gerechtigkeit zum Schweigen bringen wollte?

    Und der gute Montazeri heute? Der ist das, was er immer war, ein Idiot. Früher ein gefährlicher und heute ein nützlicher. Ein nützlicher Idiot des Mannes, der ihn einst am liebsten beseitigt hätte. Er trat rechtzeitig zurück, um sein Leben zu retten und zu verhindern, dass er das Schicksal anderer in Ungnade gefallener teilen muss. „Ich beschäftige mich in Qom mit theologischen Fragen, und ich bin nicht in politische Entscheidungsprozesse und weltliche Fragen verwickelt”, erklärte Montazeri im März 1989 in seiner letzten Botschaft, um jedwede Zweifel an seinen Absichten zu zerstreuen. Er hätte sich dran halten sollen. Denn heute kocht er das Süppchen für den, der ihn einst zum Teufel wünschte und ihn auch beinah dahin befördert hätte.

    Woher ich das alles weis, fragen sie. Na aus der taz. Alle o. a. angeführten Behauptungen und Aussagen können sie in der taz nachlesen. Nur im Printarchiv den Namen „Montazeri“ eingeben und schon können sie alles nachlesen. Das hätte ich auch von der Verfasserin des Artikels mit der Überschrift „Der renitente Ayatollah“ erwartet. Denn auch ihre früheren Artikel zu diesem Thema sind in meiner Sammlung dabei. Aber wie heißt es so schön: Was stört mich mein Geschwätz resp. mein Geschreibsel von gestern.