Iranische Geflüchtete in Armenien: Im Tal der Ungewissheit
Wegen der unsicheren Situation in ihrer Heimat harren viele Iraner:innen im benachbarten Armenien aus. Dort herrscht Angst vor einer Eskalation des Konflikts.

Auch Armin mag den Nachrichten nicht trauen. Sie erreichen ihn kurz nach seiner Landung am Flughafen in der armenischen Hauptstadt Jerewan, wo er in der Nacht in ein Taxi in Richtung der iranischen Grenze steigt. Sieben Stunden, das letzte Stück bergauf, bergab. Bis zum Aras-Fluss, der sich im tiefsten Süden Armeniens durch sein Tal unter spitz-braunen Bergen schlängelt und die Kaukasusrepublik vom Iran trennt. Armin lebt heute in Schweden, rund acht Jahre sei er schon nicht mehr in seinem Geburtsland Iran gewesen. Weil er, der keinen Wehrdienst geleistet hat, dort sonst Stress mit den Behörden bekommen würde. Nun trennen Armin nur wenige Meter von Iran. Und wenige Minuten vom Wiedersehen mit seiner Mutter.
Hunderte, vermutlich Tausende Menschen aus Iran sind während der vergangenen zwei Kriegswochen über die Grenze ins Dorf Agarak nach Armenien geflüchtet. Darunter auch viele Doppelstaatler:innen, Arbeitsmigrant:innen und ausländische Tourist:innen. Am Dienstag kommen dort noch immer viele Menschen an, vollbepackt mit Tüten und Rucksäcken, auch zwei kleine Hunde und eine Katze sind dabei. Polizeistreifen fordern herbeigeeilte Taxifahrer per Lautsprecher dazu auf, die Straße nicht zu blockieren. Personal der kanadischen und deutschen Botschaft steht mit roten Warnwesten zur Unterstützung bereit. Unter ihnen allen herrscht Ungewissheit: Kommt die Feuerpause wirklich? Und wenn ja, wird sie halten?
Ist es sicher?
Ein junges Paar aus Teheran, das mit seiner kleinen Tochter bereits seit 20 Stunden unterwegs ist, lädt seine Taschen in den Kofferraum eines Minivans. „Hätten wir nur vorher vom Waffenstillstand erfahren“, zischt die Mutter: „Wir wären im Iran geblieben.“ Eine Gruppe chinesischer Studierender will bereits umkehren. „Jetzt ist es doch wieder sicher“, sagen sie. Zwei armenische Taxifahrer drehen derweil das Radio lauter, der Nachrichtensprecher berichtet von Verstößen der Waffenruhe und Beschuss.
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Die meisten Angekommenen wollen trotzdem weiter ins Landesinnere – Trump hin oder her. Zum Abwarten. Und zum Ausruhen. Einige kaufen nach Tagen ohne stabiles Handy-Netz und Internetzugang schnell noch eine armenische SIM-Karte am Kiosk, bevor sie in einen der Wagen steigen.
Eigentlich sind es um diese Jahreszeit iranische Tourist:innen, die die Grenze passieren, oder Armenier:innen, die das Nachbarland besuchen wollen – visumfrei. Das christliche Armenien und die Islamische Republik sind Verbündete und enge Handelspartner. So schieben sich immer mehr Lastwagen mit gelben iranischen Kennzeichen die armenischen Serpentinen hinauf, je näher man der Grenze kommt. Verkaufsbuden entlang des Weges bieten selbstgebrauten Pflaumenschnaps und Wodka auf Farsi an. Und in den Hotels und Gästehäusern der Region werden zum Frühstück neben Rührei, Feigen und Aprikosenmarmelade russischer Joghurt und iranischer Tee serviert.
Über die Geflüchteten aus Iran äußern sich die armenischen Bewohner:innen im Grenzgebiet gegenüber der taz durchweg positiv. Man stehe sich in Krisenzeiten eben zur Seite. Trotzdem nutzen einige Menschen die Not der anderen aus. 300 US-Dollar kassieren Taxifahrer von der Grenze bis nach Jerewan, etwa dreimal so viel wie gewöhnlich. Davon berichteten der taz in den vergangenen Tagen mehrere Menschen, die sich bis in die Hauptstadt durchgeschlagen hatten, um von dort ins weiter entfernte Ausland zu reisen.
So wie Farzaneh, eine Rentnerin, die seit ihrem zwanzigsten Lebensjahr in den USA lebt und nur für einen Besuch nach Iran zurückgekehrt war. Wie alle Menschen in diesem Text möchte sie aus Sorge vor Konsequenzen für sich und ihre Angehörigen in Iran lieber anonym bleiben. „Um ehrlich zu sein, habe ich mich über den Angriff auf Iran gefreut“, sagt sie der taz in der Wartehalle des Flughafens. Das verhasste Regime müsse geschwächt und am besten so schnell wie möglich zu Fall gebracht werden. Die hohen Preise, unter denen die Menschen leiden, die Unfreiheit, vor allem für Frauen – damit müsse endlich Schluss sein.
Hussein, Geflüchteter aus Iran
Zwei Sitzreihen weiter warten derweil Hussein und Maryam aus Teheran auf ihren Flug nach Griechenland, wo eines ihrer Kinder lebt. Ja, als Geschäftsmann wünsche sich Hussein ein Ende der Sanktionen und ein freies Land. „Aber doch nicht durch Bomben“, sagt er. „Niemand hat während der Busfahrt nach Armenien auch nur ein Wort gesagt“, erinnert sich seine Frau unter Tränen. Alle seien zu bestürzt und sorgenvoll gewesen, wie es nun weitergehen soll. Was sie sich für die Zukunft Irans wünsche, sei eigentlich ganz einfach: „Wir wollen keine Geburtstage und Feiertage mehr über Whatsapp mit unseren Lieben feiern, weil junge Menschen das Land verlassen und keine Zukunft für sich in Iran sehen.“ Ob und wann sie wieder nach Iran zurückkehren wollen, wissen sie noch nicht.
Angst vor Aserbaidschans Reaktion
Die nun verkündete Waffenruhe sorgt auch unter Armenier:innen für ein wenig Entspannung. Nicht nur die Angst vor den Folgen möglicher atomarer Strahlung war hier in den vergangenen Tagen groß. Sondern auch die Sorge, dass Armeniens östlicher Nachbarstaat Aserbaidschan den Krieg seines Verbündeten Israel in der Region ausnutzt und den Süden Armeniens angreifen oder gar besetzen könnte.
Obwohl die beiden Ex-Sowjetrepubliken im März bekanntgaben, sich nach über 30 Jahren des bewaffneten Konflikts auf den Text eines Friedensabkommens geeinigt zu haben, lässt die Unterzeichnung und Umsetzung auf sich warten. Außerdem erhebt Aserbaidschan seit einigen Jahren Anspruch auf einen Korridor durch den Süden Armeniens, der Baku mit seiner Exklave Nachitschewan und damit direkt mit der Türkei verbinden soll. Wie genau dieser sogenannte Sangesur-Korridor aussehen und wer ihn kontrollieren soll, darüber herrscht viel Unklarheit. Fest steht aber, dass ein solches Vorhaben die wichtige Handelsverbindung zwischen Armenien und Iran beeinflussen würde. Auch das ist einer der vielen ungelösten Konflikte in der Nachbarschaft, der jederzeit erneut eskalieren könnte.
Noch aber rollen armenische und iranische LKW über die Grenze, vorbei an den eintreffenden Menschen aus Iran, die den Übergang zu Fuß passieren. Als sich die taz von Armin verabschiedet, ist er gerade am Telefon mit seiner Mutter. Sie hat es bis zum letzten Kontrollpunkt auf der iranischen Seite geschafft. Nur noch ein kleines Stück, dann könne er sie nach all dem Kummer der vergangenen Wochen endlich in seine Arme schließen.
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