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Iran-Israel-KonfliktVergessene Zivilbevölkerung

Gastkommentar von Avin Khodakarim

Die Debatte zum Krieg zwischen Israel und dem Iran dreht sich komplett um die Machthaber. Die Solidarität mit iranischen Dissidenten geht dabei unter.

Brandschäden in einer Wohnung in Teheran nach einem israelischen Raketenangriff: Die Angst vor der nächsten Eskalation bleibt Foto: Majid Asgaripour/Wana News Agency/reuters

I n dem jüngsten Krieg zwischen Israel und dem Iran sind gut eintausend Menschen getötet worden. Dessen völlig ungeachtet dominieren in der deutschen Debatte Projektionen und Beifall für den Angriff. Die Betroffenen werden ignoriert. Zwar hatte US-Präsident Donald Trump einen Waffenstillstand verkündet, dennoch gibt es keinerlei Garantien dafür, dass der Konflikt nicht erneut eskaliert.

Während im Iran Menschen ihr Leben riskieren, um gegen das Regime zu kämpfen, sprach Bundeskanzler Friedrich Merz von „Drecksarbeit“, die Israel „für uns alle“ erledige. Wer aber den mutigen Widerstand im Iran verschweigt und lieber einen völkerrechtswidrigen Angriff lobt, verrät nicht nur die Betroffenen, sondern auch jede humanitäre Verantwortung, und er zeigt, wie wenig Haltung er selbst hat.

In Teheran herrschte derweil Chaos: keine Bunker, keine Warnsirenen, kein Schutz. Menschen flohen, ohne zu wissen, wohin. Endlose Staus und Schlangen vor Tankstellen. Iran war eine Sackgasse. In deutschen Talkshows war dabei fast nur vom „Mullah-Regime“ die Rede, als gäbe es die iranische Bevölkerung nicht. Der Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen, Philipp Peyman Engel, behauptete gar im ZDF, es gebe „keine zivilen Opfer im Iran“.

Im deutschen Diskurs geht es nicht um die Menschen im Iran oder in Israel, noch nicht einmal um vermeintlich „westliche“ Werte. Sonst hätte man die Frau-Leben-Freiheit-Bewegung unterstützt. Stattdessen wird der Krieg zur Projektionsfläche deutscher Narrative: Springer-Vorstandsvorsitzender Mathias Döpfner machte aus dem Krieg zwischen Israel und der Islamischen Republik einen „Zivilisationskrieg“ und setzte somit das islamistische Terrorregime mit jenen gleich, die es bekämpfen.

Avin Khodakarim

ist Studentin aus München und arbeitet als freie Journalistin, unter anderem zu Anti-Rassismus, sozialen Fragen und der Revolution im Iran. Sie ist Vorstandssprecherin der Iranischen Gemeinde in Deutschland.

Unkritische Parteinahme

Für manche scheint der Unterschied zwischen Regime und Bevölkerung so abwegig, man könnte meinen, sie schließen von ihrer eigenen Geschichte auf andere. Denn das deutsche Unverständnis ist Ausdruck moralischer Überheblichkeit und historischer Amnesie: Der Westen hat nichts gelernt. Nicht aus Afghanistan, nicht aus dem Irak, nicht aus der eigenen Geschichte.

Jan van Aken, Chef der Linkspartei, kritisierte die Intervention, schwieg jedoch zu Irans Vernichtungsfantasien. Seine Parteikollegin Janine Wissler hat indes scheinbar kein Problem damit, an Demos teilzunehmen, auf denen Fahnen des iranischen Terror-Regimes geschwenkt werden. Andere verstecken sich hinter einer Staatsräson, die richtig ist, aber instrumentalisiert wird, um unkritische Parteinahme zu rechtfertigen.

Erst kürzlich hörte man zaghafte Kritik von Merz zum Umgang der israelischen Armee mit den Menschen in Gaza. Doch als der israelische Verteidigungsminister voraussagte, „Teheran wird brennen“, dankte Merz abermals einer Regierung, die von Rechtsextremen mitgetragen wird und Kriegsverbrechen begeht. Kein Wort zu Völkerrechtsbrüchen bei Verbündeten.

Diese Debatten sollen Deutschland in seinem positiven Selbstverständnis bestätigen, haben aber nichts mit der Realität im Iran und in Israel zu tun. Anstatt die Betroffenen in den Fokus zu rücken, wurde der Krieg zwischen Israel und der Islamischen Republik für viele zur Bühne identitätspolitischer Kämpfe.

Besonders schmerzhaft zeigte sich dieses Hijacking im Hinblick auf die Frau-Leben-Freiheit-Bewegung: Merz fordert das „Ende der iranischen Regierung“, doch was hat er für iranische Dis­si­den­t:in­nen getan, die genau dafür kämpfen? Schutzsuchende erhalten kaum Asyl, Visa werden im Schneckentempo erteilt, wenn überhaupt. Abschiebungen laufen, während im Iran gefoltert und hingerichtet wird, auch unter dem Vorwurf der Spionage für Israel.

Angst vor der nächsten Eskalation

Oppositionelle fordern vergeblich, die iranischen Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste zu setzen. Dieselben Menschen, die damals für ihren Widerstand gelobt wurden, werden vom Regime weiterhin drangsaliert und vom vermeintlichen Befreier bombardiert. Und Deutschland applaudiert von der Tribüne aus. Wie evakuiert man eine Stadt mit zehn Millionen Menschen? Wie verlässt man ohne Visum ein Land, wenn die Grenzen dicht sind?

Die Diaspora kann nicht sicher einreisen, ihre Familien nicht ausreisen, finanzielle Unterstützung für die Menschen im Iran wird blockiert, während Deutschland der wichtigste Handelspartner Irans in Europa ist. Das wäre konkrete Solidarität, über die diskutiert werden sollte – doch stattdessen verliert man sich in symbolischer Rhetorik.

Nahost-Debatten

Der Israel-Palästina-Konflikt wird vor allem in linken Kreisen kontrovers diskutiert. Auch in der taz existieren dazu teils grundverschiedene Positionen. In diesem Schwerpunkt finden Sie alle Kommentare und Debattenbeiträge zum Thema „Nahost“.

Der iranische Rapper und Aktivist Toomaj Salehi, der zwischenzeitlich wieder inhaftiert war, stellte richtig: „Die Menschen im Iran sind keine Kriegspartei, sondern Geiseln. Wer sie tötet, sollte wenigstens die Ehrlichkeit besitzen, es zuzugeben.“ Solche Stimmen finden hierzulande kaum Gehör. Die Zivilbevölkerung wird zur Randnotiz, während der Krieg Bühne moralischer Selbstinszenierung ist. Natürlich ist die Islamische Republik die größte Bedrohung für Israel und natürlich muss dieses Regime weg.

Doch es dürfen nicht jene geopfert werden, die am mutigsten dagegen kämpfen. Wer glaubt, dieser Krieg sei vorbei, irrt: Die Angst vor der nächsten Eskalation bleibt, ebenso wie der Widerstand im Iran und die Repression des Regimes. Debatten hierzulande zeigen, wie schnell Krieg bejubelt und wie Verantwortung ausgeblendet wird.

Es braucht einen Bruch mit Angriffskriegen und einer Sprache, die entmenschlicht, während Menschen sterben. Dafür müssen wir den Terror der Islamischen Republik und Israels Völkerrechtsbruch benennen. Realität ist kein Entweder-oder. Die Vision sollte sein: Weg von Projektionen, hin zu den Menschen – in Tel Aviv, Gaza, Teheran, überall. Oder, wie der persische Dichter Saadi sagte: „Dir, der dich Not und Pein der anderen nicht berührt, geziemt es nicht, dass dir der Name Mensch gebührt.“

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