Irak: Regierung vor dem Zerfall
Schiitenprediger al-Sadr zieht sich aus der Regierung zurück, weil kein Termin für den US-Rückzug festgelegt wurde. Wichtige Gesetzesinitiativen sind blockiert.
Die irakische Regierungskrise weitet sich aus. Die größte schiitische Partei, der Block des radikalen Schiitenpredigers Muktada al-Sadr, hat nun die Regierungskoalition im Parlament verlassen. Damit verliert der irakische Premier Nuri al-Maliki 30 Stimmen in seinem parlamentarischen Regierungsbündnis und kann nur noch auf die Unterstützung der Hälfte der Volkskammer rechnen.
Die Sadr-Anhänger sind besonders darüber enttäuscht, dass die irakische Regierung von den USA keinen Zeitplan für den Rückzug der amerikanischen Truppen einklagt. Der Prediger versucht mit diesem Schritt offensichtlich auch seine zunehmend auseinanderfallende schiitische Miliz, die Mahdi-Armee, wieder unter Kontrolle zu bekommen. Sadr gilt als einer der Königsmacher im Irak, da Premier al-Maliki sein Amt der Unterstützung der Sadristen verdankt.
Mit dem Wegbröckeln seines parlamentarischen Blocks wird es für al-Maliki noch schwerer werden, längst überfällige Gesetzesinitiativen wie etwa ein neues Gesetz zur Verteilung des Ölreichtums durchzusetzen. Vor fünf Monaten hatte Sadr bereits seine sechs Minister aus dem Kabinett abgezogen, im August waren die sechs Minister des größten sunnitischen Blocks zurückgetreten. Al-Malikis ursprünglich 40-köpfiges Kabinett ist derzeit nur mit 23 Ministern besetzt.
Unterdessen geraten auch andere US-Verbündete im Irak zunehmend unter Druck. Noch letzte Woche war der "Rat zur Rettung Anbars", ein Bündnis lokaler Stammesführer in der Provinz Anbar, die sich zusammengeschlossen haben, um al-Qaida zu bekämpfen, in Washington als Erfolgsstory gefeiert worden. Seitdem wurde einer ihrer Führer, Abdul Sattar Abu Rischa, der sich noch eine Woche zuvor mit US-Präsident George Bush getroffen hatte, ermordet. Einer der mutmaßlichen Täter, ein Al-Qaida-Kämpfer, wurde nach Angaben der US-Militärs am Sonntag im Norden Bagdads festgenommen.
Al-Qaida verkündet nun im Internet, "Sondersicherheitskomitees" geschaffen zu haben, "um sich der anderen Verräter unter den Stämmen anzunehmen, die sich den Soldaten des Kreuzzuges unterworfen haben". Derweil sprechen US-Kommandeure davon, das Anbar-Modell der Zusammenarbeit mit einzelnen Stammesführern auch auf andere Provinzen auszuweiten, diesmal auf die schiitische Provinz Wasit nahe der iranischen Grenze. Offensichtlich laufen derzeit Gespräche mit einzelnen Stammesführern, die sich bereit erklärt haben, lokale Stammesbrigaden zu schaffen, die von den Amerikanern ausgebildet werden. Sie sollen dann, so die Idee, die iranische Grenze überwachen und den Einfluss schiitischer Milizen eindämmen.
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