„Investorenschreck“ wird Buchautor: Rebellion als Pflicht
Florian Schmidt, grüner Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, hat ein Buch geschrieben. Es ist eine Anleitung für den Kampf um lebenswerte Städte.
Wenn Politiker*innen Bücher schreiben, darf man gerne fragen: Warum machen sie das? Wollen sie Kanzlerin werden, ein bisschen was fürs Ego tun oder einfach kostenlose Fotowerbung für sich in Buchhandlungen? Bei Florian Schmidt, inzwischen bundesweit bekannter Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, darf man hingegen getrost weniger eigennützige Beweggründe annehmen, die zum Entstehen seines Buchs „Wir holen uns die Stadt zurück“ beigetragen haben.
Denn zum einen erschien das Buch just einen Monat nach den Wahlen in Berlin und im Bund; zum anderen ist des Grünen Position als bezirklich finanzierter „Investorenschreck“ – wie die bürgerliche Presse ihn nennt – nicht ernsthaft gefährdet, laut allem, was man so hört, bleibt Schmidt Baustadtrat.
Bei Schmidts Buch mit dem Untertitel „Wie wir uns gegen Mietenwahnsinn und Bodenspekulation wehren können“ stellt sich eher die Frage: Wer ist die Zielgruppe? Denn der 46-Jährige verwebt darin soziologische Forschung und Theorien, persönliche Erfahrungen, kleine Porträts, eine Prise Eigenlob und praktische Tipps für den Einsatz gegen Gentrifizierung auf gut 290 Seiten. Das liest sich nicht mal eben so locker weg; die Ausbildung zum Häuserkämpfer des 21. Jahrhunderts ist aber auch kein Pappenstiel. Schließlich ist der Gegner kein Geringerer als der entfesselte globale Kapitalismus.
Der hat bekanntlich seit der weltweiten Finanzkrise 2008 die Städte ins Visier genommen, um ordentlich Kasse zu machen, und investiert in Betongold: Große Immobilienkonzern und Fonds kaufen en gros Häuser, teils ganze Straßenzüge vor allem in innerstädtischer Lage auf, um sie kurze Zeit später auf Hochglanz saniert und zu Eigentumswohnungen zerlegt wieder zu veräußern. Den Gewinn, den die Firmen dabei einstreichen, finanzieren letztlich die Mieter*innen. Deren Verdrängung verändert die Kieze, was wiederum die Politik auf den Plan ruft – die allerdings weniger wirkmächtig ist als erhofft.
Schmidt setzt deswegen als treibende Kraft gegen die Verödung der Innenstädte auf „rebellische stadtpolitische Bewegungen, radikale, aber pragmatische Politiker*innen und gemeinwohlorientierte immobilienwirtschaftliche Organisationen“.
Erstere tragen laut dem Baustadtrat das „Gen der urbanen Lebensqualität in sich, menschliches Engagement in Kombination mit sozialer Vielfalt“ und bilden damit die Keimzelle für eine neue, gemeinwohlorientierte Stadtpolitik und den neuen Munizipalismus, in Spanien entschieden vorangetrieben von der Aktivistin Ada Colau, heute Bürgermeisterin von Barcelona. Sie ist, das scheint durch, in vielerlei Hinsicht Schmidts Vorbild.
Der Autor nimmt die Leser*innen mit auf eine umfassende Analyse der Lage in Städten, nicht nur, aber insbesondere in Berlin. Er beschreibt Initiativen und deren Taktik, sich die Stadt zurück zu holen („Rebellion ist Pflicht“), indem sie gegen Investoren kämpfen oder Autos aus dem Kiez drängen, und präzisiert die Rolle der Politik. Am Ende stehen Visionen zum „guten Leben in der Stadt“ und zwölf Beispiele für besseres Wohnen. Wer wissen will, wie Friedrichshain-Kreuzberg in 20 Jahren aussehen könnte: Hier steht es.
Nur macht es Schmidt den Leser*innen nicht gerade einfach, dort anzukommen, was vor allem an der oft wissenschaftlich-sperrigen Sprache oder den schrägen Sprachbildern liegt. „Die Städte in Deutschland stehen mit dem Rücken zur Wand“, heißt es etwa gleich zu Beginn. Das ist in Berlin seit dem Ende der Mauer 1989 nicht mehr der Fall, und auch bundesweit dürfte es schwer sein, den Rücken von Städten zu entdecken.
Wer sich fit machen will für linke städtepolitische Debatten der Gegenwart und Zukunft, liegt mit dem Buch aber richtig und wird mit Informationen aus erster Hand versorgt: Schließlich gehört Florian Schmidt zu den wichtigsten politischen Akteuren in Deutschland in dieser Frage.
Florian Schmidt, „Wir holen uns die Stadt zurück“. Ullstein-Verlag, 17,99 Euro.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance