piwik no script img

Interview zu Mietobergrenzen"Wir brauchen höhere Richtwerte"

Die Mietobergrenzen für Hartz-IV-Empfänger führen zur massiven Verdrängung aus der Innenstadt, warnt Elke Breitenbach, arbeits- und sozialpolitische Sprecherin der Linkspartei.

Antje Lang-Lendorff
Interview von Antje Lang-Lendorff

taz: Frau Breitenbach, laut einer Studie liegt die Miete von 70.000 Haushalten über den gerade erhöhten Mietrichtwerten für Arbeitslose. Ist diese Zahl realistisch?

Elke Breitenbach: Auf jeden Fall. Nach Aussage des Senats waren es im September 2011 fast 100.000 Bedarfsgemeinschaften, die höhere Mietkosten hatten, als die Richtwerte vorsahen. Es kann schon sein, dass diese Zahl aufgrund der seit Mai geltenden Vorschriften etwas gesunken ist.

Was bedeutet es für die Betroffenen, wenn ihre Miete teurer ist als der Richtwert?

Sie müssen irgendwie versuchen, das Geld aufzubringen. Einige vermieten einen Raum unter. Aber die meisten bezahlen die Differenz zwischen Richtwert und Miete aus ihrem Regelsatz. Das ist oft eine dramatische Situation, denn das Geld reicht nicht aus. Die Leute geraten in eine Schuldenspirale.

Oder sie müssen umziehen.

Für die in den Richtwerten genannten Beträge können die Betroffenen in der Regel keine neue Wohnung anmieten. Die meisten Bedarfsgemeinschaften bestehen zudem aus einer und zwei Personen. In Berlin sind kleine Wohnungen aber rar und teuer. Die Betroffenen stehen bei der Wohnungssuche zudem in Konkurrenz zu Studierenden und Geringverdienern. Wir fordern daher einen Zuschlag bei Neuvermietungen. Gibt es den nicht, wird die Verdrängung aus der Innenstadt massiv zunehmen.

Der Mieterverein kritisiert, dass die neuen Vorschriften nicht rechtssicher seien. Teilen Sie diese Einschätzung?

Elke Breitenbach

51, ist die arbeits- und sozialpolitische Sprecherin der Linkspartei. Seit 2003 sitzt sie im Berliner Abgeordnetenhaus

Ja. Das Berechnungsmodell bezieht sich nur auf Wohnungen mit einfachem Standard. Im Sozialgesetzbuch ist vorgeschrieben, dass ausreichend Wohnraum zur Verfügung stehen muss. Es gibt in Berlin aber 380.000 Bedarfsgemeinschaften und nur 370.000 Wohnungen mit einfachem Standard. Das kann nicht gehen. Gerade die teuren kleinen Wohnungen sind in die Berechnungsgrundlage nicht eingeflossen, insofern hat Rot-Schwarz die Richtwerte niedriggerechnet.

Immerhin hat die Koalition überhaupt eine Erhöhung der Richtwerte beschlossen. Das ist dem rot-roten Senat in der gesamten Amtszeit nicht gelungen.

Rot-Schwarz hat genau das beschlossen, was der Finanzsenator uns damals angeboten hat, was wir aber nicht annehmen wollten. Wir haben gesagt: Wir machen keine Neuregelung, die nicht rechtssicher ist und die auf Kosten der Betroffenen geht.

Letztlich ging der Stillstand aber erst recht auf Kosten der Betroffenen.

Wenn nach wie vor die Miete von 70.000 Bedarfsgemeinschaften über den Richtwerten liegt, bringt die jetzige Regelung auch nichts. Die einzige Lösung ist, höhere Richtwerte zu beschließen und damit zu verhindern, dass immer mehr Menschen umziehen müssen.

INTERVIEW:

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!