Interview zu Agrarzuschüssen: "Ohne Subvention kein Hunger"

Mit den jährlichen Landwirtschaftssubventionen von fast 60 Milliarden Euro beeinflusse die EU die Produktionsmenge kaum, meint Handelsexperte Valentin Zahrnt.

Da kommt was zusammen: Halde voller Zuckerrüben. Bild: dpa

taz: Herr Zahrnt, die Agrarsubventionen garantieren laut Bauernverband auch, dass es genug Lebensmittel gibt. Würden wir sonst hungern?

Valentin Zahrnt: Nein, denn die Subventionen beeinflussen kaum die Produktionsmenge. Früher hat die EU den Landwirten mehr Geld gezahlt, wenn sie mehr erzeugen. Heute bekommen sie das Geld hauptsächlich dafür, dass sie eine Fläche offen halten, damit sie nicht zuwuchert. Wenn diese Subventionen wegfielen, würden sich weder Produktionsmenge noch Lebensmittelpreise kaum verändern. Das belegen etliche Studien, sogar solche, die von der bauernverbandfreundlichen EU-Kommission in Auftrag gegeben worden sind. Wir hätten also auch ohne Subventionen genug zu essen. Mit Ernährungssicherheit sollte man in der aktuellen Debatte über die Agrarpolitik nach 2013 nicht argumentieren.

Aber wir importieren viele Lebensmittel. Zeigt das nicht, dass wir zu wenig produzieren und deshalb das Agrarsystem kaum ändern dürfen?

Wir importieren vor allem Dinge wie Kaffee, Blumen oder Luxusprodukte wie Erdbeeren im Winter. Wenn es tatsächlich etwa um Getreide geht, also Dinge für den Grundbedarf, dann produziert die EU schon jetzt viel mehr, als wir benötigen. Wir haben zum Beispiel zwischen 1991 und 2009 jährlich mindestens 500 Kilogramm Getreide pro EU-Bürger produziert. Das heißt, allein an Getreide haben wir über 4.000 Kilokalorien pro Kopf erzeugt. Die empfohlene Dosis liegt bei nur 2.000 bis 2.500 Kilokalorien je nach Alter und Aktivitätsgrad. Wir haben also das Doppelte von dem produziert, was wir gebraucht haben.

Muss die EU nicht auch mehr für den Export erzeugen, weil die Schwellenländer wegen der wachsenden Bevölkerung mehr Kalorien nachfragen?

Unsere subventionierten Exporte stören nur die lokale Produktion, sodass die Einkommen der Bauern in den Entwicklungsländern sinken. Und die meisten Hungernden auf der Welt sind bekanntlich Kleinbauern. Wir sollten mit dem Geld für die Subventionen diesen Bauern helfen, mehr zu produzieren. Dazu würde ein Bruchteil reichen, denn mit einfachen Maßnahmen ließe sich die Produktivität dort unglaublich erhöhen. Das muss nicht unbedingt Hightech sein, sondern zum Beispiel Biolandbau, der viel effizienter ist als die heute dort üblichen Methoden.

Müssten ohne Subventionen nicht viele Höfe in der EU schließen und noch mehr Leute als bisher vom Land in die Stadt ziehen?

Valentin Zahrnt, 33, ist Handels- und Agrarexperte der Denkfabrik European Centre for International Political Economy (Ecipe). Das Brüsseler Institut tritt für eine "freie Welthandelsordnung" ein.

Sicherlich würden viele Höfe zugunsten größerer Betriebe mit insgesamt weniger Arbeitskräften aufgeben. Aber wenn wir Geld aus dem aktuellen Agrarbudget in Ausbildungsmöglichkeiten, Infrastruktur und in die lokale Wirtschaftsförderung investieren würden, könnte das Leben auf dem Land dennoch attraktiv bleiben.

Weniger, aber größere Bauernhöfe - ist es nicht riskant, unsere Ernährung einigen wenigen Unternehmen anzuvertrauen?

Eine große Konzentration im Lebensmittelsektor existiert vor allem bei den Weiterverarbeitern und dem Handel, wo sich Konzerne wie Nestlé tummeln. Es wird aber auch nach dem Strukturwandel in der Landwirtschaft Millionen von Bauern geben.

Also sollten wir die Subventionen für die Landwirtschaft einfach abschaffen?

Auf keinen Fall, aber die Bauern sollten nur noch Geld für Leistungen bekommen, die sonst nicht erbracht würden: zum Beispiel seltene Wiesenblumen erhalten oder besondere Rücksicht nehmen auf Vögel, die auf Wiesen brüten. Dafür brauchen wir nicht eine Pauschalzahlung einfach für die Fläche, sondern ganz gezielte für konkrete Maßnahmen.

Wie viel würde das kosten?

Dazu gibt es keine verlässlichen Zahlen. Nur ein Anhaltspunkt: Im Moment finanziert die EU mit den Subventionen sogar klar umweltschädliche Sachen wie die Trockenlegung von Feuchtwiesen, in denen viel Treibhausgas gebunden ist. Wenn man nur die ökologisch wirksamen Subventionen zählt, bleiben, über den Daumen gepeilt, nur 5 Milliarden Euro.

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