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Interview mit rechtsmediziner Püschel über das Alter"Ein von der Politik ungeliebtes Thema"

Als der Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel im Sommer seine Studie zum Pflegezustand älterer Menschen vorstellte, war die Empörung groß. Drei Monate später ist von greifbaren Ergebnissen wenig in Sicht.

Allein und krank: Zu viele geraten im Alter in Isolation. Bild: dpa
Friederike Gräff
Interview von Friederike Gräff

taz: Ist die Aufmerksamkeit für die Situation älterer Menschen in Hamburg schon wieder erlahmt, Herr Püschel?

Klaus Püschel: Ich habe keine nachhaltigen Reaktionen wahrgenommen, vor allem keine systematischen. Es wurden keine Verfahren geändert, es gibt keine aktive Öffentlichkeitsarbeit, es werden keine Leitlinien, Überprüfungen oder Fortbildungen gemacht. Das Einzige, was ich wahrgenommen habe, ist eine Sitzung des Sozialausschusses in Hamburg gewesen.

Es soll eine sektorenübergreifende Erfassung von Durchliegegeschwüren geben.

Im Interview: 

Klaus Püschel, 57

Direktor des Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Die Alters-Studie

Für die im Juli dieses Jahres vorgelegte Studie zur Situation älterer Menschen in Hamburg und Umgebung hat Klaus Püschel mit KollegInnen 8.518 Verstorbene ab dem 60. Lebensjahr obduziert.

Über drei Prozent der Obduzierten hatten ein Durchliegegeschwür 3. oder 4. Grades. Davon waren 38 Prozent im Krankenhaus verstorben, 35 Prozent im Pflegeheim, 23 Prozent im privaten Bereich, vier Prozent im Hospiz.

35 Prozent der Verstorbenen waren eher übergewichtig, 15 Prozent eher untergewichtig. Nur rund ein Prozent von 1.224 Obduzierten besaß die Lebensqualität verbessernden Zahnimplantate.

Das Risiko älterer Menschen, einsam zu sterben, steigt. Etwa ein Drittel der Wohnungen der längere Zeit vor ihrem Tod vermissten Menschen war verwahrlost.

Eine ähnliche, bundesweit beachtete Studie hatte Püschel bereits 1999 vorgelegt. Deren Ergebnisse sind aber nur begrenzt mit der aktuellen vergleichbar.

Da ist es dringlich erforderlich, dass es wirklich zur Umsetzung kommt.

Im Ausschuss haben Sie das Angebot gemacht, bei auffällig schlechtem Pflegezustand den Sterbeort öffentlich zu machen. Gab es ein Interesse der Politik daran?

Bisher nicht.

Skeptiker sagen, dass Verbesserungen im Qualitätsmanagement eher über ein Einbinden der Institutionen als über Kontrollmaßnahmen gelängen.

Das ist auch meine Meinung. Aber ich sehe den anderen Weg nicht beschritten. Es ist jetzt meine Überlegung, wie man überhaupt Bewegung in dieses Feld bringen kann. Und wenn es auch mit dem runden Tisch und Coaching nicht zu etablieren ist, fragt man sich, ob das System der Kontrolle und öffentlichen Benennung nicht leichter einzurichten ist und ob es auch funktioniert.

Gab es nach Ihrer ersten Studie 1999 zum Thema greifbare Veränderungen?

Es gab einen runden Tisch zum Thema Pflege. Daraufhin wurde die Dokumentation des Pflegezustands sehr viel besser, es gab Fortbildungen und allmählich ein wirkliches Bewusstsein, um die Durchliegegeschwüre zu verhindern. Deren Zahl hat in der Folge abgenommen, und es gab weitere wissenschaftliche Untersuchungen zusammen mit dem Albertinen-Krankenhaus.

Hat die Öffentlichkeit zehn Jahre später das Gefühl, dass das Ende der Fahnenstange erreicht ist?

Entweder habe ich nicht den richtigen Nerv getroffen oder nicht den richtigen Zeitpunkt. Vielleicht bräuchte man mehr Rückendeckung von anderen. Oder man müsste andere Wege beschreiten: Es ist ja sehr bedrückend zu sehen, dass manchmal die Skandalisierung von Einzelfällen zu mehr Dynamik führt als eine anonyme systematische Darstellung.

Sie sprechen in Ihrer Studie von Menschen, "die im Schatten stehen". Was meinen Sie damit?

Ich meine alle, die mit dem Alter in zunehmende Isolation kommen und zunehmend krank sind. Ich fürchte, dass es eine vergleichbar große Gruppe ist.

Im Krankenhaus und Pflegeheim ließen sich mehr Kontrollen einrichten. Fallen gerade die zu Hause Gepflegten durch die Maschen?

Die häusliche, familiäre Pflege ist natürlich besonders zugewandt. Auf der anderen Seite gibt es da große Defizite, weil sich die Leute oft wenig mit Pflege auskennen. Da fehlt die Kontrollinstanz ganz.

Fehlt es an Ideen oder an der Bereitwilligkeit, Geld auszugeben?

Ich denke, das Hauptproblem ist die fehlende Kreativität beim Bereitstellen der Gelder. Es gab bereits viele Vorschläge und Initiativen, aber es ist ein von der Politik ungeliebtes Thema. Ich frage mich, wo der politische Wille dieser Menschen wahrgenommen wird - und wie wählen sie eigentlich?

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