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Interview mit kubanischem Ökonom"Kuba verändert sich"

Dass Fidel Castro sich aus der Politik zurückzieht, passt ins Bild. Denn das Kuba öffnet sich langsam für Reformen und kulturelle Freiheiten, so der kubanische Ökonom Omar Everleny Pérez

Wie steht es wirklich um ihn? Kubas Staatschef Fidel Castro Bild: rtr

taz: Senor Pérez, am Montag hat Fidel Castro erstmals seinen Rückzug von der Macht angekündigt. Können Sie sich vorstellen, dass aus der Ankündigung auch Ernst wird?

Omar Everleny Pérez: Oh ja, denn am Ende seines Briefes ist seine Unterschrift zu sehen und die setzt er doch nicht ohne Grund unter so ein Dokument. Diesen Schritt sollte man nicht unterschätzen. Er will oder kann jene unzähligen Ämter mehr antreten.

Aber gleichzeitig steht der Name Fidel Castro auf den Wahllisten zu den Parlamentswahlen von Mitte Januar...

Ja, das ist richtig und ein Widerspruch. Gleichwohl schreibt er persönlich, dass er den Jüngeren nicht im Wege stehen will. Das heißt auch, dass es nicht unbedingt Raúl Castro sein muss, der die Nachfolge antritt. Kuba durchlebt eine sehr interessante Phase mit einer spannenden Konstellation. Zu der gehören auch die USA, die sich trotz der Ereignisse in Kuba seit einigen Wochen ruhig, ja geradezu neutral verhält und nur beobachtet, aber nicht kommentiert. Diese Haltung könnte den anstehenden Reformprozess beschleunigen.

Dem gegenüber steht die Intervention vom 13. Dezember. Da wies Fidel Castro persönlich auf die Risiken hin, die mit einer Unterzeichnung der beiden UN-Menschenrechtschartas verbunden sind. Ist das nicht ein Signal an die derzeitige Regierung?

Die Ankündigung des Außenminister Felipe Pérez Roque, die beiden Abkommen zu unterzeichnen, steht trotz Fidel Castros Intervention. Fidel hatte an seine eigene grundsätzliche Kritik an der UN-Charta über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte aus dem Jahr 2001 erinnert. Damals hat Fidel ausgeführt, dass Kuba die Charta nicht unterzeichnen könne, da die Artikel 8 über die Gewerkschaftsfreiheit und der Artikel 13 über private Bildungseinrichtungen die kubanische Gesellschaft destabilisieren könnten.

Deutet in Kuba denn etwas auf anlaufende Reformen hin?

Ja, ich habe Informationen, dass es zu der lang angekündigten Agrarreform kommen wird. Man wird Land verteilen und die Preise zumindest teilweise freigegeben. Ich glaube, dass diese Agrarreformen in der nächsten Woche im Parlament bekannt gegeben werden.

Das wären allerdings Reformen gegen die von Fidel Castro ausgegebene Leitlinie in der Landwirtschaft, oder?

Ja, das ist richtig. Die Leitlinie, dass alles und jedes staatlich sein muss, wäre dann vom Tisch. Raúl ist kein Anhänger davon und ihm gefällt es gar nicht, dass Kuba Lebensmittel en Gros importiert, die es auch selbst produzieren könnte. Das wird in Kuba heiß diskutiert. Anfang September war ich selbst auf einer dieser von Raúl Castro initiierten Diskussionen in den Betrieben. Die Dinge, die die Leute stören, kamen auf den Tisch. Es kommen in Kuba auch wieder Leute zu Wort wie Rafael Hernández, der Herausgeber der politikwissenschaftlichen Fachzeitschrift Temas. Deren letzte Ausgabe widmete sich dem Thema der Transition, des Übergangs. Zudem melden sich jüngere Politiker zu Wort, die andere, neue Ansichten vertreten: etwa Eliades Acosta oder der Sohn von Carlos Lage, der Vorsitzender der Studentenvereinigung ist.

Ist es denn möglich, dass Fidel Castro in Kuba lebt ohne die Politik zu beeinflussen?

Ja, ich glaube schon, denn die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen und er ist seit 16 Monate nicht mehr im Amt. Die Leute warten, die Situation in den Straßen ist angespannt. Viele Jugendliche sind unzufrieden, werfen hier und da Steine auf Busse und äußern so ihren Missmut.

Auf der anderen Seite gab es auch Einschüchterungsversuche gegenüber der kleinen Opposition und die Ausweisung von acht Spanierinnen, die mit den oppositionellen "Frauen in Weiß" demonstrierten.

Puh, hier muss man aufpassen, dass man nicht alles miteinander vermengt. Halten wir vorab einmal fest, dass die US-Botschaft in Havanna diese Opposition ausstattet und unterstützt. Ein zweiter Punkt: Glauben Sie, dass es Kubaner gestattet wäre, in Paris eine Demonstration gegen die französische Regierung anzuführen? Ich bin mir da nicht so sicher. Und genau das hat in Kuba zur Ausweisung dieser acht Spanierinnen geführt. Die führten den Demonstrationszug der Damas de Blanco, der "Frauen in Weiß", die seit Jahren für die Freiheit ihrer Männer demonstrieren, die in kubanischen Gefängnisse sitzen. Ich denke, dass es schwierig ist, das eine vom anderen zu trennen. Die USA haben sich verpflichtet, der Opposition unter die Arme zu greifen. Auf der anderen Seite aber gewährt sie jedoch nicht mal einem Wissenschaftler, einem Mediziner oder Politologen ein Visa, um sich in den USA fortzubilden oder an einer Tagung teilzunehmen. Auch Medikamente können nicht ohne weiteres aus den USA importiert werden - mit dieser doppelten Moral kann ich wenig anfangen. Alle, die sich nicht auf die eine Seite schlagen, gehören dann wohl zur anderen. Nur weil ich Kubaner bin und in einer öffentlichen Einrichtung arbeite, bin ich doch nicht automatisch ein Regierungsvertreter.

Gibt es denn mehr Meinungsfreiheit in Kuba als zuvor?

Das ist ein kompliziertes Thema. Es gibt in einigen Bereichen, etwa im ökonomischen, mehr Möglichkeiten der Kritik. Da erscheinen auch kritische Artikel zur Situation des Landes, in denen kein Blatt vor den Mund genommen wird. Auffällig ist auch, dass kritische Filme wie "Erdbeer und Schokolade", die nie im kubanischen Fernsehen zu sehen waren, dort nun gezeigt werden. Auch im Theater werden Stücke aufgeführt, die lange nicht inszeniert wurden - es gibt kleine Dinge, die sich ändern. So laufen beim Filmfestival in Havanna Filme wie Telón de Azúcar, der eine desillusionierte Jugend zeigt. Kuba verändert sich. Es ist nicht mehr das gleiche Kuba wie vor zwei Jahren.

Welches sind denn die vordringlichen Reformen?

Die Agrarreform, um die Versorgung zu verbessern und mehr Arbeit zu schaffen. Und es muss mehr Möglichkeiten geben, sich selbständig zu machen. Wir brauchen kleine und mittlere Unternehmen. Was macht es für einen Sinn, wenn der Staat Friseursalons unterhält - was soll denn das? Auch im Transportbereich brauchen wir neue Konzepte und beim Wohnungsbau, denn es werden zu wenig neue Wohnungen gebaut.

Welche Rolle spielen denn die USA?

Eine entscheidende. Die US-Wahlen 2008 werden für uns eine zentrale Bedeutung haben. Denn die nächste US-Regierung wird die Kubapolitik neu gestalten. Zudem glaube ich, dass es eine Annäherung an Europa geben wird, die sich in den Beziehungen zu Spanien und Frankreich bereits abzeichnet. Es kommen wieder mehr Investoren nach Kuba und falls die Spanier - wie erwartet - wirklich im nächsten Frühjahr Erdöl vor Kubas Küste finden, wird sich das Szenario erneut verändern.

Vor welchen zentralen Herausforderungen steht die Regierung? Die Auswanderung ist derzeit ein Thema, auch die sinkende Geburtenrate in Kuba.

Das sind zwei Herausforderungen, aber die grundsätzliche ist die ökonomische Erholung. Die Leute gehen, wenn sie anderswo bessere Bedingungen und Perspektiven haben. Das ist in Argentinien nicht anders als in Kuba.

INTERVIEW: KNUT HENKEL

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