Interview mit Stadtentwicklungssenator: "Die Mieten werden weiter steigen"
Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) setzt sich von seiner Vorgängerin ab: Er will aktive Mietenpolitik betreiben.
taz: Herr Müller, wann sind Sie zuletzt Fahrrad gefahren?
Michael Müller: Im September. Wir sind als Familie zum neuen Park am Gleisdreieck geradelt.
Da haben Sie sich wahrscheinlich rundum wohlgefühlt, weil die Berliner Autofahrer, wie Sie kürzlich im Interview gesagt haben, so rücksichtsvoll sind.
Es gibt leider bei den Radfahrern wie bei den Autofahrern solche und solche. Wir wollen ein gutes Miteinander. Da muss jeder Rücksicht nehmen.
Ein freundlicheres Signal haben Sie an die Mieterinnen und Mieter geschickt. Als erste Amtshandlung haben sie die anstehenden Mieterhöhungen der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften gestoppt. Ist Rot-Schwarz für die Mieter besser als Rot-Rot?
Wir haben auch als rot-rote Koalition einiges gemacht, zum Beispiel weitere Privatisierungen im Wohnungsbereich gestoppt und den Schutz vor Eigenbedarfskündigungen verlängert. Daran knüpfen wir als neugewählte Regierung an.
Über elf Jahre lang war der 47-Jährige Tempelhofer Vorsitzender der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Seit Dezember ist er Senator für Stadtentwicklung. Darüber hinaus ist er Landeschef der SPD. Müller gilt als möglicher Nachfolger von Klaus Wowereit als Regierender Bürgermeister.
Ihre Vorgängerin Ingeborg Junge-Reyer erweckte oft den Eindruck, als herrsche in Berlin immer noch ein entspannter Wohnungsmarkt.
Wir haben nach wie vor keine dramatische Situation. Ich will aber auch nicht, dass die Situation dramatisch wird. Also müssen wir jetzt reagieren, um die Mietpreisentwicklung in den nächsten Jahren dämpfen zu können.
In dem Gesamtpaket, dass der Senat mit den sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen anstrebt, wollen Sie weg von einheitlichen Mieten für alle Mieter in einem Haus. Vielmehr soll die Miete stärker an die individuellen Möglichkeiten der Mieter angepasst werden.
Sowohl bei Neuvermietungen als auch im Bestand müssen wir kreativer werden. Es ist ja nicht so, dass es in Berlin keine Mieter mit gutem Einkommen gäbe. Es gibt Mieter, die wollen, dass Bestände modernisiert werden, die akzeptieren, dass es entsprechende Mietsteigerungen gibt. Wir haben aber auch andere, die das nicht können, die schnell bei den nächsten Mieterhöhungen an ihre Grenzen kommen, die Angst vor Verdrängung haben. Ich erwarte von den Geschäftsführern der Wohnungsbaugesellschaften, dass sie sich die soziale Struktur in ihren Beständen genau ansehen.
Der Verband Berlin Brandenburger Wohnungsunternehmen sagt: Die Wohnungsbaugesellschaften sind keine Wohnungsämter.
Ich erwarte von meinen Wohnungsunternehmen etwas anderes. Wenn wir Gesellschaften im Landesbesitz haben wollen, müssen sie anders agieren als private.
Befürchten Sie nicht, dass die Gesellschaften wie die WBM handeln und sagen: Das Geld verdienen wir in Mitte, damit wir uns die billigeren Mieten in Spandau leisten können?
Wenn die Wohnungsbaugesellschaften weiterhin Mieten unter dem Mietspiegelniveau anbieten, in ihre Bestände investieren und ihre Verschuldung zurückfahren sollen, dann muss ich ihnen auch die Chance geben, in einigen Beständen Geld zu verdienen.
Sie haben gerade sehr energisch gesagt: "meine Wohnungsbaugesellschaften". Ist das etwas, was Sie betonen müssen, weil es in der Vergangenheit nicht immer selbstverständlich war, dass das Land der alleinige Gesellschafter der WBM, der Stadt und Land, der Gesobau, der Gewobag, der Howoge und der Degewo ist?
Ja. Es gibt aus gutem Grund städtische Unternehmen. Das sind ja nicht nur die Wohnungsbaugesellschaften, das ist auch Vivantes, die BVG oder die BSR. Wir wollen diese Unternehmen in Landesbesitz, weil sie einen elementaren Lebensbereich der Berlinerinnen und Berliner abdecken. Dann muss auch den Geschäftsführern der Wohnungsbaugesellschaften klar sein: Sie sind landeseigene Unternehmen mit einem speziellen Gemeinwohlauftrag. Daran haben sie sich zu orientieren, und sie tun das ja auch. Ab und zu daran zu erinnern, finde ich nicht schädlich.
Sie setzen zum ersten Mal auf das Instrument einer Zielvereinbarung. Wieso wurde das nicht früher gemacht?
Es gab Vereinbarungen, die sich hauptsächlich auf die finanzielle und wirtschaftliche Situation der Unternehmen beschränkt haben. Nun wollen wir einen nächsten Schritt machen. Jetzt geht es auch um Mieten und Baupolitik.
Haben Sie da bei den Geschäftsführern offene Türen eingerannt?
Die Geschäftsführer sehen, was in der Stadt debattiert wird. Auf der anderen Seite sagen sie aber auch: Ihr müsst als Politik sehen, was wir von all dem leisten können. Und ihr müsst uns dann auch unterstützen. Wenn sie jetzt also auch noch bauen sollen, dann kann ich als Senator nicht sagen: Ihr dürft nie und nimmer Geld verdienen.
Das Thema Neubau nimmt im Koalitionsvertrag breiten Raum ein. Allerdings schwirren da auch unterschiedliche Zahlen durch den Raum. Zum einen wollen Sie 30.000 Wohnungen neu bauen. Zum anderen sollen die Bestände der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften von 270.000 auf 300.000 aufgestockt werden.
Wir wollen zum einen mindestens 30.000 zusätzliche Wohnungen haben …
… die bauen die Privaten auch ohne dass es SPD und CDU in den Koalitionsvertrag schreiben.
Ein Selbstläufer ist das nicht. Wenn wir sagen, wir wollen 30.000 neue Wohnungen, dann können das private und städtische sein. Wir haben zweitens den Anspruch, dass die Gesellschaften ihre Bestände auf insgesamt 300.000 Wohnungen erhöhen. Dass muss nicht Neubau sein, das kann auch der Zukauf aus anderen Beständen sein. Da kann es also Schnittmengen geben, muss aber nicht.
Neubau war für die Wohnungsbaugesellschaften bislang eher ein Fremdwort. Können die das überhaupt?
Ich denke, dass sie da gut darauf vorbereitet sind. Sie haben Flächenreserven. Und sie haben Modelle und Vorschläge, wie sie das bewerkstelligen wollen. Dazu gehört, dass natürlich auch beim Neubau die Mieten differenziert gestaltet werden können.
Also oben teuer, unten billiger.
Zum Beispiel. Man kann aber auch nach Ausstattung differenzieren oder unterschiedlich große Wohnungen anbieten.
Eine der Forderungen der Gesellschaften lautet: Wir wollen landeseigene Grundstücke zum Nulltarif, sonst können wir nicht sozial bauen.
Das ist einer von mehreren Punkten. Allerdings macht der Grundstückspreis nur einen geringen Teil der Baukosten aus. Dennoch haben wir uns - auch mit dem Finanzsenator - verständigt, dass Liegenschaften nicht mehr nur nach dem Höchstpreis verkauft werden. Mindestens genauso wichtig ist aber auch die Flexibilität bei der Mietgestaltung.
Selbst wenn eine Wohnungsbaugesellschaft beim Neubau unterschiedliche Mieten verlangen kann, werden diese nicht unter acht Euro nettokalt liegen.
Erstmal freue ich mich über jede neue Wohnung. Auch weil es dann an anderer Stelle wieder eine Entlastung gibt. Aber sie haben schon recht: Wenn es um günstige Mieten geht, ist natürlich vor allem der Bestand gefragt. Auch hier müssen wir sorgsam agieren, damit nicht der Bestand zu einem Mietpreistreiber wird. Und dann gibt es noch die Genossenschaften.
Die ja, anders als die Wohnungsbaugesellschaften, bereits bauen.
Die Genossenschaften wollen wir als Senat besonders fördern. Da gibt es einen ersten Topf von rund 15 Millionen Euro, den wir den Genossenschaften angeboten haben. Es geht vor allem um den Bau von kleinen Wohnungen, auch in schwierigen sozialen Gebieten. Da wollen wir also mit Geld fördern, dass die Mieten entsprechend günstig sind.
Wenn Sie von der Entlastung durch den Neubau sprechen, spielen Sie auf den sogenannten Sickereffekt an: Jemand, der in eine teure Wohnung zieht, macht eine billige frei. Das ist die Theorie, die in der Praxis meist am Zuschlag für die Neuvermietung scheitert. Eine Möglichkeit wäre, dass die Wohnungsbaugesellschaften bei Umzügen in den eigenen Beständen auf diesen Zuschlag verzichten.
Auch das werden wir prüfen. Schließlich verändern sich auch die Lebenssituationen innerhalb der Mieterschaft. Da kann es sein, dass Mieter zwar ihre Wohnung, nicht aber ihre Gesellschaft verlassen wollen. Da sollte es Angebote geben, ohne, dass sich bei der Neuvermietung die Miete erhöht.
Mit Wohnungsneubau alleine werden Sie der steigenden Mieten aber nicht Herr werden. Mit welchen Instrumenten wollen sie dem Druck sonst noch begegnen?
Man muss ehrlich sein: Alles, was wir machen und vorhaben, hilft. Aber es wird die Entwicklung auf dem Mietenmarkt nach oben nicht stoppen können. Auch 300.000 städtische Wohnungen sind nur ein kleiner Teil des Marktes. Was die Instrumente angeht, haben wir zwei im Auge. Zum einen unsere Bundesratsinitiative, die die Mietsteigerungen und die Modernisierungsumlage begrenzen soll.
Da war Schwaz-Gelb bislang kein Freund der SPD.
Das liegt momentan im Bundesrat, weil es im Zusammenhang mit der Mieteninitiative der Bundesregierung diskutiert werden soll. Tatsächlich ist leider nicht zu erkennen, dass wir von anderen Bundesländern viel Unterstützung bekommen. Wir bleiben aber aktiv, zumindest andere Städte haben ähnliche Probleme. Das zweite ist die berühmte Zweckentfremdungsverbotsverordnung …
… bei der Ihr Koalitionspartner CDU auf die Bremse tritt.
Nein. Das Problem ist, dass die Gerichte eben diese Verordnung in der Vergangenheit für nichtig erklärt haben. Die Begründung damals: Es gebe genug freien Wohnraum, der ein Zweckentfremdungsverbot unnötig mache. Wir prüfen nun, ob da angesichts des steigenden Drucks auf den Wohnungsmarkt eine Wiedereinführung möglich ist.
In Hamburg werden Eigentümer in Milieuschutzgebieten zu sozialen Zielen verpflichtet. Kommen die Eigentümer dem nicht nach, kann die Kommune das entsprechende Grundstück selbst kaufen. Kann Berlin von Hamburg lernen?
Das ist so. Genauso wie wir auch von München lernen können, wo es bei Neubauprojekten die Auflage an Investoren gibt, für bestimmte Wohnungen eine Sozialbindung zu akzeptieren. Das alles sehen wir uns genau an.
Wird Ihnen manchmal angst und bange, wenn sie sehen, wie die Mieten in Berlin steigen und wie wenig Instrumente Ihnen im Gegenzug da zur Verfügung stehen?
Die Mieten lassen sich nicht auf Knopfdruck stoppen. Die Instrumente, die da sind, will ich aber nutzen. Ich will die Mietenpolitik aktiv gestalten und nicht nur zuschauen. Trotzdem wird die Entwicklung in den kommenden Jahren so sein, dass die Mieten Schritt für Schritt steigen. Und oft geht damit ja eine Modernisierung des Bestandes einher. Das ist ja nichts Negatives. Wer zahlt schon gerne hohe Energiekosten? Gerade wegen einer Modernisierung sind Mietsteigerungen dann hoffentlich warmmietenneutral.
Als Wirtschaftssenator hätten Sie dafür sorgen können, dass nicht nur die Mieten steigen, sondern auch die Einkommen. Wäre das nicht der bessere Posten für Sie gewesen?
Als Wirtschaftssenator hätte ich es etwas überschaubarer gehabt. Spannender und interessanter ist dagegen die Aufgabe als Stadtentwicklungssenator.
Werden Sie die vollen fünf Jahre der Legislaturperiode im Amt bleiben?
Nun bin ich doch grade erst angekommen, habe meine Kisten ausgepackt und lerne jeden Tag. Ich freu mich auf die nächsten fünf Jahre.
2013 könnte das Amt des Regierenden Bürgermeisters vakant werden.
Das ist nicht zu erkennen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW