Interview mit Rudolf Bahro, taz vom 29.8 1981: In Amerika gibt es keine Kathedralen
Kurz vor seiner Abreise aus der Bhagwan-Kommune in den USA hat Rudolf Bahro 1983 in einem Gespräch für die taz erklärt, warum er vier Wochen dort zugebracht hat.
taz: Bist Du hier oft aufgefordert worden. Deinen Verstand mal beiseite zu lassen, weil der Dir nur hinderlich sei?
Bahro: Ja, andauernd.
Hast Du das geschafft?
Für Momente. Da ist es sehr sinnvoll, und das ist genug. Generell denke ich gar nicht daran, den Kopf abzugeben. Vielleicht müssen manche aus dem funktionellen Verstand und der sozialen Rolle direkt ins entgegengesetzte Extrem springen, für eine Weile. Ich habe meinen Kopf in den wesentlichenDingen stets auch intuitiv arbeiten lassen. Ich brauche dieses absolute Verlorengehen als länger währenden Zustand nicht. Der Erfolg der Kommune hier ist aber doch nicht denkbar ohne dieses „drop the mimt', das die Sannyasins in die Stimmung kindlicher Freundlichkeit bringt, die in den Meditationstherapien eingeübt wird. So weit der Verstand (im Unterschied zur Vernunft) nur Funktionär der bestehenden Gesellschaft und ihrer Großen Maschine ist, muß er verworfen werden. Und es ist doch dieser kindhafte Zustand kein Ziel an sich, er ist nur ein Mittel - und dies nicht zum Zweck des Kommuneerfolgs, sondern der Selbstveränderung. Die Sannyasins werden veranlaßt, ihre alten Charakterstrukturen weitgehend fallenzulassen (diesbezüglich darf man ausdrücklich an Wilhelm Reich denken) und so einen freien Innenraum zu schaffen, in dem sich etwas Neues ereignen („something happen") kann. Niemand weiß vorher genau was - diese Offenheit ist wichtig. Erst aus wirklich freigesetzten Energien kann eine grundlegend andere Gesellschaft werden.'
das war damals die Frage, die das Interview beantworten sollte. Trotz aller kritischen Nachragen wollte ich als Autor im Vorspann zu dem Interview deutlich machen, wie ich doch beeindruckt war von dieser Kommune-Erfahrung:
"Als ich heute Mittag am Krishna-Murti-Lake lag, einem in der versteppten Bergweit der Raijneesh-Ranch in Orgeon angelegten See und überlegte, was ich nun mitteilen sollte über meine Erfahrungen in der Bhagwan-Kommune, schien mir das Wichtigste folgendes: Nach drei Tagen Einlassen auf das Kommuneleben, auf die Meditationen und einen gruppendynamischen Workshop kann ich dieses Glück ausstrahlende Lebensgefühl der Sannyasins nachempfinden. Obwohl sich der Skeptiker in mir zunächst nur eher spielerisch eingelassen hatte, hat der Strom mich mit fortgetragen.
Um zwei Uhr stand mein Skeptiker in gehöriger Distanz da und schaute zu, wie das Sannyasin-Spalier den im Rolls Royce vorbeirollenden Meister verehrte. Diese hingebende Frömmigkeit, die die christlichen Priester bei ihren Meßdienern und Konfirmanden so mögen, empfinde ich schmerzlich, weil mir diese Menschen so nahe sind.
Aber ich soll einen politischen schreiben. Aber ich soll einen politischen Artikel schreiben. Abo: Was sucht dar Rudolf Bahro bei Bhagwan? Die Frage hat einen ärgerlichen Unterton. Was soll ein 47-jähriger Bauernsohn, dessen im Nationalsozialismus begonnene Sozialisation in die SED geführt hat, der jahrelang ein intellektuelles. Doppelleben geführt hat und aus dem Knast direkt in eine Politfunktionärsrotte in der Bundesrepublik rutschte — was soll er für sich in der Bhagwan-Kommune suchen? Den Kontakt zur Erde, und Erde ist Körper, sagt Bhagwan.
Die andere Ebene der Frage ist schwieriger. Auf der politischen Ebene sagt Bhagwan, sei Politik völlig okay, aber eine innere Transformation könne nicht demokratisch sein. Eine schlafende Person könne man nicht fragen: „Würdest du gern geweckt werden?" Bahro sagte mir, darin würde er Bhagwan völlig zustimmen."
Klaus Wolschner
Wer will, soll sich daran erinnern, was Mao gemeint haben mag, als er „weiße Blätter" pries. Im Falle Rajneesh-Puram ist aber zumindest beansprucht, daß nun nicht irgendein Führer was draufschreibt, auch Bhagwan nicht, sondern daß einfach etwas „wird". Wenn Bhagwan über „werden" spricht, aus Anlaß von Heraklit oder Lao Tse, so hört es sich an wie Hegel, nur in der gewöhnlichen Sprache, jedenfalls ganz dialektisch.
Mir scheint sich hier aber doch wieder das Mittel über den Zweck zu etablieren und die Dialektik bleibt auf der Ideologie-Ebene. In der Praxis ist Bhagwan der Führer und seine Schüler wollen nicht in die Welt hinaus, sondern zu ihm hin.
Das Wort Führer kann ja manches bedeuten. Für Deutsche schafft es im Falle Bhagwans einen falschen Kontext. Er scheint eher ein Hinweis zu sein als ein Führer oder ein Bündel von Hinweisen, die in eine bestimmte Richtung konvergieren. Die Führung, die in der Kommune als einer kleinen Gesellschaft ganz offensichtlich ist, kommt für die konkreten, praktischen Dinge eher aus dem übrigen, vornehmlich weiblichen Kreis, der ihn umgibt. Ebenso kommt diese beinahe suchtartige Heimatsuche aus den Sannyasins selbst. Bhagwans bloße Existenz zieht sie an wie das Licht den Falter in Goethes Gedicht 'Selige Sehnsucht', das aber beginnt: „Sagt es niemand, nur dem Weisen/weil die Menge gleich verhöhnet,/ das Lebendige will ich preisen/ das nach Flammentod sich sehnet."Wer er wirklich ist, wird sich nicht zuletzt daran erweisen, ob er und wann er und wie er sie wieder zurückstößt in die Unabhängigkeit. Die Kommune als solche mag dann scheitern oder nicht. Es hängt ja auch von den Maßstäben ab, die man anlegt. Nach dem Abgang des Gründers kann sowieso nur ein(e) Ketzer(in) – von innen oder von außen -, der oder die die Strukturen umwirft, so einen Entwurf fortleben machen. Wichtiger, wenn nicht allein wichtig, ist, was mit den Menschen geschieht, die hier durchgehen. Und man kann nicht davon absehen, was sie mitbringen. Fast die Hälfte hier sind Deutsche. Die Neigung, aus der sozial produzierten Atomisierung, aus der Verlassenheit und Verlorenheit in totalitäre Strukturen zu flüchten, ist natürlich nicht verschwunden, wenn einer aus der K-Gruppe zu Bhagwan überwechselt. Sie muß sich erstmal in der Kommune äußern, falls sie nicht unterdrückt wird. Auf den ersten Blick ist die Gesellschaft von Rajneesh-Puram reiner Honig, auf den zweiten Blick ist ein totalitärer Zug nicht zu übersehen, der den berühmten Tropfen Teer darstellt, der bebekanntlich den ganzen Geschmack des Fasses Honig verderben kann.
Doch wie mit dieser Realität umgehen? Eines der bedeutendsten Prinzipien von Bhagwans Meditationen und auch seiner Kommune ist Katharsis. Also: nicht verdrängen, sondern ausagieren, auch das, was dunkel in Dir ist. Wie in den von ihm entworfenen Meditationen, die vielleicht seine genialsten Erfindungen nach außen sind, kommt offenbar auch in der Kommune zuerst einige Finsternis.
Du hast im Gespräch mit der 'Parteizeitung' Rajneesh-Times den psychologischen Mechanismus der Selbstunterwerfung nicht angesprochen. Wem würdest du den zum Vorwurfmachen?
Ich habe dort über vieles nicht gesprochen, weil mir für den begrenzten Raum zunächst anderes wichtiger war... Parteizeitung... Du hast schon Recht. Die Erfahrung, an die mich die Kommune am meisten erinnert, ist Nordkorea (weniger vergleichbar sind trotz mancher Parallele die charismatischen Führer). Über Nordkorea habe ich vor zwei Jahren auch nicht von Außen urteilen wollen. Es ist ganz was anderes, wenn man so eigen an der Sache beteiligt ist, wie ich es in der DDR war. Da ergibt ein anderes Recht. Soweit es nach mir geht, sollte das Experiment, das Bhagwan mit einem Teil der („westlichen") metropolitanen Intelligenzia unternimmt, auf keinen Fall gestört und behindert werden. Auch scheint mir sicher - wie im Falle Nordkorea -, das erste Urteil, das der westliche kritische Geist hier automatisch absondert, wird auf die langweiligste Weise fehlgehen.
Bhagwan nutzt das Unterwerfungsbedürfnis derer, die zu ihm kommen, aus und verstärkt es...
... transformiert es. Es kommt doch darauf an. zu welchem Ende. Das ist ein weites Feld, weil sich hier zwei sehr verschiedene Ebenen schneiden, ich meine ganz real in jedem „demütigen" Bewußtsein. Einerseits ist da Regression in kindliche Abhängigkeit. In den Kursen, die ich hier mitgemacht habe, wird sie herausgearbeitet, um darüber hinauszukommen. Aber das englische Wort „surrender", auf das Du dich beziehst, wird hier im Sinne von freiwilliger Hingabe aufgefaßt, ohne die es keine Liebe gibt. Ausgeklammert ist die „normale" soziale Voraussetzung, daß Mißtrauen sozusagen die erste Bürgerpflicht ist. Bhagwan beansprucht ja, wie Lao Tse zu sein, der wahre Weise, der nicht tut, sondern geschehen läßt und der nicht gepriesen sein will. Nicht alles hier entspricht der Weisheit des Buches von Lao Tse „Tao Te King". Aber jedenfalls ist das hier kein Staat, zu dem jemand verurteilt wäre.
Aber ich will gerade auf die Ebene hinweisen, weil sie mir die wesentlichere zu sein scheint, die Du mit Deiner Frage nicht anzielst. In der europäischen Kultur kommt sie nicht eigentlich vor: das Verhältnis zwischen einem Meister, der mehr als Hans Sachs ist, und seinen Jüngern. Was darüber im christlichen Evangelium steht, etwa Johannes betreffend, kommt in der europäischen Praxis kaum vor. Warten wir doch einmal unvoreingenommen ab, was dieser Weg bringt. Im „Hyperion" Hölderlins steht der Ausruf: „Einer aber, der ein Mensch ist, ist er nicht mehr denn Hunderte, die nur Teile sind des Menschen!"
Meister leben davon, daß ihre Jünger ihre Individualität aufgeben. Zumindest Bhagwan verlangt das: biografielose, sozial bindungslose Menschen, die im Hier und Jetzt leben. Da gibt es in der europäischen Tradition etwas, das ich nicht opfern wollte.
Ich ebensowenig, aber Deine Frage verkennt den Punkt. Selbstverständlich kommen hier die Gottes-Sannyasins vor (und, gefährlicher, auch solche mit sektiererischem Hochmut). In den Workshops habe ich nichts erfahren, was mir irgendeine Stärke, irgendwas Bewahrenswertes aus meiner Biografie nehmen könnte. Der Grundgedanke Bhagwans ist allerdings radikal: Alles das in der Biografie, in den sozialen Bindungen, das uns an die Muster der bestehenden kulturellen Gesamtverfassung fesselt, soll fallen. Es geht um die Bereinigung des inneren Bauplatzes für eine andere Kultur. Das Prinzip ist richtig.
Nur bejahe ich die Verabsolutierung nicht. Für die europäische Kultur muß letzten Endes gelten, was Christus zu den jüdischen Traditionen sagte: „Ich bin nicht gekommen, um aufzulösen, sondern um zu erfüllen."
Du schlägst, für die Bundesrepublik Kommune-Projekte vor. Gibt es Momente der Bhagwan-Kommune. die Du in keinem Fall weiterempfehlen würdest?
Ich stelle mir diese Frage nicht, weil gar nichts davon abhängt, wie ich sie beantworte. Rajneesh-Puram ist was Ganzes, dessen Einheit in dem außerordentlichen Menschen liegt, ohne den es nicht entstünde. Wer anders ist als Bhagwan, kann nur eine andere Kommune gründen. Die wird nicht nach der Methode projektiert, allen Leuten wohlgefällige Züge zu kombinieren. Ich selber zum Beispiel habe keinen Autofimmel. Also würde eine Kommune, die ich maßgeblich forme, einen anderen Sparren haben.
In Europa, und besonders in der Bundesrepublik, müssen wir kleinräumig arbeiten, nicht mehr als einen Morgen Land pro Person zum Beispiel. Und wir dürfen nicht zu weit entfernt von der übrigen Bevölkerung leben. Was ich mir vorstelle, würde sich zunächst äußerlich von dem hiesigen „indo-amerikanischen" Design unterscheiden, es würde sozusagen „indo-europäisch" aussehen oder „sino-europäisch" (für China, denn ich liebe, wie gesagt, das Tao Te King). In Wirklichkeit geht es um was Innerliches. In Amerika gibt es keine Kathedralen und nicht die Musik, die daraus hervorging. In Europa geht nicht, was nicht auch die Wiederaneignung dieser Bauten und dieser Musik verspräche, worin unsere Kultur kulminierte. Georg Deuter's archaisierend-sakrale Musik für Bhagwan ist gut, aber sie darf nicht den Garten besetzen, in dem die individuelle Cantilene Mozarts blüht.
Mir erscheint, was wir positiv zu bewältigen haben, in zwei der größten Figuren der europäischen Kultur, die gewissermaßen am Anfang und am Ende der Zeit der Kathedralen und der großen Musik stehen, in Bernhard von Clairvaux und Ludwig van Beethoven. Beethoven kennt man noch. Bernhard (nach dem der Alpenpaß noch heißt) war Mystiker, Klosterreformator, Kreuzritter in einem. Beide waren Repräsentanten des europäischen Expansionsgeistes in seiner vornehmsten Gestalt.Wenn wir ihre Geistigkeit und ihre Militanz wiedergewinnen könnten, aber für den Rückzug aus all den eroberten Räumen, den Kolonien und Imperien welcher Art auch immer... Wenn ich daran denke, was kommen sollte, fällt mir die Linie von Joachim di Fiore bis zu Thomas Müntzer ein. Über beide kann man sich gut bei Ernst Bloch informieren, im „Prinzip Hoffnung" und in einem Extra-Buch über Müntzer. Joachim schwebte nach dem Reich des Vaters (Altes Testament) und dem Reich des Sohnes (Neues Testament), wo der Mensch noch einen Vermittler braucht, eben Christus, ein Drittes Reich als das nun schon kommende vor, in dem der Geist Gottes sozusagen gleichmäßig über alle ausgegossen sein sollte. Alle gleich nahe zu Gott. Politisch gedacht wäre das „mystische Demokratie". Später, sekularisiert, in der klassischen und romantischen Zeit, hieß das bei Shelley „Republik der Könige". Hölderlin feiert es in dem Gedicht „Die Eichbäume". Dahinter möchte ich nicht zurück.
Und nimmst du was Konkreteres mit?
Eben gerade, daß ich keinen vorgefaßten Plan machen soll, wie alles äußerlich zu gestalten wäre, sondern die Menschen finden muß, die so etwas mit mir versuchen wollen. Die Verständigung darüber, was wir eigentlich sind und was aus uns hervorgehen kann, wie wir sind, ist die eigentliche Vorbereitung.
Das Gespräch mit Rudolf Bahro führte damals vor Ort Klaus Wolschner
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!