Interview mit Regisseur Solanas: "Das ist Landesverrat"
Argentiniens Regierung lässt zu, wie Ölmultis das Land ausbeuten, sagt Fernando Solanas. Der Filmregisseur ist Kandidat für die Präsidentschaftswahlen.
taz: Herr Solanas, am Sonntag wird Argentinien wohl eine neue Präsidentin wählen. Geht es dem Land nach vier Jahren Regierung Néstor Kirchner besser?
Fernando Solanas: Mag sein, dass es heute besser ist als zuvor. Aber das ist keine Meisterleistung, nach der Wüste, die Fernando de la Rúa 2001 hinterlassen hat. Man muss sich jedoch anschauen, woher die Leute von Kirchner kommen. Es sind die gleichen Funktionäre wie bei Carlos Menem und Eduardo Duhalde. 2001 wollten viele, dass die endlich verschwinden, heute gelten sie als fortschrittlich.
Aber Kirchner ist mit seiner Menschenrechtspolitik doch äußerst populär gestartet?
Einverstanden. Als Kirchner 2003 sein Amt antrat, kündigte er an, die Amnestiegesetze für die Militärs zu überprüfen. Das war spektakulär. 80 Prozent der Bevölkerung unterstützten ihn. Zudem hat er den Obersten Gerichtshof erneuert. Auch das ist keine Kleinigkeit.
Kirchner war auch wirtschaftlich erfolgreich. Vier Jahre lang acht Prozent Wachstum sind kein Pappenstiel.
Unter Kirchner hat es keine wirkliche Umverteilung gegeben, trotz dieses Wachstums. Jedoch hat es die Regierung Kirchner geschafft, ein gutes Image von sich zu verkaufen. Fast alle führenden Köpfe der sozialen Bewegungen sitzen bei Kirchner am Tisch und essen mit. Und keiner kann mehr zurück. Würde es jemand tun, er würde von der Basis gevierteilt. Denn die isst auch mit.
Also doch eine Art von Umverteilung?
Das sind Brotkrümel, während nebenan die Bäckerei geplündert wird. In Argentinien stellt noch immer niemand das neoliberale Modell infrage. Das Land ist reich an Ölvorkommen, bei Metallerzen liegt es auf Platz sechs der Welt. Die Produktionskosten für ein Fass Öl betragen fünf Dollar, auf dem internationalen Markt liegt der Preis bei über 80 Dollar. Wer heute über Öl verfügt, hat ein enormes Entwicklungspotenzial. Die Ölmultis in Argentinien haben keine Auflagen, das Öl im Land zu raffinieren, und zahlen keine Steuern. Sie sind auch nicht verpflichtet, ihre Gewinne wieder nach Argentinien zurückzuführen. Seit den 90ern exportieren sie Erdöl ohne jegliche öffentliche Kontrolle. Es gibt nicht einen staatlichen Kontrolleur, der überwacht, was gefördert und exportiert wird. Das Ausmaß an Betrug und Schwindel ist monumental. Es gibt kein anderes Land, das so etwas zulässt.
Lateinamerika scheint derzeit zweigeteilt. Venezuela, Bolivien und Ecuador fordern ihren Besitz an den Bodenschätzen ein. Warum tut Argentinien dies nicht?
Kirchner hat nicht einen Schritt gegen die Transnationalisierung von argentinischem Grund und Boden unternommen. Im Gegenteil, er hat grünes Licht für die erneute Privatisierung der Konzessionen für die Erdölförderung und den Bergbau gegeben. Kirchner hat durchgesetzt, dass den Provinzen die Bodenschätze überlassen werden. Die zehn Provinzen, die heute behaupten, die Bodenschätze gehörten ihnen, verhandeln direkt mit den Multis. Wegen den Wahlen und für alle Fälle haben die Ölfirmen verlangt, die Verträge vorher zu verhandeln. Die Konzessionen wären 2017 ausgelaufen, und bereits jetzt, zehn Jahre davor, wurde alles verlängert. Menem hatte sie für 25 Jahre ausgestellt, unter Kirchner wurden sie vor wenigen Wochen für weitere 30 Jahre verlängert. Zehn Jahre vor dem Auslaufen der Konzessionen wurden sie bis 2047 verlängert. Keiner greift den Kern des Modells an, und der Kern ist die Plünderung. Und auch keiner der Oppositionskandidaten redet darüber.
Aber die Multis bekommen das nicht umsonst.
In Argentinien wird jährlich Öl im Wert von 16 Milliarden Dollar gefördert. Die Abgaben an den Staat belaufen sich auf zwölf Prozent. Heute gibt es in Lateinamerika außer Argentinien kein Land, das Abgaben unter 50 Prozent zulässt. In Venezuela bekommen die Ölfirmen 18 Prozent, und 82 Prozent bleiben beim Staat, ähnlich ist es in Bolivien. Und wir sollen glauben, die Provinzgouverneure bekommen nur zwölf Prozent? Oder fließt da noch etwas in andere Kassen? Jedenfalls verscherbeln sie die Zukunft der kommenden Generationen. Das ist ein Akt schweren Landesverrats. In der Ehrenvitrine mit den größten Landesverrätern wird einmal gleich neben der Büste von Carlos Menem, die von Néstor Kirchner stehen. Und Cristina Kirchner als Präsidentin wird diese Politik fortsetzen.
Falls Sie zum Präsidenten gewählt werden - was machen Sie in den ersten 100 Tagen?
Sofortige Nationalisierung von Erdöl, Gas und Bergbau. Jedoch nicht über Enteignung, sondern über eine Neuverhandlung der Verträge. Das hat Evo Morales in Bolivien in sechs Monaten geschafft, und nicht ein Multi hat das Land verlassen. Bolivien zeigt, dass dies in Lateinamerika möglich ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!