Interview mit Parteienforscher: "Erfolg der Piraten bleibt Ausnahme"
Politikwissenschaftler Uwe Jun nach der Berlin-Wahl über den ausklingenden Trend pro Grün, die Chancen der Piraten in anderen Regionen und den Einfluss Wowereits.
taz: Herr Jun, die SPD brachte es bei der Berlin-Wahl auf rund 29, die Grünen auf rund 18 Prozent. Ist Rot-Grün mit diesem Ergebnis jetzt sicher?
Uwe Jun: Das kann man im Moment nur schwer sagen, da sich beide erst auf eine gemeinsame Politik einigen müssten. Es gibt ja einige strittige Punkte, vor allem den Ausbau der A100, aber auch die Aufstockung der Lehrerstellen. Die Grünen werden ihre Forderungen sicher stellen, aber Klaus Wowereit hat schon vorher gesagt: Das kann eine neue Landesregierung nicht erfüllen. Ich bin mir aber sicher, dass es zunächst Koalitionsgespräche zwischen SPD und Grünen geben wird. Die zweite denkbare Koalition, Rot-Schwarz, ist weniger wahrscheinlich.
Wird es die SPD in einem rot-grünen Senat generell schwerer haben, sich durchzusetzen, als mit Rot-Rot?
SPD und Linke hatten in Berlin einen Modus Vivendi gefunden, mit dem es ihnen gelungen ist, in zentralen Fragen Einigkeit herzustellen. Dieser Vorteil schien aber in letzter Zeit aufgebraucht. Deshalb wurde Wowereit auch als amtsmüde und abgearbeitet wahrgenommen. Erst durch den einsetzenden Wahlkampf kam wieder Belebung in die Koalition. Für die SPD kann ein neuer Koalitionspartner durchaus auch neue Energie bringen und sie davor bewahren, in Routine zu erstarren.
Nach Mecklenburg-Vorpommern ist die FDP nun auch aus dem Berliner Landtag geflogen. Droht den Liberalen jetzt der Untergang?
Die FDP befindet sich derzeit sicher in einer der schwersten, wenn nicht sogar in der schwersten Krise in der Geschichte der Bundesrepublik. Auf Bundesebene ringt sie verzweifelt um ein Profil. Mit der Ablehnung von Eurobonds und der Hilfe für die Euro-Krisenländer versucht sie derzeit ein Thema zu finden, mit dem sie in ihrem eigenen Bereich punkten kann. Aber der Wähler reagiert auf solche Entwicklungen nicht so schnell, sondern braucht mehr Zeit. Die FDP muss überlegen, wie es weitergehen soll, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie aus der Regierung aussteigt. Für die Koaliton im Bund bedeutet das natürlich eine erhebliche Belastung und es bleibt abzuwarten, wie die Union reagiert, wenn die FDP offensiver wird.
ist Sprecher des Arbeitskreises "Parteienforschung" der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft sowie Professor für "Vergleichende Regierungslehre - Westliche Regierungssysteme und Bundesrepublik Deutschland" an der Universität Trier.
Ganz anders sieht es bei den Piraten aus, die erstmals in ein Landesparlament einziehen konnten. Glauben Sie an einen einmaligen Erfolg oder könnte es mit den Piraten einen ähnlichen Verlauf nehmen wie mit den Grünen?
Ich glaube das Ergebnis der Piraten ist eher exzeptionell und nicht der Startschuss für einen grandiosen Erfolg. Die Piraten hatten in Berlin günstige Ausgangsbedingungen. Sie sind hier entstanden, bewegen sich also auf ihrem ureigensten Feld. Es gibt auch eine entsprechende Wählerschaft, die ihnen entgegen kommt. Wähler, die in anderen Ländern vielleicht zu den Grünen gewechselt wären, haben in Berlin die Piraten gewählt. Diese haben sich thematisch erweitert und einen originellen Wahlkampf betrieben. Dazu kam dann noch ein schwacher Wahlkampf der Grünen und später auch schwache Prognosen für Künast. Für die Piraten wird es aber sehr schwer werden, mit ihrem Programm in weniger linksliberalen Kreisen außerhalb Berlins zu punkten.
Die Piraten stellen teilweise sehr hohe Forderungen, etwa den öffentlichen Nahverkehr kostenlos zu machen. Jetzt müssen sie sich an der Realität messen lassen. Kann das nicht auch nach hinten losgehen?
Das denke ich vorerst nicht. Die Piraten sind in der Opposition und können daher nicht direkt gemessen werden. Jetzt müssen sie aber parlamentarische Arbeit betreiben und die kann mühsam und kleinteilig sein. Ihre Forderungen können sie allerdings weiter erheben.
Die Linke muss nun in die Opposition gehen. Wird das auch bundesweit negative Folgen für die Partei haben?
Ich denke nicht. Die Berliner Linken hatten immer eine Außenseiterrolle innerhalb der Partei. Sie galten als der realpragmatische Verband und haben auch nie Spitzenpositionen innerhalb der Bundespartei belegt. An der Strategie der Linken wird sich durch das Wahlergebnis nichts ändern.
Das Ergebnis der Berlin-Wahl spiegelt den bundesweiten Trend deutlich wider. Wie viel wurde bei dieser Wahl überhaupt vor Ort bestimmt?
Das ist eine gute Frage, die wir in der Politikwissenschaft nie ganz beantworten können. Meine persönliche Einschätzung ist, dass die SPD in Berlin durchaus einen Vorteil durch die Beliebtheit von Wowereit hatte. Ansonsten sind die Bundestrends deutlich sichtbar und es gab kaum regionale Einflüsse, abgesehen von den Piraten. Für die Grünen ist es natürlich enttäuschend, dass Renate Künast als Spitzenkandidatin keinen positiven Effekt hatte.
Der Wahlkampf der SPD basierte auch fast vollkommen auf Wowereits Person. Sind Inhalte im Wahlkampf überschätzt?
Auch das ist eine Frage, die in der Politikwissenschaft nicht vollkommen geklärt ist. Der Wähler hat mit Sicherheit eine unterschiedliche Wahrnehmung. Da spielen Inhalte schon eine Rolle, aber eben auch die Kandidaten. Das Ergebnis der SPD liegt mit Sicherheit auch an Wowereits Person, aber der Wähler verbindet mit dieser Person eben auch die Politik. Er sieht Kandidat und Thema in Einem. Hätte es eine große Unzufriedenheit mit der Arbeit des Senats gegeben, hätte Wowereit auch anders gewirkt. Es gab aber keine wirkliche Wechselstimmung in Berlin.
Die CDU konnte ein gutes Ergebnis einfahren, bleibt aber wahrscheinlich in der Opposition. Wie geht es jetzt weiter für die Union in Berlin?
Die CDU konsolidiert sich auf einem niedrigen Niveau. Das Ergebnis von heute ist nicht schlecht im Vergleich zum vorherigen. Man darf aber nicht vergessen, dass das Ergebnis vor fünf Jahren sehr schlecht für die damalige CDU war. Frank Henkel, der jetzige CDU-Spitzenkandidat, kann mit dem Ergebnis leben. Aber die CDU in Berlin muss ein klares Profil gewinnen und Henkel, den noch wenige kennen, eine klare Linie finden. Auch programmatisch muss die Partei Wege finden, wie sie wieder stärker als Berliner Großstadtpartei wahrgenommen wird.
Die Grünen konnten zwar zulegen, blieben aber hinter den ursprünglichen Erwartungen zurück. Was heißt das für die Partei?
Zunächst einmal heißt das, dass Künast auf Bundesebene bleibt. Man darf aber nicht vergessen, dass das Ergebnis zwar besser, aber nicht wesentlich besser ist als vor fünf Jahren. Abhängig von der Wahlbeteiligung muss man überhaupt erstmal sehen, ob mehr Menschen die Grünen gewählt haben. Der große Trend zu den Grünen geht aber anscheinend langsam zu Ende. Immerhin hatten sie in Berlin ein für sie günstiges Feld. Innerhalb der Grünen wird das sicherlich nicht als Wahlerfolg gesehen, auch wenn man es nach außen so darstellen wird. Jetzt kommt es in den Koalitionsverhandlungen darauf an, die grünen Themen durchzusetzen. Das hat bisher in manchen Ländern gut, in anderen schlechter geklappt. Außerdem sollten sie versuchen, auch Positionen der Piraten in die Gespräche einfließen lassen. Denn die jungen Wähler, die zu den Piraten gewandert sind, stehen den Grünen näher, als anderen Parteien. Die Grünen müssen versuchen, Piratenwähler zurückzugewinnen.
Hat Renate Künast mit diesem Ergebnis eine persönliche Schlappe erlitten?
Es ist sicher so, dass sie am Ende keinen Rückenwind erhalten hat. Sie hat mit ihrer Kandidatur nicht geschafft, was sie wollte, und zwar eine herausragende Position im Führungsquartett aus jeweils zwei Partei- und Fraktionsvorsitzenden der Grünen zu erlangen. Mit diesem Ergebnis ist sie keine Gewinnerin, sondern hat eher die Position der anderen im Quartett gestärkt.
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