Interview mit Finanzsenator Nußbaum: "Kein Trittbrettfahrer der Nation"
Berlin leistet sich den Luxus beitragsfreier Kitas und gebührenfreier Studiengänge - auf Kosten anderer Bundesländer. Falsch, sagt Finanzsenator Ulrich Nußbaum im taz-Interview.
taz: Herr Nußbaum, in den Haushaltsberatungen rühmt sich der Senat, schon 2016 keine neuen Schulden mehr zu machen. Doch auch dann wird Berlin noch von Milliardenhilfen anderer Bundesländer abhängen, vor allem aus Bayern. Ist das nicht Augenwischerei?
Ulrich Nußbaum: Was heißt Augenwischerei? Das wäre es dann, wenn dieser Länderfinanzausgleich nicht Teil unserer föderalen Finanzarchitektur in der Bundesrepublik wäre. Wenn wir etwas Illegitimes bekämen, hätten Sie recht – aber so ist es ja nicht.
Illegitim vielleicht nicht – aber zu viel, meinen bayerische Politiker: weil Berlin ja selbst mehr Geld hätte, wenn es nicht auf Kita-Beiträge und Studiengebühren verzichten würde.
Der Länderfinanzausgleich ist kein Ausgleich für übergroße Ausgaben oder ein Lotterleben, wie mein bayrischer Kollege Markus Söder oder andere meinen, sondern ein Ausgleich für strukturelle Nachteile eines Bundeslandes.
54, trat am 1. Mai 2009 die Nachfolge von Thilo Sarrazin als Finanzsenator in Berlin an. Von 2003 bis 2007 war der parteilose Politiker Finanzsenator in Bremen.
Das ist ja auch grundgesetzlich geregelt in Artikel 107 des Grundgesetzes. Und im Kommentar dazu heißt es, der Ausgleich solle für „annähernd gleiche Lebensverhältnisse“ sorgen. In der Praxis dreht sich das aber um: Eltern im reichen Bayern müssen für die Kita zahlen, das arme Berlin macht sie auch für Reiche beitragsfrei.
Sie haben immer noch nicht begriffen, worum es geht. Nämlich nicht darum, ob wir mit dem Länderfinanzausgleich Kita-Gebühren finanzieren oder nicht. Wir bekommen Geld als Ausgleich für unsere schwache Wirtschaftsstruktur, und zwar ohne Vorgaben, wie wir das verwenden. Entscheidend ist, wie stark unsere Ausgaben gewachsen sind, und wie stark die im Bundesschnitt oder in Bayern: Und unsere sind in den letzten zehn Jahren nur um 2,3 Prozent gewachsen, die in Bayern aber um 12 Prozent.
Ja, aber die Bayern bezahlen das auch von ihrem eigenen Geld. Wie erklären Sie dem Bayern, der vielleicht gar nicht abgeneigt ist, Nachteile in Berlin auszugleichen, warum die in Berlin sich so viele Vorteile leisten können, die er nicht hat?
Falsch, falsch, Sie sind immer noch bei den Ausgaben und den gleichen Lebensverhältnissen.
Nach der Definition des Bundesfinanzministeriums hat der Länderfinanzausgleich die Aufgabe, "die sich durch die Steuerverteilung ergebenden Finanzkraftunterschiede unter den Ländern angemessen auszugleichen".
Beim Ausgleich unter den Ländern spricht man vom horizontalen Finanzausgleich. Durch ihn sollen alle Länder in die Lage versetzt werden, den ihnen zugewiesenen Aufgaben nachzukommen. Die sogenannten Geberländer entrichten Ausgleichszahlungen an die Nehmerländer. Die Berechnung ergibt sich aus dem Vergleich verschiedener Bedarfsmesszahlen.
Gesetzliche Grundlagen sind Artikel 107 des Grundgesetzes, das Maßstäbegesetz sowie das Finanzausgleichsgesetz. (taz)
Aber gerade die sind doch der zentrale Gedanke von Grundgesetzartikel 107.
Das hat aber nichts mit dem Länderfinanzausgleich zu tun.
Aber der beruht doch darauf.
Nein, denn der Finanzausgleich ist viel komplexer. Wenn wir mal einzahlen – Bayern war ja über Jahrzehnte auch Nutznießer des Finanzausgleichs –, dann zahlen wir auch nicht den Bayern ihr 10 Milliarden teures Bankendebakel in Österreich. In Bayern diskutiert doch auch keiner die Notwendigkeit des kommunalen Finanzausgleichs, da zahlt die reiche Gemeinde am Tegernsee für eine arme ostfränkische. Dass die nicht gern für die Preußen in Berlin zahlen, ist mir klar.
Aber die am Tegernsee zahlen nur so lange gern für die Ostfranken, wie sie das Gefühl haben: Wir helfen denen, damit ihr Teller mittags auch voll ist. Die wären aber auch sauer, wenn die Franken oben auf dem Teller noch Kaviar hätten.
Es ist die eigene Entscheidung der Gemeinde, ob sie ihr Schwimmbad dichtmacht und stattdessen eine Schule ausbaut. Das ist Teil der kommunalen Autonomie – genauso wie es Teil der Landesautonomie ist, zu entscheiden, wo man im Rahmen eines Budgets Schwerpunkte setzt. Sonst könnten Sie die Bundesländer gleich auflösen und unter Staatskuratel stellen.
Aber wenn schon föderal, warum dann auf Beiträge auch von Begüterten verzichten und stattdessen bei der Grundversorgung der Menschen streichen und die Berliner Bezirke nötigen, Bibliotheken dichtzumachen?
Wir nötigen die Bezirke gar nicht,
Das sehen die anders.
… das ist eine eigene Entscheidung der Bezirke, wie sie das Geld ausgeben, dafür haben sie eine Bezirksverordnetenversammlung. Wir weisen eine Summe zu, und die Bezirke sind in der Verantwortung, mit diesem Geld auszukommen – so wie ich im Landeshaushalt auch mit dem Geld auskommen muss, das ich zur Verfügung habe. Aber lassen Sie uns noch mal auf das Thema Solidarität kommen.
Ihr Kollege Söder von der CSU sagt: Bayern ist solidarisch, aber nicht blöd!
Wir sind auch solidarisch und nicht blöd. Wir, das klamme Berlin, helfen nämlich Bayern. Und wissen Sie auch, wo?
Nein.
War mal eine Testfrage. Das geht nämlich immer unter. Also, als es 2008 darum ging, mit einem Riesenaufwand und 400 Milliarden die Banken zu retten – hatte da Berlin eine Staatsbank, die davon profitiert hätte? Nein. Aber die Bayern hatten eine, die Baden-Württemberger hatten eine, die Nordrhein-Westfalen und die Niedersachen auch. Die haben wir gestützt, da wir ja anteilig mit unserem Vermögen am Bankenrettungsschirm beteiligt waren. Das wird immer vergessen. Offenbar ist das Marketing der Bayern in dieser Hinsicht besser.
Wo wir bei der Selbstvermarktung sind: Würden Sie denn zum Karneval als Punk rumlaufen und um ein paar Euro schnorren? Das hat nämlich Ihr Kollege Söder gemacht, um seine Kritik an Berlin noch anschaulicher zu machen.
Nein, würde ich nicht. Ich würde auch nicht in bayerischer Tracht auftreten.
Aber das ist ja nicht nur ein Karnevalsspaß gewesen. Bayern hat angekündigt, am Bundesverfassungsgericht gegen den Länderfinanzausgleich zu klagen.
Angekündigt haben die viel, das haben auch die Baden-Württemberger und die Hessen. Das ist doch nur Wahlkampfgetöse, die wollen intern die Reihen schließen. Tatsache ist, dass Bayern dem Länderfinanzausgleich bis 2019 zugestimmt hat. Und sie haben im Rahmen des Stabilitätsrats mit unterschrieben, dass sie unser Sanierungsprogramm für gut befinden. Das passt doch nicht zusammen: uns einerseits damit in Berlin gute Arbeit attestieren und auf der anderen Seite Prasserei vorwerfen.
Da gibt es aber immer noch die Aussage Ihres Vorgängers Thilo Sarrazin, es würde sich für Berlin kaum lohnen, seine Einnahmen zu steigern, weil es dann weniger Geld aus dem Finanzausgleich gibt.
Das ist ja Quatsch.
Wieso? Höhere Einnahmen werden doch tatsächlich verrechnet.
Aber wenn sich alle so verhielten, würde der Topf insgesamt leerer. Natürlich haben wir ein Interesse, unsere Einnahmen zu steigern, vor allem über die Gewerbesteuer, die nur zu einem Teil verrechnet wird. Außerdem hat Berlin ja nun gerade gezeigt, dass es sich um höhere Einnahmen bemüht: Wir haben die Grunderwerbssteuer angehoben, wir werden eine City-Tax einführen. Es ist nicht unser Interesse, Trittbrettfahrer der Nation zu sein.
Noch einmal zu den Kitas: Der Gedanke, Einkommensschwächere nicht mit Beiträgen abschrecken zu wollen, ist ja nachvollziehbar. Aber warum brauchen auch Eltern ab, sagen wir mal, 60.000 Euro Einkommen nichts zu bezahlen?
Wir haben eine Werteentscheidung getroffen, dass keiner da wegen seines Gehalts in Diskussionen kommt. Ich würde mich ja freuen, wenn jeder, der so viel verdient, seinen eingesparten Kita-Beitrag an die Kita spendet.
Dann können Sie es auch gleich zur Pflicht machen.
Ich sage ja nicht, dass man das nicht anders entscheiden kann. Aber wir haben das politisch so entschieden, wie es jetzt ist, und dann kann es auch sein, dass als Folge davon eine Bibliothek geschlossen wird. Das ist aber eine Entscheidung, die Berlin trifft und nicht der Herr Seehofer oder der Herr Söder in Bayern. Der Herr Seehofer kann von mir verlangen, dass ich, solange ich Schulden mache, mein Ausgabenwachstum geringer als in anderen Bundesländern halte. Aber wie wir das ausgestalten, das bleibt unsere Sache.
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