Interview: Vietnamesen in Berlin: „Ziel ist der Sprung in die Mittelschicht“
Es nervt Khuê Phạm, ständig gefragt zu werden, wo sie herkomme. Das passiere aber immer seltener, sagt die Journalistin: Berlin werde in seinem Selbstverständnis multikultureller
taz: Frau Pham, nervt Sie als Deutschvietnamesin die deutsche Mehrheitsgesellschaft manchmal?
Khuê Pham: Manchmal nervt es mich, wenn Leute wiederholt fragen, woher ich komme. Mich stört die Frage an sich nicht, aber es gibt Menschen, die drei Mal nachhaken und dann fragen, wo meine Wurzeln liegen. Das finde ich nicht rassistisch, aber ein bisschen unhöflich.
Was antworten Sie dann?
Dass meine Eltern aus Vietnam kommen, ich aber hier geboren bin. Die Frage zielt ja auf meine Haut- und Haarfarbe ab. Früher hatte ich das Gefühl, vielen war nicht klar, dass es Leute gibt, die nicht weiß, aber in Deutschland geboren sind – dass es mehr gibt als nur die Kategorie Ausländer oder Deutsche. Aber mir ist aufgefallen, dass es früher mehr nervige Situationen gegeben hat als jetzt.
Kommt das, weil sich die Gesellschaft verändert hat, oder weil Sie eine erfolgreiche Journalistin sind?
Ich glaube zum einen, dass sich die Gesellschaft und Berlin sehr stark weiter entwickelt haben. Berlin ist viel internationaler geworden und in seinem Selbstverständnis multikultureller. Zum anderen glaube ich aber auch, dass ich durch meine Arbeit in einer anderen Position bin. Das führt dazu, dass die Leute vielleicht anders auf mich zugehen.
Zahlen In Berlin leben etwa 26.000 Menschen mit vietnamesischen Wurzeln, etwa 10.000 davon haben die deutsche Staatsbürgerschaft. Das ist die größte vietnamesischstämmige Community in Deutschland. Insgesamt leben etwa 100.000 Menschen vietnamesischer Herkunft in der Bundesrepublik.
Geschichte Die DDR hatte Menschen aus Vietnam als ArbeiterInnen etwa in der Textilindustrie aufgenommen. Auch zum Studium kamen VietnamesInnen in das Land. Die meisten haben Deutschland nach der Wende verlassen. Die Bundesrepublik hatte in den 70er und 80er Jahren vor allem Geflüchtete aus Vietnam aufgenommen. 1989 lebten in der DDR etwa 60.000, in der Bundesrepublik um die 40.000 VietnamesInnen.
Mehr über Vietnamesen in Berlin am Samstag in der gedruckten taz.Berlin.
Was ist vietnamesisch an Ihnen als in Berlin geborenes Kind vietnamesischer Eltern?
Das lässt sich schwer sagen. Natürlich kommen meine Eltern aus Vietnam, ich bin auch strenger erzogen worden als meine Schulfreunde. Aber jede berufstätige Mutter kennt den Rollenwechsel, wenn sie das Büro betritt, nach Hause kommt oder zum Kindergarten geht. So ist es auch mit kulturellen Eigenschaften: Unter Vietnamesen legt man andere Verhaltensweisen stärker an den Tag als unter Deutschen. Mit meinem Freund gehe ich auch mal ins Dong Xuan Center, aber das ist kein großer Teil meines Alltags. Und wenn ich meine Eltern treffe, spreche ich mit ihnen Deutsch.
Obwohl die Deutschvietnamesen eine „visible minority“ – also als Minderheit sichtbar, erkennbar – sind, scheinen sie in der öffentlichen Wahrnehmung „invisible“. Es existieren kaum negative Stereotype wie über andere Einwanderergruppen.
Khuê Phạm, Jahrgang 1982, geboren in Berlin, arbeitet als Redakteurin beim Zeitmagazin. 2012 veröffentlichte sie gemeinsam mit den Journalistinnen Alice Bota und Özlem Topçu das Buch „Wir neuen Deutschen“ im Rowohlt-Verlag.
Es gibt Stereotype wie „sind fleißig, gut in der Schule, arbeiten hart für geringen Lohn“. Das sind positive Klischees, aber dennoch Klischees. Sie sind aber erst in den letzten zehn Jahren aufgekommen. Davor lautete das Klischee eher: „Vietnamesen sind die, die illegal Zigaretten verkaufen.“ Das wandelt sich. Und natürlich sind Vietnamesen nicht weiß, man erkennt sie.
Was hat es denn mit dem Klischee vom „fleißigen Vietnamesen“ auf sich?
Die meisten Vietnamesen, gerade die jüngeren, sprechen super Deutsch und sind Studien zufolge überdurchschnittlich gut in der Schule.
Woran liegt das?
Das hängt damit zusammen, dass in vielen Familien Bildung das allerhöchste Gut ist. Die Familienbiografien zielen darauf, dass der Sprung in die Mittelschicht geschafft wird. Und die Eltern identifizieren sich mit den Leistungen ihrer Kinder, sie reden darüber: „Mein Kind hat das Abitur mit 1,5 gemacht, meins mit 1,2.“ Das schützt vor negativen Vorurteilen, denn in Deutschland wird vor allem über die Gruppen geredet, die „Probleme machen“. Früher waren es die Polen, die angeblich Autos klauten, jetzt sind es vor allem Muslime, die angeblich Frauen schlecht behandeln. Bei den Vietnamesen gibt es keinen Diskurs über Kriminalität.
Auch bei muslimischen Einwanderern gibt es Erfolgsgeschichten, die von der Mehrheitsgesellschaft aber nicht so bewertet werden.
Ich denke, das hat mit dem 11. September begonnen. Meine deutschtürkische Kollegin Özlem Topçu hat gesagt, dass sie danach auf einmal zur Muslima gemacht wurde. Die Kriege im Nahen Osten, das Aufkommen des islamistischen Terrorismus, die Terroranschläge – das prägt die Wahrnehmung vieler Deutscher. Da vermischen sich Erfahrungen aus dem eigenen Leben mit Ängsten oder Sorgen über die Welt allgemein. Über Vietnam dagegen gibt es aktuell kein großes Narrativ.
Gibt es nicht?
Es gab den Vietnamkrieg, der im Bewusstsein der Deutschen relativ präsent war. Aber sonst verfolgt kaum jemand, was dort passiert. Die Konflikte im Südchinesischen Meer sind etwas für Experten. Die Leute hier machen eher die Erfahrung, der Blumenhändler ist so nett, das vietnamesische Essen ist so lecker.
Vietnamesische EinwanderInnen partizipieren auch wenig in der Gesellschaft, anders als etwa türkische mit zahlreichen Organisationen.
Die türkische Gemeinde ist viel stärker politisiert, aktuell etwa durch die Konflikte um Erdoğan. Sie haben das Gefühl, dass das viel näher dran ist an ihnen. Und das ist ja tatsächlich so. Vietnam hingegen ist weit weg. Und es scheint kein konkretes Anliegen zu geben, für das man auch in Deutschland kämpfen könnte. Außerdem ist die Gruppe der Vietnamesen viel kleiner als die der Türken.
Die Entführung des Ex-Politikers Trinh Xuân Than führt zu Konflikten innerhalb der vietnamesischen Community Berlins. Führt sie auch zu einer Neuorientierung der Deutsch-Vietnamesen gegenüber dem Land?
Ich weiß nicht, ob sich irgendjemand deswegen neu positioniert. Ich kann mir aber vorstellen dass einige Vietnamesen, zum Beispiel politische Dissidenten oder kritische Journalisten, die in den letzten Jahren herkamen, selbst Erfahrungen von Unterdrückung oder Verfolgung in Vietnam gemacht haben. Die Frage wäre eher: Gibt es jetzt irgendwelche prominenten Exilvietnamesen, die Angst haben, dass der vietnamesische Geheimdienst seine Finger bis nach Deutschland nach ihnen ausstreckt? Das kann natürlich sein.
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