Interview Jürgen Todenhöfer: "Wir behandeln Muslime wie Halbaffen"
Die Fanatiker sitzen im Westen, sagt Jürgen Todenhöfer, und nicht in der islamischen Welt. Der einstige Konservative setzt sich heute für die westlich-muslimische Aussöhnung ein.
taz: Herr Todenhöfer, am 10. Dezember 1948 wurde die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" verabschiedet, die ausnahmslos jedem Einzelnen zustehen sollen. Sie reisen regelmäßig in den Irak - gibt es dort Menschenrechte?
Der Private: Jürgen Gerhard Todenhöfer wurde 1940 in Offenburg geboren. Er ist in zweiter Ehe verheiratet, hat drei Kinder und lebt in München.
Der Jurist: Todenhöfer studierte Rechts- und Staatswissenschaften und arbeitete zunächst als Richter. Der Politiker: 1972 kam er für die CDU in den Bundestag und war entwicklungspolitischer, später abrüstungspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Er fiel vor allem durch seine konservative Haltung auf. 1990 gab er sein Mandat ab.
Der Medienmanager: Im Februar 1987 fing er im Burda-Konzern an, wenige Monate später wurde er Stellvertreter von Verleger Hubert Burda. Am 12. November, seinem 68. Geburtstag, hat Todenhöfer den Verlag verlassen.
Der Autor: Nach "Wer weint schon um Abdul und Tanaya? - Die Irrtümer des Kreuzzugs gegen den Terror" und "Andy und Marwa" über die Schicksale von zivilen Opfern des Afghanistan- und Irakkrieges erschien zuletzt sein Buch "Warum tötest du, Zaid?"
Jürgen Todenhöfer: Die Menschenrechte waren unter Saddam Hussein massiv eingeschränkt, er war ein gnadenloser Diktator, der jetzt durch eine Militärdiktatur der Amerikaner ersetzt wurde. Kein Mensch kann sich frei äußern, sich frei bewegen, das Sozialsystem wurde zertrümmert.
Ging es den Irakern also vor der Besatzung besser?
Fast alles hat sich verschlechtert. Unter Saddam hat die Bevölkerung versucht, an der Diktatur vorbei zu leben. Jetzt haben die Iraker eine Regierung, von der sich die Mehrheit nicht mehr vertreten fühlt. Und sie haben eine amerikanische und letztlich auch eine iranische Besatzung im Land.
Niemand wird bestreiten, dass es im Irak chaotisch und brutal zugeht. Aber ist die Möglichkeit der freien Wahl nicht ein kleiner Fortschritt in Richtung Menschenrechte?
Die Tatsache, dass die Iraker alle paar Jahre unter massivem Polizeischutz irgendwo einen Zettel reinwerfen und eine Liste wählen dürfen, deren Namen sie nicht kennen, nützt ihnen kaum. Es gibt heute weniger Medikamente als vor dem völkerrechtswidrigen Krieg der USA, weniger sauberes Wasser, weniger nahrhaftes Essen, und in den meisten Regionen des Iraks gibt es keine Sicherheit mehr. Wer seine Kinder durch amerikanische Bomben verloren hat, sagt nicht: "Danke, dafür darf ich jetzt wählen."
Sechzig Jahre Menschenrechte - ein gebrochenes Versprechen?
Dem US-Präsidenten ging es nie um Menschenrechte. Das wichtigste Menschenrecht hat das Christentum erkämpft: Die Würde jedes Menschen, auch des Ärmsten. Gegen dieses Menschenrecht hat die amerikanische Besatzung permanent verstoßen. Sie hat die Iraker wie Tiere behandelt, nackte Männer von Frauen durch Gefängnisse schleifen lassen und Pyramiden aus Menschenleibern gebaut. Schlimmer kann man die Menschenwürde nicht missachten.
Ächtet der Westen die Menschenrechte?
Viele Politiker glauben, sobald sie die Grenzen ihres Landes überschreiten, müssten sie bestimmte Gesetze und Regeln nicht mehr einhalten. Sie verbannen die Moral aus der Außenpolitik, sie glauben, im Krieg sei fast alles erlaubt. Aber die Werte, die wir für uns im Inland einfordern, müssen wir auch den Menschen im Ausland zugestehen. In der gesamten muslimischen Welt sitzen die Menschen vor ihren oft uralten Fernsehern und sehen, wie wir Muslime wie Halbaffen behandeln. Eigentlich ist das auch eine religiöse Schande. Juden, Christen und Muslime sind nach ihrem Glauben alle Kinder Abrahams.
Barack Obama hat den Rückzug aus dem Irak angekündigt. Eine gute Idee?
Die Afghanen und Iraker brauchen die Amerikaner nicht für ihre Sicherheit. Wenn die Besatzer weg sind, haben Widerstandskämpfer und Terroristen ihre behauptete Hauptlegitimation, die ausländische Besatzung, verloren. Die Antiterrorkriege sind Terrorzuchtprogramme mit weltweiter Wirkung.
Ist Obama wirklich der heilsbringende Messias, den alle vermuten?
Wenn Obama der muslimischen Welt auf Augenhöhe begegnet, ihr die Hand ausstreckt, sie so fair und gerecht behandelt wie Israel, können die Konflikte gelöst werden.
Sie haben mehrfach über den latenten Rassismus im Westen geschrieben. Wie sieht der aus?
Es gibt im Westen einen versteckten, nicht zugegebenen Überlegenheitskomplex. Viele Westler denken im Inneren, das Leben eines Europäers sei mehr wert, als das Leben eines Muslims. Das ist nicht nur unmoralisch, sondern auch töricht. Der Kampf gegen den Terrorismus wird nicht militärisch, sondern in den Herzen der 1,4 Milliarden Muslime der Welt gewonnen.
Sie behaupten, die westliche Politik gegenüber der muslimischen Welt leide unter einer erschreckenden Ignoranz einfachster Fakten. Die wären?
Es gibt 45 muslimische Länder. Keines von ihnen hat in den letzten 200 Jahren ein westliches Land überfallen. Immer waren wir es, die militärisch angegriffen haben. An den blutigen Kreuzzügen, der Kolonisierung, dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, den furchtbaren Massenvernichtungen unter den chinesischen und den sowjetischen Kommunisten, am Holocaust - an all diesen Verbrechen waren die Muslime nicht beteiligt. Wenn ich lese, dass in Deutschland trotzdem 83 Prozent der Menschen die Muslime für Fanatiker halten, wird doch deutlich, wie wenig wir über die muslimische Welt wissen. Die Fanatiker sitzen im Westen. Nirgendwo bin ich so viel Nächstenliebe und Gastfreundschaft begegnet wie in der muslimischen Welt.
Was treibt den Exrichter, Ex-CDU-Bundestagsabgeordneten und Exmedienmanager Todenhöfer dazu an, in Krisengebiete zu reisen?
Die Suche nach der Wahrheit, die Suche nach Gerechtigkeit und das Gefühl, dass sich Privilegierte für die Rechte der weniger Privilegierten einsetzen müssen. Ich habe in Afghanistan und im Irak zu viel Elend gesehen, um schweigen zu können.
Also vom konservativen Haudrauf zum leidenschaftlichen Weltverbesserer?
Es wäre ja schade, wenn ich mich nicht weiterentwickelt hätte.
Bei ihnen ist die Fallhöhe aber besonders hoch. Immerhin wurden sie von den Grünen wegen Anstachelung zum Angriffskrieg angezeigt, Sie waren eine Provokation für die Linke.
Auch Grüne und Linke haben schon Unsinn erzählt und hoffentlich dazugelernt. Ich habe mich schon in den 70er- und 80er-Jahren für Menschenrechte eingesetzt, habe Geld für Flüchtlinge gesammelt, schwer verletzte Kinder nach Deutschland gebracht. Vielleicht hat es sich die Linke beim Aufbau ihrer Feindbilder manchmal etwas zu leicht gemacht. Natürlich habe ich auch Fehler gemacht. Mensch sein, heißt Fehler machen und daraus lernen - und manchmal auch Brüche zulassen.
Das klingt nach einer Mission.
Was ich mache, ist nichts Besonderes. Goethe nennt diese Brüche übrigens Metamorphose und nicht Mission.
Früher predigten Sie gegen die Linke, heute klagen Sie den Westen für seine Politik gegen die islamische Welt an. Braucht ein Todenhöfer große Gegner?
Ich brauche keine Gegner, ich will Versöhnung. Wir haben die einst undenkbare deutsch-französische Aussöhnung geschafft, dann die deutsch-russische, dann die jüdisch-christliche. Die jetzige Generation muss die westlich-muslimische Aussöhnung schaffen.
Vielleicht sind Sie auch nur ein perfekter Medienexperte in eigener Sache?
Richtig ist, dass selten ein Buch wie "Warum tötest du, Zaid?" so crossmedial vermarktet worden ist. Aber das Buch ist ein Aufschrei im Namen der muslimischen Welt. Ich will diesen Menschen Gehör verschaffen. Ich will zeigen, dass es auch eine andere Sicht der Welt gibt als unsere. Dazu habe ich moderne Marketingmethoden verwendet. Wenn ich leise geblieben wäre, hätte mich niemand gehört.
Ist es nicht auch die Lust am Abenteuer? Von der Bambi-Verleihung nach Bagdad zurück ins Heim nach München, das birgt ja auch einen gewissen Nervenkitzel.
Das ist nicht meine Hauptmotivation. Menschen, die Glück haben, müssen davon etwas abgeben.
Fehlt es an mehr Bürgerjournalisten und Selbstentwicklungshelfern à la Todenhöfer?
Ich halte mich nicht für ein Vorbild. Dafür habe ich zu viele Fehler. Eines meiner Hobbys ist Astronomie. Wenn ich durch mein Teleskop ins All schaue, wird mir jedes Mal bewusst, dass ich nichts bin. Was ich tue, sind kleine Selbstverständlichkeiten. Sie werden die Welt nicht verändern. Aber vielleicht kann ich einigen Menschen helfen, denen es schlecht geht. Dann hat es sich gelohnt.
Sie möchten in zwei Jahren eine Reise ins All antreten. Wie erklären Sie einem irakischen Flüchtlingskind solch kostspieligen, vielleicht sogar überflüssigen Luxus?
Das kann ich nicht. Es würde mich für verrückt halten und hätte damit wahrscheinlich recht. Aber schon als Junge wollte ich irgendwann einmal in den Weltraum, diesen Wunsch erfülle ich mir wahrscheinlich in zwei Jahren. Warum nicht? Ich muss mich nicht für meinen Wohlstand rechtfertigen, weil ich dafür 45 Jahre hart gearbeitet habe und das meiste davon abgebe. Rechtfertigen müssen sich die Schreibtisch- und Sofastrategen, die zur Auslastung ihrer Rüstungsindustrie ständig neue Bösewichte erfinden und andere Länder überfallen, die Politiker, die unsere Soldaten in einen asiatischen Krieg schicken mit der absurden Behauptung, dadurch könne man im Westen sitzende internationale Terroristen ausschalten. Und rechtfertigen müssen sich auch die jungen Leute und die verschlafene Friedensbewegung, die nicht mehr oder nur selten auf die Straße geht.
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