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Interview Experimentalfilm"Geduld fängt den Zug"

Ein Gespräch mit dem amerikanischen Experimentalfilmer James Benning, der für seinen grandiosen "RR" 167 Mal gedreht hat, wie sich ein Zug nähert und an der Kamera vorbeifährt.

167 mal vorbei Bild: berlinale
Interview von Ekkehard Knörer

taz: Mr Benning, in Ihren letzten Filmen wie "13 Lakes" und "10 Skies" haben Sie sich auf eine überschaubare Anzahl von Schauplätzen beschränkt. 13 Einstellungen zeigen einen See, 10 Einstellungen den Himmel. In "RR" sind es nun deutlich mehr: Wie sind Sie bei der Schauplatzsuche vorgegangen?

James Benning: Die Auswahl folgte einer ganzen Reihe von Ideen und Vorgaben. Ich kannte bereits einige spektakuläre Strecken von anderen Reisen, habe aber auch früh über die Geschichte der Eisenbahn nachgelesen. Sehr praktisch waren die vielen Websites von Eisenbahn- Fans. Eigentlich musste ich da nur einen Ort oder Staat eingeben und da waren dann hundert Fotos, die mir einen Eindruck vermittelten. Ich wusste, nur zum Beispiel, dass ich einen "street running"-Zug dabeihaben wollte, der mitten durch die Stadt auf der Straße fährt - das ist freilich so gefährlich, dass es davon nur noch wenige gibt. Insgesamt habe ich 167 Einstellungen gedreht.

Ist "RR" ein Landschaftsfilm? Kommen die Züge der Landschaft nicht immer auch in die Quere?

Es ging mir um das Verhältnis von Zugstrecke und Landschaft, denn die Strecken müssen sich, da die Züge nie mehr als zwei Prozent Steigung bewältigen können, sehr viel mehr als etwa Highways der Landschaft anschmiegen.

Wie haben Sie über die ja sehr unterschiedliche Platzierung der Kamera entschieden?

Prinzipiell wollte ich wirklich die ganze Bandbreite von Möglichkeiten ausschöpfen. Im Einzelfall habe ich mich dann von den örtlichen Gegebenheiten inspirieren lassen. Hier, dachte ich, wäre es gut, den Zug frontal zu filmen. Und am anderen Ort schien es mir besser von oben.

Prinzip Ihrer Arbeiten ist, nach Möglichkeit alles selbst und allein zu machen und damit möglichst viele Parameter zu kontrollieren, also den Ort, die Zeit, die Aufnahmelänge, Bild und Ton. Hier aber haben zum ersten Mal nicht Sie die Länge der Einstellungen vorgegeben. Stattdessen müssen Sie sich nach der Länge der Züge richten, nach der Geschwindigkeit, mit der sie sich durch das Bild bewegen. Haben Sie die Herausforderung gesucht und mit Absicht ein Setting geschaffen, in dem Dinge außer Kontrolle geraten können?

Da Züge nur sehr selten ihre Gleise verlassen, wähnte ich mich eigentlich auf der sicheren Seite. Es wurde aber recht schnell klar, dass ich weniger Kontrolle hatte als zunächst gedacht. Ich hatte Fahrpläne mit groben Angaben zur Häufigkeit der Züge auf einzelnen Strecken, einmal musste ich trotzdem anderthalb Tage warten. Es war wie Angeln gehen. Man packt seine Gerätschaften aus und dann wartet man und mit viel Geduld fängt man hin und wieder einen Zug.

Im Berlinale-Katalog werden die Züge als Ihre "Ko-Autoren" in diesem Film bezeichnet.

Ja, das gefällt mir sehr gut. Ich musste es schließlich auch ganz ihnen überlassen, wie sie sich verhalten würden, wenn sie erst einmal im Bild waren. Da gibt es zum Beispiel den einen etwa in der Mitte des Films, der kurz stehenbleibt und dann wieder anfährt. Das konnte ich nicht vorhersehen, aber es war ein großer Glücksfall. Die Geräusche, die er beim Anfahren macht, dieser Kampf gegen die Trägheit, die riesige Anstrengung der Maschine, das ist ungeheuer beeindruckend. Ich hatte keine Idee, dass der Zug so was machen würde.

Höchst ungewöhnlich sind die Titelsequenz und der Abspann Ihres Films. Sie lauten einfach "RR" und "JB".

Ja, das dürfte ein Rekord sein. (lacht) Ursprünglich wollte ich schon, wie sonst auch, einen Abspann mit den Ortsangaben anfügen. Es ist zum Beispiel nicht unwichtig, zu wissen, dass die Einstellungen des Films keiner geografischen Logik folgen. Das springt wild in den ganzen Vereinigten Staaten hin und her. Letztendlich bin ich der Faszination der Symmetrie erlegen. Ich habe beschlossen, dass ich diese Angaben dann eben auf Kopien im Kinosaal verteile. Blöderweise habe ich jetzt aber vergessen, diese Kopien zu machen ...

Das Off ist in Ihren Filmen von großer Bedeutung - als Ort vor allem, aus dem Geräusche kommen, deren Art und Herkunft oft unklar bleiben. Sie verwenden nach Möglichkeit Originalton. Diesmal gibt es arrangierte Tonsequenzen aus dem Off. Ein Bibelzitat, einen Woody-Guthrie-Song, einen Ausschnitt aus einer Eisenhower-Rede. Warum?

Ich suchte den direkten Bezug zur Geschichte, auch weil die Eisenbahn eine so brutale Vergangenheit hat. Mit ihrer Hilfe sind enorme Vermögen durch Betrug und Ausbeutung entstanden. Den Woody-Guthrie-Song "This Land Is Your Land" habe ich gewählt, weil es da die Strophe gibt, in der Privateigentum heftig kritisiert wird. In den populären Versionen wird die freilich regelmäßig weggelassen. Die Abschiedsrede von Eisenhower hat mich immer schon fasziniert: Die letzte Ansprache eines republikanischen Präsidenten, der die Nation nachdrücklich vor dem militärisch-industriellen Komplex warnt. Und alles, wovor er da 1959 warnt, hat sich bewahrheitet, die Konsumgesellschaft ist längst unsere Wirklichkeit. Und da die Bahn nicht zuletzt die ganzen Waren durchs Land transportiert, wollte ich mir die Freiheit nehmen, aus dem Off so deutlich zu werden.

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