Internetpropaganda für Jugendliche: Kindermund tut Verschwörung kund
Auf Jugend-TV.net verbreiten Jugendliche krude Verschwörungstheorien. Angeblich aus der Freude heraus, aufklären zu wollen.
Besonders glaubhaft wirkt es nicht, das Bild von Kindern, die sich über RFID-Chips, Handystrahlung, Chemtrails, Abtreibung oder die US-amerikanische Außenpolitik den Kopf zerbrechen und ihre Gedanken dann souverän in antisemitischem und fundamentalistischem Ton vor der Kamera referieren. Doch das scheint die Macher von Jugend-TV.net nicht zu stören.
Dort kann man in täglichen Nachrichten Kinder und Jugendliche sehen, die über Organhandel nachgedacht haben und dabei zu dem Schluss gekommen sind, dass Israel das Land sei, welches weltweit die meisten Organe bekäme, was wiederum Israels Rache für den Holocaust sei. Beasa (10 Jahre alt) stört sich am Zinssystem und Katja (15 Jahre alt) kümmert sich gleich um den Klassiker der modernen Verschwörungstheorien: Sie habe zum 11. September recherchiert und sei zu der Ansicht gelangt, die Türme seien gesprengt worden.
„Jugend- TV ist unser persönliches Freizeitprojekt. Recherchiert, verfasst, moderiert, produziert und auch online gestellt werden die Beiträge ausschließlich von uns freiwilligen, aktiven Teenagern“, heißt es auf der Startseite. Dies mache einen „Riesen-Spaß“. Patrick (21) kann dort beispielsweise „interessante Dinge aus der Geschichte Deutschlands erzählen“: Geschichten über den Zweiten Weltkrieg.
Aus denen könne man nämlich etwas für den aktuellen Ukrainekonflikt lernen – und Patrick hat sich informiert: „Es war nämlich so: Deutschland hatte bis zuletzt versucht, den Krieg zu verhindern, obwohl Polen Deutschland provozierte.“ Die hätten nämlich seit dem Ersten Weltkrieg Gebiete besessen, die eigentlich Deutschland gehörten. Deutschland wollte sogar auf diese Gebiete verzichten, aber die Briten – allen voran Winston Churchill – verhinderten, dass die Polen auf diesen Vorschlag eingingen. Und so wie einst Deutschland zum Krieg gezwungen wurde, wird es heute Russland in der Ukraine. „Schaltet euch morgen wieder ein.“
Schweizer Sektenführer
Wer wirklich hinter dem Projekt steht, ist nicht ohne Weiteres nachzuvollziehen. Im Impressum steht eine Adresse im sächsischen Wachau. Schon das NDR-Medienmagazin „Zapp“ war dort vor Ort. Doch es führte zu nichts. Im Quelltext der Seite fand sich aber ein Verweis auf den Schweizer Sektenführer Ivo Sasek, Gründer der Sekte „Organische Christus-Generation“ und Inhaber von Klagemauer.tv, einem weiteren Onlinenachrichten-Format, welches ähnlich holprig inszeniert ist und sich aus dem gleichen Themenpool bedient.
Hugo Stamm, Journalist beim Schweizer Tagesanzeiger, beschäftigt sich seit Mitte der 70er-Jahre mit diversen Sekten. Laut ihm bestehe kein Zweifel, dass Ivo Sasek bei Jugend-TV.net die Finger im Spiel hat. Er kennt Sasek seit Langem und Sasek kennt ihn. In seinen Reden titulierte Sasek, welcher sich systematisch von den Medien verfolgt und verleumdet fühlt, Stamm lauthals als Lügner. Angesprochen auf Jugend-TV.net und Saseks Ideologie beschreibt Stamm einen markanten inhaltlichen Wandel. Auffällig sei, dass Sasek sein Stammgebiet, den christlichen Fundamentalismus, immer mehr verlasse und sich mit rechtsradikalen und verschwörungstheoretischen Kräften umgebe. Dabei soll er früher stets betont haben, er sei politisch nicht sehr versiert.
Auf Saseks Veranstaltungen, seiner „Anti-Zensur-Koalition“, trifft sich regelmäßig die Verschwörungsszene im „Kampf um die Wahrheit“, welche von den „Mainstreammedien“ verdeckt werde. Bei Sasek dürfen auch Jürgen Elsässer und Andreas Popp, die jüngst durch Auftritte auf den Montagsdemos Aufsehen erregten, ihre Vorträge zum Finanzsystem zum Besten geben. Die Reden finden sich später auf Saseks Webpräsenz oder auf YouTube wieder. Bei einer Veranstaltung im schweizerischen Chur bot Sasek gar der Holocaust-Leugnerin Sylvia Stolz Platz am Rednerpult.
Prüfung durch den Jugendschutz
Sasek, der bei seinen Großkonferenzen stets betont, es brauche Stimme und Gegenstimme, scheint es in dieser Hinsicht mit seiner Maxime selbst nicht allzu genau zu nehmen. Denn „die Gegenstimmen sind nie zu finden, unliebsame Journalisten werden ausgeschlossen, die Einladungen gehen an Gesinnungsgenossen“, erzählt Sektenexperte Stamm.
Da Jugend-TV.net gezielt junge Menschen anspricht, will nun auch die Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten aktiv werden. Gegenüber „Zapp“ sagte deren Sprecherin, dass man bereits „vereinzelt Beschwerden“ bekommen habe. Nun würde geprüft.
Jugend-TV.net antwortete in den eigenen Nachrichten auf die „aktuelle Medienhetze“. Titel des Beitrags: „Stimme & Gegenstimme“. Moderatorin Lea (16), die ganz besorgt um die Wahrheit scheint, fragt darin: „Ist dir nämlich schon mal aufgefallen, dass die Leute, die in den Zeitungen schlecht gemacht werden, in denselben kaum zu Wort kommen?“ Dabei würde man doch so gerne wissen, was sie, die betroffenen Kinder und Jugendlichen dazu sagen würden.
Ja, das stimmt. Gerne würde man sie zu Wort kommen lassen. Aber auf eine Anfrage über die im Impressum auf Jugend-TV.net angegebene E-Mail-Adresse hat niemand reagiert. Auch gegenüber dem TV-Magazin „Zapp“ wollte sich niemand äußern.
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