Interne Naziprotokolle aus dem "Freien Netz": NPD hofiert Schlägertrupp
Holger Apfel will die NPD als fürsorgliche Partei darstellen – und fördert heimlich militante Kameradschaften. Der taz liegen nun die internen Hassdebatten vor.
BERLIN taz | Nach Außen hin will Holger Apfel der rechtsextremen NPD einen braveren Anstrich geben. Statt offen vom Systemsturz zu reden, soll die Partei sich stärker um soziale Themen kümmern. "Seriöse Radikalität" nennt Apfel seinen angeblich moderateren Kurs, mit dem er es beim noch für diesen Monat geplanten Parteitag zum neuen Bundesvorsitzenden der NPD schaffen will.
Doch abseits der Öffentlichkeit fördern Apfel und sein Landesverband die Neonazis des "Freien Netzes", einen Zusammenschluss militanter Kameradschaften aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Wie gefährlich dieses Netzwerk ist, geht aus einem internen Internetforum des "Freien Netzes" hervor, dessen Inhalt der taz zugespielt wurde.
Dort bekennen sich die Kameraden freimütig als Nationalsozialisten, huldigen dem "Chef" Adolf Hitler oder wettern gegen "das transnationale Kapital unter Führung der USA und dessen Nahost-Brückenkopf Israel". Sie besprechen militante Vorhaben, wollen "das System wegblasen" und bejahen körperliche Gewalt – bis hin zum Töten von Polizisten.
"Hard To Hate" nennt sich das klandestine Forum, nur führende Kader des "Freien Netzes" haben Zugriff darauf: 21 Neonazis, deren Propaganda und Aktionen aus Geldern der NPD finanziert werden. Der taz liegen 1.300 interne Beiträge aus dem Forum vor. Sie stammen aus den Jahren 2008 und 2009 und zeigen, wie Holger Apfels sächsischer NPD-Landesverband das tiefbraune "Freie Netz" gezielt in die Partei eingebunden hat.
Den personellen Mangel der NPD ausnutzen
Am 8. Januar 2009 schreibt in dem Forum ein "Sibelius", dass die NPD an ihn herangetreten sei, da die Partei aus Mangel an eigenem Personal ihre Wahllisten für Kandidaten aus dem Netz öffnen möchte. "Sibelius" fragt das Kadernetzwerk: "Entscheidet selber, ob wir die personelle Misslage der NPD für uns ausnutzen wollen." Man will. Hinter dem Decknamen "Sibelius" steckt Maik Scheffler aus der Kameradschaftsszene in Nordsachsen. Heute ist er NPD-Landesvize und Fraktionsmitarbeiter der Rechtsextremen im Dresdner Landtag.
Das Angebot der NPD kam dem Netz wohl entgegen. Denn schon am 4. Dezember 2008 weist Thomas Gerlach alias "Hugo", führender Kameradschaftskader aus Thüringen, auf die Gründung einer "Arbeitsgruppe Wahlkampf 2009" hin, die sicherstellen soll, dass auf Listen der NPD ihre Kader und so auch ihre militanten Positionen auftauchen.
"Hugo", der sich im internen Forum selbst als Gerlach outet, schreibt: "Unserer Maxime treu bleibend, dass die NPD ausschließlich Mittel zum Zweck im politischen Kampf sein darf, wollen wir endlich neben radikalen Kandidaten auf den Listen auch endlich radikale Programmatiken unter der ,Marke' NPD transportieren."
Das "Freie Netz" besteht seit 2007. Nach Einschätzung des Rechtsextremismusexperten Martin Langebach von der Universität Düsseldorf ist es die mobilisierungsfähigste, mitgliederstärkste und ideologisch gefestigtste Struktur der Kameradschaftsszene im Osten. Seine regionalen Untergruppen richten Aufmärsche aus, planen Schulungen oder veranstalten Konzerte. Bis zu 300 Aktivisten kann das Netz laut Beobachtern kurzfristig mobilisieren.
Gewaltphantasien freien Lauf lassen
In ihrem internen Forum reden die Neonazis Klartext. Dort wettern sie gegen "die Menschenrechte, die von volksfeindlichen liberaldemokratischen Denkern und Politikern zu einem universalen Dogma erhoben wurden". Und sie lassen ihren Gewaltfantasien freien Lauf. So schreibt Gerlach alias "Hugo" Ende 2008 im Vorfeld der jährlichen Neonazi-Demo zum Jahrestag der Bombardierung Dresdens: "Wir haben uns überlegt eine Polizeiwache anzugreifen und abzufackeln". Scheffler alias "Sibelius" antwortet: "Ohne einen abzustechen? Ist ja langweilig!" Scheffler selbst sagte der taz am Sonntag auf Nachfrage: "Zu einem Forum des Freien Netzes kann ich nichts sagen."
Nicht immer bleiben die rechtsextremen Kameraden bei Gewaltfantasien. Immer wieder greifen Aktivisten des "Freien Netzes" Ausländer und Linke an. Am 7. Mai 2010 schlug ein Angehöriger des Netzes im sächsischen Geithain, eine Hochburg des Nazizusammenschlusses, einen Jugendlichen zusammen. Der 15-Jährige erlitt eine Schädelfraktur.
Dennoch hat der sächsische Verfassungsschutz das "Freie Netz" in seinem aktuellen Jahresbericht nur als Internetportal bewertet. Eine Einschätzung, die die Behörde nach den nun bekannt gewordenen Interna der braunen Kameraden noch mal überdenken sollte. "Das Netz ist kein Internetportal", sagt Kerstin Köditz, Linken-Landtagsabgeordnete aus Sachsen, der die Foren-Inhalte ebenfalls vorliegen, "sondern eine konspirative Kaderorganisation, mit Kadertreffen und Zellen".
Der mögliche neue NPD-Chef Holger Apfel hat die militante Neonazi-Truppe bereitwillig in die Partei eingebunden. Auf dem neuen NPD-Nachrichtenportal "DS-Aktuell" lobt Apfel in einem aktuellen Interview einen Aktivisten, mit dem eine "konstruktive Basis der Zusammenarbeit" gefunden worden sei: Maik Scheffler aus dem "Freien Netz".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch