Internationaler Tag gegen Homophobie: Nirgendwo sicher
Sexuelle Minderheiten können auch nicht im sich selbst als toleranter wahrnehmenden Europa Schutz erwarten. Das zeigt ein Dokumentationsprojekt.
BERLIN taz | Gerade einmal eine Woche ist vergangen, seit Conchita Wurst mit ihrem Auftritt beim Eurovision Song Contest (ESC) ein Zeichen gegen Homophobie und Transphobie gesetzt hat. Wie aktuell der Bedarf an einer klaren Positionierung ist, zeigen die Reaktionen auf den Sieg der österreichischen Travestiekünstlerin.
In Michel Friedmans Talkshow bei N24 lässt der Gastgeber über die Frage „Schwul: Normal oder Pervers?“ diskutieren. Nicht wenige „Normale“ haben offensichtlich eine sehr klare Vorstellung davon, wer zu ihnen gehören darf: Eine Flut von Facebookkommentaren seit dem ESC schüttet eine gehörige Portion Hass über Wurst aus.
Dass Homophobie und vor allem Transphobie sich nicht in verbaler Gewalt allein erschöpft, sondern handgreiflich und gar nicht so selten auch tödlich werden kann, zeigt das Dokumentationsprojekt „Trans Murder Monitoring“. Eine interaktive Karte auf der Webseite der Gruppe listet weltweit rund 1.500 Todesopfer transphober Gewalt seit 2008 auf.
Soweit bekannt, sind die Daten zu den Ermordeten mit den typischen roten Google-Maps-Markern hinterlegt – kleine virtuelle Grabsteine für Menschen, die sonst gerne vergessen werden. Das Projekt betont, dass die zugrunde liegenden Daten sehr wahrscheinlich unvollständig sind; es sei kaum davon auszugehen, dass überall auf der Welt wirklich alle Fälle bekannt würden und Eingang in die Datenbank finden.
Der Internationale Tag gegen Homophobie und Transphobie (IDAHOT) wird seit 2005 jedes Jahr in Erinnerung an den 17. Mai 1990 begangen. Zu diesem Datum strich die Weltgesundheitsorganisation WHO Homosexualität aus ihrem Diagnoseschlüssel für Krankheiten und beendete so die hochhoffiziell medizinisch begründete Diskriminierung von Lesben und Schwulen.
Was die Weltkarte zeigt, ist, dass es zwar quantitative Unterschiede gibt, mörderische transphobe Gewalt aber keine Nationalität kennt. Zwei Drittel aller Fälle werden aus Süd- und Mittelamerika berichtet, wirklich sicher dürfen sich sexuelle Minderheiten aber offensichtlich nirgendwo auf der Welt fühlen – auch nicht im sich selbst toleranter wahrnehmenden Europa.
Berlin auf einem guten Weg
Ein Eindruck, den Bastian Finke von Maneo, dem schwulen Anti-Gewalt-Projekt in Berlin, bestätigen muss – und das obwohl „Berlin sich auf einem auch im bundesweiten Vergleich guten Weg befindet.“ Die Politik habe mit hauptamtlichen Ansprechpersonen bei Polizei und Staatsanwaltschaft ein deutliches Zeichen zur Unterstützung von Übergriffen Betroffener gesetzt.
Der Jahresbericht von Maneo zeigt, dass die Zahl der Beratungsfälle über Jahre auf etwa dem gleichen Niveau bleiben, die zu dokumentierenden Übergriffe also nicht erkennbar weniger werden. „Probleme bereiten Betroffene weiter Ängste und Sorgen, in ihren Anliegen von den Strafverfolgungsbehörden nicht ernst genommen bzw. belächelt zu werden“, so Finke. Denn „weiterhin werden homophobe und auch trans*phobe Übergriffe, und dazu zählen eben auch herabwürdigende Beleidigungen, in der Gesellschaft bagatellisiert und heruntergespielt.“
Dass jedoch ein Problembewusstsein vorhanden ist, scheint unbestreitbar. So nehmen weltweit die Bemühung, gesetzgeberisch wirksam gegen Diskriminierung und „hate-crimes“ vorzugehen, zu. Wie weit es damit ist und wo genau der gegenteilige Effekt, nämlich staatlich sanktionierte Diskriminierung zu beobachten ist, hat der britische Guardian in einer eigenen Visualisierung sichtbar gemacht.
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