: Intendanten-Menü
■ Selbstbezogene Debatten um Befindlichkeiten beim Festival „Die Wüste lebt“ Von Aljoscha Zinflou
Mit einem vollen Haus feierten die Kammerspiele am 29. Juni den Auftakt des Festivals junger Regisseure und Schauspieler Die Wüste lebt. Bettina Birk, Programmleiterin des Festivals und Pressesprecherin des Schauspielhauses, lobte wiederholt die von ihrem Haus eingebrachte „Manpower“ und dankte ihrem Team für die lange Geduld mit den doch so anstrengenden, an das „Kunstbiz“ noch so wenig gewöhnten RegisseurInnen.
Wildes „Junges Theater“ war angekündigt, verschiedene Antworten auf die Frage, was denn das sein könnte, gab es im Rahmen des Festivals bisher zu sehen. Eine sehr technische Lösung bot die rammelvolle Premiere von Gott ist ein DJ.
Mit vielen interessanten Ideen im Sack gelang es Falk Hoquel, Iris Radunz und Fritz Fenne, den größten Teil des jungen Publikums mit Falk Richters Stück zu faszinieren. Deskriptive Monologe wurden durch Videoprojektionen gestüzt, Szenen durch ihre modifizierte Kopie kommentiert. Während die Darsteller auf der Bühne Spaghetti in einen Topf mit Wasser werfen, brutzeln sie zum Beispiel auf der Leinwand ein leckeres Menu aus „Intendantenblut“ und Plastikkörperteilen.
Als krank, vereinsamt und sozial unfähig skizziert Hocquél Richters Figuren. Jane und ihr Freund, die sich selbst für ein Projekt der Kunsthalle filmen, beziehen sich zwar aufeinander, feiern sich aber immer bloß selbst. Dafür müssen ihre Erfolge ebenso herhalten wie ihre Attituden – ja, selbst die Erinnerung anderer an Erniedrigung und Qual. Diese selbstreferenziellen Debatten um Befindlichkeiten bleiben vor der Kamera genauso authentisch wie in der Realität. Hocquél gelingt die Verschmelzung von Realität und Fiktion dabei vor allem medial. So verlassen die Darsteller auf der Leinwand zum Beispiel kurz vor Ende des Stücks die Kammerspiele und ermorden einen Taxifahrer.
Das Spiel drohte allerdings gelegentlich in der Bilderflut unterzugehen, und die Unsicherheiten bezüglich des technischen Ablaufs verliehen den Darstellern eine Anspannung, ohne die sie wesentlich souveräner hätten spielen können.
Eine szenisch genaue und phantasievolle Inszenierung von Arthur Schnitzlers Sylvesternacht gelingt Patrick Becker mit Was ungesagt bleibt. Schon in Schnitzlers Spielvorlage ist die Probenssituation im Theater angelegt. Während sich der Regisseur mit der Regieassistentin in einem abgetrennten Teil der Bühne verschanzt hat, kommen die Frau des Regisseurs sowie ein weiterer Schauspieler gerade noch rechtzeitig auf die Bühne, um sie zu ertappen. In die spielerisch versiert reproduzierte Beziehungskomödie importiert Becker eine weitere Figur und damit das Medium Tanz. Es geht – auf Kosten der Frauen, die sich hin- und herschieben lassen wie Legosteine – um den grotesken Witz und nicht den sozialen Horror in der Beziehung zwischen allen Beteiligten.
Ganz anders geht Angela Richter mit Schnitzlers Grünem Kakadu um. Dem Stück entnimmt sie für ihre Inszenierung Ein Bericht für meine Akademie nur ein Prinzip. Während bei Schnitzler eine Schauspielgruppe dem Publikum einen „gefahrlosen“ Kontakt mit dem Pöbel ermöglicht, indem sie eine Revolution vorspielt, während der Umbruch draußen tatsächlich stattfindet, beweist das Ensemble um Angela Richter, dass es den Kontext eines gesellschaftlichen Umbruchs draußen nicht gibt.
Statt wie Schnitzler die Lüge in Zeiten des Machtwechsels zu parodieren, indem er eine seiner Figuren einen privaten Mord an einem Adligen begehen lässt, um von den Revoltierenden zum Helden der Revolution gekürt zu werden, opponiert Richters Inszenierung gegen die Beliebigkeit des „Draußen“, dessen Machtstrukturen, die sich in ihren wandelbaren, teils subversiv erscheinenden Maskeraden nicht verändert haben.
Damit kehrt Angela Richter die Vorzeichen um: Das Unvermögen, zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden, verlagert sich vom Theater in die Außenwelt. Auf der Bühne befindet sich eine Gruppe von Menschen die eine Schauspielgruppe spielt, die Schnitzlers Stück proben könnte. Eine Band spielt; das Spiel wird ständig unterbrochen und kommentiert und dadurch Teil einer Performance.
Die vielleicht berechtigte, im Publikumsgespräch geäußerte, Kritik, der Inszenierung gingen die Bezüge zu Schnitzler verloren, greift deshalb nur schwach, weil das Statement des Stücks auch ohne Schnitzler funktioniert.
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