Integrationsgipfel: "Es geht um mehr als schöne Worte"

Die beiden größten türkischen Verbände wollen den Gipfel vielleicht boykottieren - verständlich, aber unklug, so Migrationsforscher Michael Bommes

Türkischer Junge schwenkt deutsche und türkische Fahne Bild: dpa

taz: Herr Bommes, die beiden großen türkischen Verbände haben mit dem Ausstieg aus dem Integrationsgipfel der Bundesregierung gedroht. Ist das klug?

Michael Bommes: Natürlich könnten sie der Kanzlerin und der Integrationsbeauftragten damit in die Suppe zu spucken. Weil der Integrationsgipfel vor allem als symbolischer Event konzipiert ist, kann so eine Geste eindrucksvoll sein. Ich kann verstehen, dass die türkischen Verbände gern eine solch eindruckvolle Geste abgeben würden.

Warum?

Dass die Reform des Zuwanderungsgesetzes zeitgleich mit dem Integrationsgipfel, aber in erstaunlicher Distanz zu den dortigen Diskussionen beschlossen worden ist, ist nicht geschickt. Die türkischen Verbände sehen natürlich, dass etwa die Nachzugsregelung für Ehegatten eine Restriktion ist, die auf sie zielt. Dass sie davon gekränkt sind, kann man ihnen nicht verdenken. Symbolisch passt das alles überhaupt nicht zum Integrationsgipfel. Trotzdem birgt der Ausstieg eine Gefahr: Wenn das Wegbleiben die Beteiligten nicht beeindruckt, ist das Pulver schnell verschossen.

Ganz unbeeindruckt kann es die Kanzlerin und die Integrationsbeauftragte doch nicht lassen, wenn die größte Migrantengruppe dem Gipfel fernbleibt.

Stimmt, die symbolische Seite hätte man dann nicht hinbekommen - und die ist bei diesem Gipfel extrem wichtig. Trotzdem bezweifele ich, dass ein Ausstieg klug wäre.

Michael Bommes, 52, ist Professor für Soziologie und Direktor des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (Imis) an der Universität Osnabrück. Er ist Vorsitzender des bundesweiten Rats für Migration und Sprecher der Sektion Migration und ethnische Minderheiten der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Zuletzt hat er gemeinsam mit Werner Schiffauer den "Migrationsreport 2006" veröffentlicht.

Warum?

Wer jetzt aussteigt, kann nachher nicht einklagen, dass die Versprechen des Gipfels Konsequenzen haben, dass daraus Entscheidungen werden, die wirklich zu besserer Integration führen. Das kann man nur machen, wenn man teilnimmt.

Erwarten Sie denn, dass der Gipfel konkrete Konsequenzen hat? Er ist doch vor allem symbolisch - und damit Show?

Ja, ich erwarte Konsequenzen. Man darf Symbolik in der Politik nicht unterschätzen, also die Erzeugung von Stimmungen im Hinblick auf die Bereitschaft, sich mit Fragen auseinanderzusetzen, die einen längeren Atem erfordern.

Die Stimmung ging in den letzten Jahren doch in eine ganz andere Richtung. Da hieß es: "Multikulti ist gescheitert", war von Parallelgesellschaften die Rede und dass Muslime nicht integrierbar sind.

In den vergangenen Jahren hatten wir - auch im Kontext zu den Ereignissen in den Niederlanden und Frankreich - eine sehr aufgeregte und bisweilen panische Debatte über Integration, die nicht den empirischen Verhältnissen in der Bundesrepublik entspricht. Das hat sich durch den Integrationsgipfel verbessert. Wir haben jetzt wenigstens eine öffentliche Diskussion, bei der die wichtigen Beteiligten an einem Tisch sitzen und die zeigt: Wir stellen uns den Problemen und tun, was notwendig ist. Wichtig ist aber auch, dass in einigen der zehn Arbeitsgruppen, die rund um den Gipfel getagt haben, Sachen zusammengetragen worden sind, zu denen sich die Regierung politisch verhalten muss.

Sie waren in der Arbeitsgruppe "Bildung, Ausbildung, Arbeitsmarkt". Zu welchen ihrer Ergebnisse muss sich die Regierung jetzt verhalten?

Die Diskussionen waren nicht einfach, aber sie haben zu Selbstverpflichtungen geführt, die nicht nichts sind. Wenn einiges davon umgesetzt wird, das wäre schon mal was. Es gab zum Beispiel die ziemlich klare Einsicht, dass es sinnvoll ist, vorschulische Bildung verpflichtend zu machen. Vom Ausbildungspakt zwischen Bundesregierung und Wirtschaft sollen Migrantenjugendliche künftig besonders profitieren. Die Bundesanstalt für Arbeit will insbesondere auch in die berufliche Bildung für Migranten investieren, und die Länder wollen mehr Migranten im öffentlichen Dienst einstellen.

Sind das mehr als Absichtserklärungen? Klare, überprüfbare Zusagen sehen doch anders aus: Da wird das Ziel klar benannt, der Zeitrahmen festgelegt und auch die Mittel, die man dafür ausgeben will.

Stimmt, viele harte Zahlen gibt es bislang nicht. Aber die Arbeitsgruppen haben ja keine Entscheidungskompetenz.

Aus den Ergebnissen der Arbeitsgruppen soll der Nationale Integrationsplan generiert werden, den Bundeskanzlerin Merkel in der nächsten Woche vorstellen will. Sie wird sich noch weniger festlegen als die Arbeitsgruppen. Erwarten Sie mehr als schöne Worte?

Ja, das erwarte ich. Es werden ein paar Sachen darin stehen, die man einfordern und überprüfen kann. Welche, weiß ich nicht, ich kenne das Papier auch noch nicht. Aber hier liegt natürlich auch das Risiko der Verbände, wenn sie jetzt aussteigen. Sie können dann nicht einklagen und drängen und kritisieren. Genau das ist aber notwendig.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.