Integrationsbeauftragte geht: „Keine vorausschauende Politik“
Monika Lüke verlässt ihren Posten als Berliner Integrationsbeauftragte. Ein Gespräch über mangelndes Gestaltungspotenzial und verhärtete Fronten nach der Oranienplatzräumung.
taz: Frau Lüke, Sie geben Ihren Posten als Senatsintegrationsbeauftragte nach zweieinhalb Jahren vorzeitig auf. Warum dieser plötzliche Abgang?
Monika Lüke: Manchmal gibt es glückliche Zufälle. Ich erhielt ein Angebot, in Asien ein Vorhaben für die GIZ zu leiten, das länderübergreifend Arbeits- und Sozialstandards in der Bekleidungsindustrie verbessern soll. Es ist ein wichtiges Themenfeld, und man kann dort viel gestalten.
Auch Ihr Vorgänger Günter Piening verließ seinen Posten 2012 vorzeitig: mit der Begründung, mit der rot-schwarzen Regierung sei seine Vorstellung von Integrationspolitik nicht umsetzbar. Sie hatten diesbezüglich keine Probleme?
Auf Arbeitsebene und auch im parlamentarischen Raum ist mein Verhältnis zu beiden Koalitionspartnern – und auch zur Opposition – gut gewesen. Natürlich ist gerade nach dem Drama der Räumung des von Flüchtlingen besetzten Oranienplatzes im vergangenen April das Gestaltungspotenzial bei der Flüchtlingspolitik gering. Ich bedauere es, dass die Innen- und die Integrationsverwaltung da kaum noch etwas gemeinsam auf den Weg bringen.
Damals hatte Ihre Vorgesetzte, die Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD), mit den Flüchtlingen ein Einigungspapier ausgehandelt, das Innensenator Frank Henkel (CDU) später für ungültig erklärte. Bestimmt derzeit die CDU die Integrationspolitik?
Integrationspolitik ist ja nicht nur Flüchtlingspolitik. Sie ist zurzeit vielleicht maßgeblich Flüchtlingspolitik, aber ich denke, es ist ganz wichtig, dass wir auch in anderen Bereichen weiterhin Integrationspolitik gestalten. Man sollte nicht von den Ereignissen um den Oranienplatz darauf schließen, wer in Berlin Integrationspolitik macht.
Auch bei anderen integrationspolitischen Themen hat man den Eindruck, dass die CDU am Drücker ist. Ein einst von der Justizverwaltung selbst geplantes Projekt für muslimische Gefangenenseelsorge hat der amtierende Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) ausgehebelt. Der von Sozialsenator Mario Czaja (CDU) angekündigte Paradigmenwechsel bei der Unterbringung von Flüchtlingen mündete darin, dass die jetzt in Turnhallen wohnen müssen.
Es war für mich keine Überraschung, wie die CDU politisch agiert. Ich bedauere im Bereich der Asyl- und Flüchtlingspolitik, dass sich da seit dem Oranienplatzdrama Fronten gebildet haben, die nichts mit parteipolitischen Konzepten zu tun haben.
Integrationsbeauftragte
Die Berliner Integrationsbeauftragte hat die Aufgabe, die interkulturelle Öffnung der Verwaltung voranzutreiben und "Maßnahmen zum Abbau von Integrationshemmnissen" zu entwickeln und durchzuführen.
In Berlin gibt es den Posten seit 1981. Erste Beauftragte war Barbara John. 2003 übernahm Günter Piening. Seit September 2012 ist Monika Lüke im Amt.
Lüke hört Ende Mai auf und geht nach Bangladesch, wo sie für die GIZ die Einhaltung von Arbeits- und Sozialstandards in der Bekleidungsindustrie organisieren soll. Bisher ist der Posten nicht neu ausgeschrieben worden. (akw)
Wo ist da Ihr Gestaltungsspielraum?
Dass die Integrationsbeauftragte wenig Gestaltungsspielraum hat, ist ein Dilemma. Aber da müssen wir uns auch an die eigene Nase fassen: Wir alle wussten seit Jahren, dass immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Dennoch haben wir keine vorausschauende Politik gemacht. Wir haben uns immer daran festgehalten, dass in Berlin die Standards im Vergleich zu anderen Bundesländern gut waren. Wir hätten früher ein vorausschauendes Flüchtlingskonzept vorlegen müssen. Das werden wir versuchen nachzuholen.
Die rot-schwarze Regierung hat den Posten der Integrationsbeauftragten von der Staatssekretärs- auf die Abteilungsleiterebene herabgestuft: Werden Sie da mit Ihren Konzepten überhaupt noch ernst genommen auf Senatorenebene?
Das Gute ist, dass Berlin eine Integrationssenatorin hat, die das Thema für sich reklamiert. Ich glaube, problematisch ist nicht die Einordnung als Abteilungsleitung, sondern die Tatsache, dass sich damit die ministerialen Aufgaben so verstärkten, dass es bei der geringen Personalausstattung der Abteilung …
… in Ihrer Abteilung sind das 24 Stellen …
… kaum mehr Raum gibt, gestalterisch zu arbeiten. Wenn man Integrationspolitik gestalten will, muss man das auch mit Personalressourcen unterfüttern. Man kann nicht Programme auflegen, ohne dass sie gemanagt werden, und man kann nicht Politik machen, ohne dass es Personen gibt, die Konzepte erarbeiten. Ich hoffe, dass es da jetzt ein Umdenken gibt.
Was führt zu Ihrem Optimismus?
Die Zuwanderung: Derzeit wird für Berlin mit einem Nettozuwachs von 130.000 Zuwanderern aus dem Ausland bis zum Jahr 2030 gerechnet. In den letzten Jahren wurden die Prognosen immer übertroffen. Man hat also gar keine Wahl, man muss Integrationspolitik machen. Ich hoffe, dass sich jetzt im Rahmen der Haushaltsverhandlungen die Erkenntnis durchsetzt, dass man dafür Personal braucht.
Wo sehen Sie Ihre Erfolge?
Stolz bin ich auf das Landesprogramm Integrationslotsen. Das ist ein guter Ansatz, eine Kombination aus Arbeitsmarkt- und Integrationspolitik, bei der Bezirke und Land gut zusammenarbeiten. Es ist gut für diejenigen, die als IntegrationslotsInnen arbeiten, aber auch für die, die von deren Hilfe profitieren.
Was tun IntegrationslotsInnen?
Sie unterstützen und begleiten MigrantInnen bei Ämtern und Schulen, bei Arztbesuch oder bei der Wohnungssuche, leisten Elternarbeit an Schulen, tragen zur Verständigung zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund bei und gehen auch in die Gemeinschaftsunterkünfte zu den Flüchtlingen.
Wie viele gibt es davon?
Aktuell sind es 80. Aber das Programm soll erweitert werden. Teil des Programms ist auch, die Lotsinnen weiterzuqualifizieren.
Und wie läuft der Roma-Aktionsplan?
Da freue ich mich vor allem darüber, wie gut die Willkommensklassen funktionieren. Wir haben mittlerweile mehr als 300 solcher Sprachlernklassen an Berlins Schulen, die ja längst auch viele andere Kinder und Jugendliche unterrichten als Zuwandernde aus Osteuropa. Das klappt in Berlin besser als in anderen Bundesländern.
Und was ist mit dem Karneval der Kulturen?
Auch das ist ein Erfolg, dass der gerettet werden konnte. Aber für mich gehört der Karneval der Kulturen nicht zu den harten integrationspolitischen Themen. Er ist ein wichtiges Zeichen für die Stadt, aber allein vom Karneval der Kulturen kann man nicht auf eine erfolgreiche Integrationspolitik schließen.
Was steht integrationspolitisch in Berlin an?
Ein Flüchtlingskonzept. Flüchtlingspolitik ist ein brennendes Thema, über das politisch konzeptionell nachgedacht werden muss. Da darf man nicht nur reagieren. Ganz aktuell ist etwa die Integration geflüchteter Menschen in den Arbeitsmarkt. Zudem braucht Berlin eine zentrale Anlaufstelle für alle Neuzuwandernden. Wir brauchen Einwanderung und müssen endlich eine Willkommenskultur entwickeln, die auch darin besteht, dass es eine zentrale Beratungsstelle gibt, die sich zunächst um alle kümmert, die kommen.
Was wird in einem Flüchtlingskonzept stehen?
Ich wünsche mir das Bekenntnis dazu, dass die Menschen hier willkommen sind, dass sie ordentliche Verfahren und Rechts- und Sozialberatung bekommen, Sprachkurse und Hilfe bei der Arbeitssuche. Ich hoffe, dass es uns gelingt, in einem solchen Konzept Standards in der Unterbringung und das besondere Augenmerk auf besonders schutzbedürftige, etwa traumatisierte Flüchtlinge, Menschen mit Behinderungen oder alleinreisende Frauen zu verankern.
Das hört sich nach schönen Absichtserklärungen an.
Da alle Senatsverwaltungen ein solches Konzept unterzeichnen müssen, ist es mehr als das.
Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger?
Zunächst einmal hoffe ich, dass es bald jemanden geben wird! Und ich wünsche ihm, dass er mit seinen Ideen Gehör findet.
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