Integration: Platz da für Türkiyemspor
Deutschlands erfolgreichster Migrantensportclub. Berlins drittbestes Fußballteam. Wegweisender Integrator. Für Türkiyemspor Berlin gibt es viel Lob, nur kein Stadion. Jetzt müht sich die Bezirkspolitik.
Durchnässt vom Regen stehen die Spieler am Rand eines Kunstrasenplatzes in Prenzlauer Berg. "Die dritte Kraft im Berliner Fußball" nennen sich die Männer bei Türkiyemspor mit unverkennbarem Stolz. Zu Recht. Nur Hertha BSC und der FC Union Berlin spielen in höheren Klassen. Die Halbprofis des Kreuzberger Regionalligaclubs schauen einigen Kindern vom SV Empor Berlin beim Kicken zu. Nicht zum Zeitvertreib. Sie spekulieren auf ein frei werdendes Stück des künstlichen Grüns. Denn der Naturrasen, der ihnen zugeteilt war, kann wegen der Witterung nicht bespielt werden. Doch sie warten vergeblich. Trainer Uwe Erkenbrecher setzt Lauftraining an.
"In solchen Fällen wurde das Training auch schon mal abgesagt", berichtet Erkenbrecher. Selbst bei gutem Wetter ist Improvisation gefragt. Denn Türkiyemspor verfügt über keine eigene Anlage. Das Team muss an vier Orten in der Stadt trainieren. Mal in Treptow-Köpenick, mal in Hohenschönhausen, mal in Kreuzberg und manchmal eben in Prenzlauer Berg. Dort im Jahnsportpark trägt der Club auch seine Spiele aus. Der erfolgreichste Migrantenverein Deutschlands zu Gast in ganz Berlin. Der mittlerweile festgelegte Wochenplan ist schon ein Fortschritt. Immer wieder jedoch geschieht Unvorhergesehenes. "Wir sind auch schon zwei Stunden vorher angerufen worden, dass wir heute nicht kommen können", erzählt Erkenbrecher. Dann habe man kurzfristig versucht, die Spieler per Handy woandershin zu lotsen.
Der 54-Jährige war schon bei einem halben Dutzend Vereinen angestellt. "Das gibt es nirgendwo in Deutschland, dass ein so hochklassiges Team keine eigene Anlage hat", sagt Erkenbrecher, der seit einem halben Jahr Tükiyemspor trainiert. Die Konkurrenten arbeiten professionell und verwalten Etats in siebenstelliger Höhe. Erkenbrecher sagt: "Zum Glück haben wir einen Bus, in den wir unser ganzes Material reinstellen können." Er nennt die Gesamtlage "paradox". Dann verbessert er sich und sagt: "Doppelt paradox." Wegen des bundesweit guten Images des Clubs. 2007 wurde Türkiyemspor für sein soziales Engagement mit dem erstmals vergebenen Integrationspreis des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) ausgezeichnet.
Im Verein ist man zu der Überzeugung gelangt, dass man sich zu viele Jahre zu viel gefallen hat lassen. Es geht nämlich nicht nur um die erste Mannschaft. Auch die A-Jugend muss durch die Stadt tingeln. Für das Training steht nicht einmal wettkampfgerechter Naturrasen zur Verfügung. Dabei gehört die Jugendmannschaft im DFB-Pokal zu den besten acht Teams in Deutschland. Auch im Breitensport werde Türkiyemspor benachteiligt, klagen die Club-Verantwortlichen. "Wir sind der einzige Verein in Friedrichshain-Kreuzberg, bei dem sich vier Jugendmannschaften einen Platz teilen müssen", sagt Geschäftsführer Ümit Ünsal.
Damit sich endlich etwas ändert, hat man bei Türkiyemspor einen Aktionsplan für diesen Herbst entworfen. Zweimal gab es vor der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Friedrichshain-Kreuzberg bereits ein Protesttraining. Für Ende November hatte man vollmundig angekündigt, "den Bezirk lahm zu legen". Das wird man nun sein lassen. Denn plötzlich ist Bewegung in den politischen Apparat gekommen. Am Mittwochabend wird höchstwahrscheinlich eine Mehrheit der Bezirksparlamentarier das Bezirksamt damit beauftragen, eine feste Trainingsstätte für die beiden Leistungsteams von Türkiyemspor zu organisieren.
Hinter den Kulissen wurde bereits Vorarbeit geleistet. Sportstadträtin Sigrid Klebba (SPD) hat einen Rasenplatz an der Kynaststraße im angrenzenden Bezirk Lichtenberg im Visier. Dort sei es einfacher, die erforderliche Beleuchtungsanlage zu installieren, als bei den beiden einzigen Naturrasenplätzen in Kreuzberg. Zudem gäbe es als Ausweichmöglichkeit noch Platz für eine kleine Kunstrasenfläche. Um das Gelände nutzbar zu machen, müssten etwa 200.000 Euro investiert werden.
Klebba ist zuversichtlich, dass der Bezirk zusammen mit dem Senat dieses Projekt stemmen werde. Erfreut, sagt sie, habe sie zur Kenntnis genommen, dass Innensenator Ehrhart Körting (SPD) Hilfsbereitschaft signalisiert habe. Körting hat sogar mehr als die Notfallversorgung der Leistungsmannschaften ins Auge gefasst. Langfristig gesehen müsse man sich überlegen, so der Senator, ob man den Verein mit seiner beispielhaften Integrationsarbeit nicht auf dem Tempelhofer Feld oder dem Gelände des Gleisdreiecks unterbringen könne.
Seit Jahren schon liegen die Türkiyemspor-Verantwortlichen den Bezirkspolitikern wegen ihrer unzumutbaren Platzsituation in den Ohren. Warum ihr Anliegen auf einmal ernst genommen wird? Wegen des Drucks der Straße, denkt Geschäftsführer Ünsal.
Stadträtin Klebba sieht sich nicht gern in der Rolle der Getriebenen. Sie behauptet, erst seit dem Aufstieg von Türkiyemspor in die Regionalliga wäre die Dringlichkeit geboten gewesen, das "Leistungssegment von Türkiyemspor" zu unterstützen. Im Breitensport sieht sie den Verein nicht benachteiligt.
Ein grundsätzliches Problem von Türkiyemspor steht gar nicht auf Klebbas Agenda. Präsident Celal Bingöl fasst es knapp zusammen: "Wir brauchen nach 31 Jahren endlich eine eigene Adresse." Er sei den stetigen Ortswechsel aller Abteilungen leid. Immer müsse er sagen: "Nein, da trainieren wir nicht mehr." Bingöl gehört trotz der jüngsten positiven Entwicklungen zu den großen Skeptikern im Verein. Bevor er nichts Schriftliches habe, glaube er an nichts, erklärt Bingöl. "Einige politisch Verantwortliche in Deutschland wollen doch gar nicht, dass Migrantenvereine Erfolg haben." Gegenüber dem Tagesspiegel sprach in diesem Zusammenhang sogar von "Rassismus".
Im Club sind manche über diese harten Töne des Präsidenten wenig glücklich gewesen. Cetin Özaydin, Vorsitzender vom Förderverein Türkiyemspor, sagt: "Der Verein steht historisch betrachtet vor seiner größten Chance." Die derzeitige Ausgangslage sei sogar noch besser als Ende der 80er-Jahre. Damals stand Türkiyemspor zwar knapp vor dem Aufstieg in die Zweite Bundesliga. Doch jetzt könnten nachhaltige Strukturen geschaffen werden.
Für einen Außenstehenden ist schwer zu erkennen, wer im Club für welche Position steht und wer wie viel zu sagen hat. In der Vergangenheit hat das Türkiyemspor oft geschadet. Selbst Ünsal, der seit Februar die Geschäftsstelle leitet, gesteht: "Wie der Verein funktioniert, habe ich auch noch nicht verstanden." Er sei anarchisch strukturiert, ohne ein übergeordnetes Konzept.
Maßgebliche Initiativen, die das positive Image von Türkiyemspor geprägt haben, wurden von dem im Jahre 2000 gegründeten Förderverein angeregt - darunter Projekte, die für den muslimischen Kulturkreis alles andere als selbstverständlich sind. So investiert der Club viel Zeit und Arbeit in den Aufbau des Mädchenfußballs. In der nächsten Saison soll ein Frauenteam den Spielbetrieb aufnehmen. Türkiyemspor arbeitet auch eng mit dem Lesben- und Schwulenverband in Berlin zusammen. Gemeinsam organisiert man jährlich die Respect Gaymes. Nicht zuletzt werden Anti-Gewalt- und Anti-Rassismus-Initiativen unterstützt. Mittlerweile bitten soziale Netzwerkarbeiter Türkiyemspor um Zusammenarbeit. "Wir sind eine Marke", sagt Ünsel. "Wir haben uns selbst ein Image geschaffen, für das andere Vereine gern mehrere Millionen Euro ausgeben würden."
Für ein multiethnisches Kinderturnier während der Fußball-EM bekam Türkiyemspor vom Deutschen Sport Bund die "Sterne des Sports" sowie von der GEW den Mete-Eksi-Anerkennungspreis. Für seine Integrationsarbeit wird der Verein immer wieder aufs Neue ausgezeichnet.
Doch bei einigen Politikern wird Türkiyemspor offenbar als eine Art Streetworkerclub betrachtet, dessen sportliche Ambitionen gar nicht gefördert werden müssen. Zumal sich bei deren Spielern eh nur 150 Zuschauer verlieren. Der FC Union Berlin und Hertha bringen da eine ganz andere Lobby mit.
Cetin Özaydin, der Chef des Fördervereins, hofft dennoch, dass der Senat mal zwei oder drei Millionen Euro für den Verein in die Hand nimmt, so wie er das auch schon für Union getan hat. Özaydin träumt von Bau eines regionalligatauglichen Stadions im Nahbereich von Kreuzberg. Das sei eine gesellschaftspolitische Investition. Dann, so sagt er, wäre die türkische Community ein großes Stück weiter in dieser Stadt integriert. Und alles beginne zu wachsen. Mehr Zuschauer - nicht nur Türken, auch Deutsche. Mehr Einnahmen. Mehr Sponsoren. Und je höher Türkiyemspor kommt, desto mehr wächst die Gesellschaft zusammen.
Die Realität ist kein Traum. Türkiyemspor steht auf einem Abstiegsplatz in der Regionalliga. Unterstützt wird das Team, in dem mehr als 20 Spieler eines deutschen Pass haben, fast ausschließlich von türkischen Sponsoren. Noch kann der Abstieg verhindert werden. Doch es wird eng. Und der sportliche Überlebenskampf weiter im Ludwig-Jahn-Sportpark in Prenzlauer Berg ausgetragen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!