Integration von Flüchtlingen: Deutsch lernen? Wer weiß
Die Regierung stellt infrage, ob Afghanen an Deutschkursen für Asylbewerber teilnehmen dürfen – obwohl sie die Kriterien dafür erfüllen.
Bislang erfüllten nur Eritrea, Irak, Iran, Syrien und Somalia das 50-Prozent-Kriterium. Am 11. Januar aber stellte das Bamf die Asylstatistik für 2016 vor. Demnach stieg die Gesamtschutzquote von Afghanen auf 55,8 Prozent – zum ersten Mal seit Jahren oberhalb des Schwellenwerts.
Die Bundesregierung jedoch lässt nun offen, ob die Regel Bestand hat: „Das Bundesministerium des Innern (BMI) prüft derzeit die Entwicklung der Gesamtschutzquoten und wird Veränderungen bei den Herkunftsländern mit guter Bleibeperspektive und deren Folgen nach Abschluss dieser Prüfung bekannt geben“, sagte ein Sprecher der taz.
Aydan Özoğuz, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, kritisiert dies: „Wir brauchen gesetzlich festgelegte Vorgaben zur Feststellung der guten Bleibeperspektive, auch weil viele Rechte von Asylsuchenden an eine solche Bleibeperspektive geknüpft sind.“ Bislang sei nicht geregelt, wie viele Fälle des betreffenden Landes entschieden sein müssen oder wie viele Monate lang die Schutzquote bei über 50 Prozent gelegen haben muss. „Das bisherige Vorgehen erscheint mir rechtlich zu unbestimmt“, sagte sie mit Blick auf die Haltung des BMI bei den Afghanen.
Matthias Jung, Sprachexperte
„Afghanen haben manchmal sehr hohe Bedarfe, vor allem wenn eine Alphabetisierung nötig ist“, sagte Matthias Jung, Vorstand des Fachverbands Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Er sei dafür, die Regelung sofort anzuwenden. „Die Asylverfahren dauern sehr unterschiedlich. Wer während des Asylverfahrens vom Sprachkurs ausgeschlossen bleibt, verliert Zeit.“ Die Sprachförderung könne „gar nicht früh genug beginnen“, so Jung. „Manchmal haben die Leute Glück und bekommen Sprachkurse von Ehrenamtlichen.“ Aber diese Lernangebote seien kein gleichwertiger Ersatz für die offiziellen Kurse.
Rund 127.000 Menschen aus Afghanistan haben allein 2016 einen Asylantrag gestellt. Den jüngsten Zahlen zufolge begannen im ersten Halbjahr 2016 rund 155.000 Menschen die Teilnahme an einem Integrationskurs. Die Kurse laufen üblicherweise rund 660 Stunden über ein halbes Jahr. Rund zwei Drittel der Teilnehmer beendeten 2016 den Kurs mit der B1-Prüfung, weitere 29 Prozent mit der A2-Prüfung. Der Bund zahlt den Trägern je Stunde 3,90 Euro pro Teilnehmer.
Der größte Integrationskurs-Träger sind die Volkshochschulen. Die fordern, die elementare Sprachförderung auch für Asylbewerber mit unklarer Bleibeperspektive zu öffnen, um eine Verständigung mit der einheimischen Bevölkerung sowie insbesondere mit Behörden oder Ärzten zu ermöglichen, sagte die Sprecherin des Volkshochschul-Verbandes, Simone Kaucher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW