Integration von Flüchtlingen: Ohne Job keine Zukunft, ohne Zukunft keinen Job
Wer sich selbst versorgen kann, darf bleiben. Gleichzeitig wird vielen Flüchtlingen der Zugang zum Arbeitsleben verwehrt. Arbeitssenatorin macht Innensenator dafür verantwortlich.
Weit über 20.000 Flüchtlinge leben in Berlin, rund 5.000 sind nur geduldet. Die meisten von ihnen sind in einem Teufelskreis aus Arbeitslosigkeit und drohender Abschiebung gefangen. "Viele Arbeitgeber nehmen einen Flüchtling nicht mal als Praktikanten", sagt Bernhard Kirsch, der im Rahmen des Projekts "bridge" Flüchtlinge bei der Ausbildungs- und Jobsuche berät. Die Bleiberechtsreformen der letzten Jahre sollten den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern, doch dass die Praxis anders aussieht und vielen Flüchtlingen selbst der Deutschkurs verwehrt wird, musste auch die Senatorin für Arbeit und Integration, Carola Bluhm (Die Linke), feststellen. "Da erwarten wir mehr von Innensenator Körting", sagte Bluhm bei einer Fachtagung in der vergangenen Woche.
Um die Situation von Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, haben sich Beratungszentren und Ausbildungsbetriebe vor einigen Jahren zum Berliner Netzwerk für Bleiberecht, bridge, zusammengeschlossen. Seit 2008 werden hier Asylsuchende, Geduldete und Flüchtlinge mit befristetem Aufenthalt kostenlos beraten, qualifiziert und an kooperierende Unternehmern vermittelt. Das Modellprojekt läuft bis Dezember 2013 und wird vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie dem Europäischen Sozialfonds finanziert. Nun stellten die Beteiligten erste Ergebnisse vor: Seit 2008 haben sie rund 1.000 Betroffene beraten und 350 in Ausbildung oder Job vermittelt. Die Zwischenbilanz offenbarte aber auch die vielen Hürden, die der Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt im Weg stehen.
Laut bridge haben nur 20 Prozent der Geduldeten eine Arbeitserlaubnis und damit auch Zugang zu Deutschkursen und Weiterbildungen der Jobcenter. Dort sind die SachbearbeiterInnen, die nach eigenem Ermessen über die Bewilligung einer Maßnahme entscheiden, durch die verschiedenen Aufenthaltstiteln überfordert. "Ich habe noch nie ein so kompliziertes Gesetz erlebt, und davon hängen dann Menschenleben ab", sagt etwa die Integrationsbeauftragte im Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg, Anke Overbeck. Da die Aufenthaltserlaubnis gerade bei Geduldeten häufig nur um wenige Monate verlängert wird, kommen viele langfristige Maßnahmen der Jobcenter für Flüchtlinge gar nicht infrage.
Ähnliches gilt für den freien Arbeitsmarkt. " ,Wie ist der Aufenthaltsstatus?', ,Wie steht es um die Deutschkenntnisse?' - das sind die ersten Fragen der Arbeitgeber", sagt Arbeitsvermittler Kirsch. Zwar gibt es einige Berliner Großunternehmen, die mit bridge kooperieren und Ausbildungen oder Jobs im Gesundheits- und Reinigungsbereich anbieten. Aber vor allem die kleinen Handwerksunternehmen seien von den komplizierten Bleiberechtsregelungen eingeschüchtert.
Selbst wenn der ausländische Berufsabschluss anerkannt wird - nach vier Jahren sind die einst erlernten Fertigkeiten auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr viel wert. "Dann gilt selbst eine Fachkraft als ungelernt", sagt Kirsch. Dabei ist eine sichere Einkommensquelle die Grundvoraussetzung für ein dauerhaftes Bleiberecht.
Für Jugendliche, die in Deutschland unter dem Druck einer Duldung aufwachsen, ist die Situation besonders schwierig. Aktuell berät Kirsch einen jungen Klienten, der sich die Zusage für einen Ausbildungsplatz als Kfz-Mechatroniker erkämpft hatte. Doch kaum lagen die Unterlagen beim Personalchef auf dem Tisch, war die Skepsis groß: Nur noch wenige Monate Aufenthaltserlaubnis, aber die Ausbildung dauert doch dreieinhalb Jahre. Der Jugendliche hatte Glück, Kirsch konnte den Arbeitgeber überzeugen, dass ein sicherer Arbeitsplatz meist auch den sicheren Aufenthaltsstatus nach sich ziehe.
Günter Piening, Integrationsbeauftragter des Senats, will daraus die Regel machen: "Der Aufenthaltstitel sollte an die Länge der Ausbildung gekoppelt werden." Außerdem solle die Erteilung der Arbeitserlaubnis oder die Bewilligung eines Integrationskurses nicht mehr im Ermessen der Behörden liegen, sondern Flüchtlingen solle ein konsequenter Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht werden - gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels. "Wir sind mit Körting im Gespräch", sagt Arbeitssenatorin Bluhm.
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