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Institution Wer noch schnell was kaufen will, geht in den Kiosk. Als sozialer Treffpunkt hat er seine Wurzeln in den Arbeiterstadtteilen. Der Wirtschaftsgeograf Vorderwülbecke erklärt, warum sie für die Stadt wichtig sind„Anhängsel der Industrialisierung“

Interview Lukas Thöle

taz: Herr Vorderwülbecke, hat der Kiosk eine Zukunft?

Arne Vorderwülbecke: Kioske wird es laut unserer Studie auch in Zukunft noch geben. Aber ihre Anzahl wird sich angesichts des zunehmenden Wettbewerbsdrucks –etwa mit Supermärkten oder Bäckereiketten –sicher reduzieren. Und die Funktion des Kiosks wird sich wandeln.

Welche Funktion erfüllen sie denn?

Der Kiosk springt klassischerweise dann ein, wenn Supermärkte geschlossen sind. Also wenn am Sonntag auffällt, dass beim Einkauf etwas vergessen wurde, oder wenn man abends ein kaltes Bier trinken will, aber keines im Kühlschrank hat. Diese Bedeutung geht zurück.

Was bedeuten sie kulturell?

Der Kiosk ist auch eine Kulturstätte für den jeweiligen Stadtteil. Ich glaube, diese Funktion gewinnt an Bedeutung. Denn man merkt, dass viele auch zum Kiosk gehen, um sozialen Kontakt mit den Menschen in ihrem Stadtteil zu haben.

Was ist das eigentlich, so ein Kiosk?

Laut Gewerbeamt ist ein Kiosk eine Verkaufsstätte von Lebensmitteln und Getränken für den kurzfristigen Bedarf, die dann außerhalb des Kiosks verzehrt werden. Über die Definition haben wir im Rahmen der Studie viel diskutiert, auch weil sich die Funktion und die Geschäftsstrategien von Kiosken ständig weiterentwickeln.

Sie schreiben von einer deutschen Kioskkultur. Was meinen Sie damit?

Der Kiosk ist als Trinkhalle entstanden und hat seine kulturellen Wurzeln daher insbesondere in den Arbeiterstadtteilen. Die Arbeiter haben damals nach ihrer Schicht noch ein Getränk im sozialen Treffpunkt Kiosk getrunken und sind dann nach Hause gegangen.

Und heute?

Heute ist diese Kioskkultur dadurch geprägt, dass sie in bestimmten Stadtteilen ein Teil des Erscheinungsbilds und für viele Anwohner ein zentraler Treffpunkt sind. So prägen sie die Identität eines Stadtteils.

Wie wichtig sind diese Verkaufsstellen für eine Großstadt?

Ich halte sie für sehr wichtig und denke, dass Kioske eine Bereicherung für einen Stadtteil sind. Wir erleben eine Entpersonifizierung der Gesellschaft, die sicherlich auch durch den Konkurrenzdruck im Einzelhandel geprägt ist. Wir sprechen kaum noch mit Verkäufern oder Nachbarn. Die Kioske bilden dazu einen wichtigen Gegenpol.

Gibt es das Kiosksterben wirklich, über das Medien immer wieder berichten?

Das Kiosksterben ist Realität, aber keinesfalls flächendeckend. Vielen Kiosken geht es gut. Anderen geht es schlecht und ihre Zukunftsperspektiven sind fraglich. Das liegt vor allem an den jeweils getroffenen, strategischen Entscheidungen insbesondere hinsichtlich der angebotenen Produkte. Aber: Wenn ein Kiosk schließt, wird er häufig durch einen neuen ersetzt.

Warum beschäftigen Sie sich als Geograf mit Kiosken?

Ein Teilbereich der Wirtschaftsgeografie beschäftigt sich mit der Entwicklung des Einzelhandels. Am Institut für Wirtschafts- und Kulturgeografie der Universität Hannover hatten wir dann die Idee, das Phänomen der Kioske zu untersuchen. Zu diesem Thema gibt es nur wenige empirische Studien, obwohl es ein interessantes Forschungsobjekt ist.

Wie ist die Lage in Hannover?

Wir untersuchten, wie zufrieden die Betreiber mit ihrem Umsatz sind. Und da zeigt sich, dass die eine Hälfte sehr zufrieden und die andere eher pessimistisch ist.

Demnach fühlen sich die Betreiber vor allem durch Supermärkte bedroht. Sind Discounter verantwortlich für das vermeintliche Aussterben der Kioske?

Der komplette Lebensmitteleinzelhandel ist dafür verantwortlich. Seit der Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten 2007 haben Supermärkte bis 22 oder 24 Uhr geöffnet. Mit deren Preisen kann ein Kiosk nicht konkurrieren und verliert an Kundschaft. Der Preisdruck hat im gesamten Lebensmittelbereich in den vergangenen Jahren zugenommen.

Warum betrifft das Kioske?

Weil der Lebensmittelmarkt auf den zunehmenden Konkurrenzdruck mit Produktdifferenzierung reagiert. So bietet der Einzelhandel nicht nur günstigere Produkte, sondern zunehmend auch die gleichen Produkte an wie ein Kiosk.

Sind Kioske am Stadtrand davon stärker betroffen als Kioske in der Innenstadt?

Ja, da sie früher am meisten davon profitierten, dass Supermärkte nur bis 20 Uhr geöffnet hatten. Auch die Kundenfrequenz ist wichtig: In einer Haupteinkaufsstraße oder am Hauptbahnhof gibt es viel Laufkundschaft.

Alleinstellungsmerkmale wirken sich Ihrer Studie zufolge positiv auf die Zukunftsaussichten eines Kiosks aus. Welche könnten das sein?

Viele Kioske haben sich mit der Paketannahme ein zweites Standbein erschaffen. Zu den Alleinstellungsmerkmalen gehören ebenfalls verschiedene Snacks neben den bekannten Süßigkeiten. Aber auch ein breites Angebot verschiedener Getränke- und Biersorten ist damit gemeint.

Im Stadtteil Linden in Hannover wird inzwischen sogar Zapfbier am Kiosk angeboten.

Auch das kann ein Alleinstellungsmerkmal sein. Gerade in Stadtteilen wie Linden leben viele Studierende und junge Menschen, die auch gerne viel ausprobieren. Bei Konsumenten nimmt die Experimentierfreude zu. Die Vielfalt ist in dieser Hinsicht ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal.

Sie haben 341 Kioske in Hannover gezählt. Sind das besonders viele?

Da die Vergleichszahlen fehlen, kann ich nur anekdotisch antworten: Ich lebe mittlerweile in Dortmund und empfinde die ­Kioskdichte im Ruhrgebiet nicht höher als in Hannover. In Städten wie Osnabrück gibt es dagegen so gut wie keinen Kiosk.

Arne Vorderwülbecke

32, studierte Wirtschaftsgeografie, Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an der Uni Hannover und konzipierte dort zusammen mit Nora Hesse das Studienprojekt „Kioske in Hannover –Eine Bestandsaufnahme“ am Institut für Wirtschafts- und Kulturgeografie. Heute arbeitet er bei einer Beratungsfirma für soziale und umweltgerechte Wirtschaftsentwicklung als Consultant.

Warum gibt es ausgerechnet in Hannover eine so bedeutende Kiosklandschaft?

Ich würde das – ähnlich wie im Ruhrgebiet – auf das industrielle Erbe der Stadt zurückführen, insbesondere im Stadtteil Linden. Die Trinkhallen sind quasi als Anhängsel der Industrialisierung entstanden. Fraglich ist natürlich, warum das in Osnabrück anders ist. Da kann man nur spekulieren.

In Hannover gibt es einen ­Kioskguide, der die verschiedenen Lokalitäten listet und bewertet. Ist das eine stadtspezifische Besonderheit?

Damals schon. Ob das jetzt immer noch so ist, kann ich nicht sagen. Aber es zeugt davon, wie lebendig die Kioskkultur in Hannover ist.

Man könnte meinen, dass Hannover auch viel auf seine Kioske gibt.

Als wir damals die Studie veröffentlicht haben, kamen wir auf viele Titelseiten der Hannoveraner Zeitungen. Davon waren wir überrascht. Aber das zeigt, dass ein Interesse an diesem Thema herrscht und Kioske im Alltag vieler Menschen eine wichtige Rolle spielen. Aber ob Hannover sich darauf etwas einbildet, kann ich nicht sagen.

In Hamburg plant das Bezirksamt Mitte derzeit, den Alkoholverkauf an Kiosken in selbsternannten „Brennpunkten“ einzuschränken. Ginge es nach dem zuständigen Bezirks­amtsleiter Falko Droßmann (SPD) sollen sie abends keinen Alkohol mehr verkaufen dürfen. Halten Sie das für sinnvoll?

Das würde die Kioske in der Konkurrenz zu Supermärkten, aber auch zu Kneipen und Clubs, weiter schwächen. Für einige Kioske könnte das sogar lebensbedrohlich sein.

Warum?

Gerade in Stadtteilen wie St. Pauli erwirtschaften die Kioske vermutlich den größten Teil ihres Umsatzes mit alkoholischen Getränken. Außerdem glaube ich, dass der Kauf eines Biers häufig der eigentliche Anlass ist, in einen Kiosk zu gehen, und dann vielleicht auch noch eine Zeitschrift oder Ähnliches mitzunehmen. Wenn die Leute aber wissen, dass sie im Kiosk keine alkoholischen Getränke mehr bekommen, gehen sie woanders hin.

Auch ein Kultstatus ist eine Möglichkeit, einen Kiosk­standort zu sichern. Befördert das nicht aber die Gentrifizierung?

In gewissem Ausmaß ist dies – natürlich neben vielen anderen Faktoren – durchaus denkbar. Ob Gentrifizierung jetzt gut oder schlecht ist, möchte ich an dieser Stelle nicht bewerten. Aber ein Kiosk, der sich zu einer Kultbude entwickelt, gestaltet natürlich Gentrifizierungsprozesse.

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