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Institut für NachhaltigkeitsforschungEin erfolgreiches Experiment

Vor 11 Jahren wurde das Potsdamer Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung gegründet. Eine neue Anbindung wird gesucht.

Das IASS begleitet den Umbau des Lausitzer Braunkohlereviers Foto: Steffen Unger/imago

Was auffällt, ist die fehlende Debatte. Noch nie hatte das Thema Nachhaltigkeit eine solch breite Akzeptanz wie heute. Aber über die Zukunft des bedeutendsten deutschen Instituts für Nachhaltigkeitsforschung, des IASS in Potsdam, findet gegenwärtig keine Diskussion statt.

Das Gutachten des Wissenschaftsrates vom April ist in der Nachhaltigkeitsszene, bei Ökoforschern und Umweltorganisationen, bislang ohne Resonanz geblieben. Dabei steht in der Politik Ende des Monats eine folgenschwere Entscheidung an.

Bei seiner Gründung 2010 war das Institut mit dem unaussprechlichen Namen „Institute for Advanced Sustainability Studies“ (IASS) – behelfsweise eingedeutscht in „Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung“ – ein wissenschaftliches Experiment.

Damals hatte die Nachhaltigkeit in der Wissenschaft noch nicht das Gewicht gefunden, das sie heute besitzt, schon gar nicht in der interdisziplinären Kombination von Natur- mit Gesellschaftswissenschaften. Forschungsauftrag des IASS ist es, wie es in der Selbstbeschreibung heißt, „gesellschaftliche Wandlungsprozesse hin zur Nachhaltigkeit zu verstehen, zu befördern und zu gestalten“. Es nehme damit „eine besondere Rolle an der Schnittstelle zwischen Forschung und Transfer“ ein.

Wissenschaft und Beratung wurden unter dem IASS-Dach vereint, um „Erkenntnisse und neue Lösungswege aus der Wissenschaft in Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und andere Gesellschaftsbereiche zu tragen und reale Veränderungsprozesse reflexiv zu begleiten“, so die Mission.

Finanzierung von Bund und Land

An ihr arbeiten in einer Potsdamer Kaiserzeitvilla kurz vor der Glie­nicker Brücke nach Berlin heute 130 Experten unterschiedlicher Fachrichtungen. Im Haushaltsjahr 2019 erhielt das IASS eine Grundfinanzierung von insgesamt 9,7 Millionen Euro, die zu 85 Prozent aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und zu 15 Prozent vom Land Brandenburg kam. Weiter warb das Institut Drittmittel im Umfang von 7,3 Millionen Euro ein.

Um zuerst zu sehen, was rauskommt, wurde als organisatorische Notlösung das Mittel der Projektförderung für zehn Jahre gewählt. Auch die Person des Gründungsdirektors war ein Novum in der Wissenschaftspolitik: Mit Klaus Töpfer, dem einstigen Bundesumweltminister und langjährigen Leiter des Umweltprogramms der Vereinten Nationen wurde ein ausgewiesener politischer Kopf berufen, dessen wissenschaftliche Meriten als Professor für Raumforschung und Landesplanung allerdings schon länger zurücklagen. Die Energiesparte des IASS wurde in den ersten Jahren von dem italienischen Physik-Nobelpreisträger Carlo Rubbia geführt.

Mit der ersten Begutachtung durch den Wissenschaftsrat im Jahre 2014 wurden einige Mängel beim Aufbau wissenschaftlicher Exzellenz im angestrebten „Advanced“-Maßstab deutlich, die von der neuen Führungsgruppe unter dem Stuttgarter Soziologen Ortwin Renn beherzt in Angriff genommen wurden. Co-Direktorin Patrizia Nanz übernahm die wissenschaftliche Begleitung und Mitgestaltung des Strukturwandels im Braunkohlerevier Lausitz, unter anderem durch Bürgerforen und Interviews mit Akteuren vor Ort. Insgesamt 20 inhaltliche Profilpunkte wurden etabliert – zu viele, wie jetzt der Wissenschaftsrat befand.

Wie weit das IASS seinem Transferauftrag gemäß mittlerweile in die gesellschaftliche Diskussion über Nachhaltigkeit vorgedrungen ist, lässt sich an zwei aktuellen Beispielen illustrieren. Beim Ökumenischen Kirchentag Mitte Mai in Frankfurt saß Ortwin Renn zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem politischen Hauptpodium. Die Debatte, auch mit Vertreterinnen von Fridays for Future, kreiste um die Bekämpfung des Klimawandels. Kann Technik unser Wohlstandmodell retten oder braucht es drastische Einschnitte in das Konsumverhalten?

Wichtig sind positive Visionen

Renn plädierte für ein gesellschaftliches wie politisches „Gemeinschaftswerk“, das beide Richtungen kombiniert. „Ja, es wird schmerzhaft sein, es ist wie eine Pubertät, wir müssen da einfach durch“, diagnostizierte der IASS-Chef. Aber danach sei ein besseres Leben möglich. Renn: „Wir brauchen dafür aber positive Visionen, am besten so ansteckend wie das Coronavirus.“

Beispiel 2: In der aktuellen Titelgeschichte des Spiegel über die Transformationsambivalenz der deutschen Gesellschaft (und Wählerschaft) wird der IASS-Direktor mit jüngsten Befunden seiner Untersuchung zur „sozialen Akzeptanz der Energiewende“ zitiert. 80 Prozent der Bürger seien dafür, aber nur 40 Prozent wollten dafür mehr zahlen. Ein höherer Spritpreis – so ein Befund der repräsentativen Befragung – werde sich nur durchsetzen lassen, wenn die Kostenbelastung „sozial fair verteilt“ werde, etwa durch Kompensationen via „Energiegeld“. Für die Verschärfung der Klimagesetze oder die Formulierung der Wahlprogramme sind aktuell nur wenige Forschungsbefunde so politikrelevant wie die Studien aus Potsdam.

Den politischen Impact hatte der Wissenschaftsrat indes nicht primär im Blick, als er in den letzten Monaten das IASS auf Herz und Nieren prüfte. Der Rat stellt fest, dass Ausrichtung und Ansatz des Instituts „wissenschaftlich und gesellschaftspolitisch von großer Bedeutung“ und „einzigartig in der Forschungslandschaft in Deutschland“ seien. Das IASS habe „ein für die wissensbasierte Politik- und Gesellschaftsberatung überzeugendes Profil“ entwickelt.

Wörtlich schreibt der Wissenschaftsrat: „Angesichts des großen politischen Bedarfs an den Transferleistungen des IASS und der anhaltenden Leistungssteigerung im wissenschaftlichen Bereich appelliert der Wissenschaftsrat an das BMBF und das Land Brandenburg als Förderer, einen geeigneten institutionellen Rahmen für das Institut zu finden.“

Das ist die offene Frage, die derzeit aber nur im internen Kreis der Wissenschaftspolitprofis diskutiert wird. Das BMBF, das einen erheblichen Teil in Institute der Großforschung, namentlich der Helmholtz-Gemeinschaft (HGF) steckt, hat auch schon eine Präferenz. Die Anbindung an das Geoforschungszentrum (GFZ), das ebenfalls seinen Sitz in Potsdam hat und zur Helmholtz-Gemeinschaft gehört.

Einbindung ins GFZ

„Die fachliche Anbindung des IASS an die HGF-Programme insbesondere im Forschungsbereich ‚Erde und Umwelt‘ und die rechtliche Einbindung ins GFZ bieten die besten wissenschaftlichen und strategischen Entwicklungsperspektiven“, erklärte das BMBF jetzt in einer Antwort auf eine parlamenarische Anfrage der Bundestags-Grünen.

„Die komplementäre Verbindung steht zugleich für einen deutlichen Mehrwert im Wissenschaftssystem“, meint das Karliczek-Ministerium. „Sie setzt ein klares Signal, wie an den komplexen Frage- und ambitionierten Zielstellungen im wachsenden Feld der Nachhaltigkeit ganzheitlich zusammengearbeitet werden kann“.

Eine andere Organisationslösung, nämlich die Anbindung an die Leibniz-Gemeinschaft, kommt wegen der langwierigen Aufnahmeprozesse eher nicht in Betracht. Frühestens 2025 könnte das möglich sein. Wenn sich aber im kommenden Jahr Direktor Renn aus Altersgründen in den Ruhestand verabschieden will, soll für den oder die Nachfolgerin das IASS seine neue Heimat schon gefunden haben.

Kai Gehring, forschungspolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, ist der Meinung, dass das IASS als transformative Wissenschaftseinrichtung erhalten werden und dazu „mit einer dauerhaften Institutionalisierung Planungssicherheit und langfristige Perspektiven“ bekommen sollte. „Mich wundert allerdings“, erklärt Gehring auf Anfrage der taz, „dass das Thema im Bundesforschungsministerium offenbar jahrelang auf Wiedervorlage lag, aber jetzt in aller Kürze – und parallel zur Fertigstellung der Stellungnahme des Wissenschaftsrats – ein Plan vorliegt, der noch einige Fragen aufwirft“. Anstelle der Übernahme durch das GFZ gehört für den Grünen-MdB „jetzt ein kluger Vorschlag auf den Tisch, der die besondere Rolle des IASS berücksichtigt und dem Institut die notwendige Unabhängigkeit und Agilität für seine transformative Forschung sichert“.

Überdies haben – wie häufig in der Forschungspolitik – die Finanzpolitiker ein gewichtiges Wörtchen mitzureden. Im Bundestag steht nächste Woche am 25. Juni die Sitzung des Rechnungsprüfungsausschusses an, der über den BMBF-Vorschlag zu befinden hat. Es ist die letzte Parlamentswoche vor der Bundestagswahl. Wird keine Entscheidung getroffen, kommen alle Planungen zur Transformation des Transformationsinstitutes ins Rutschen.

„Der IASS-Vorstand sieht der Entscheidung zugunsten einer gesicherten und zukunftsfähigen Perspektive des Instituts zuversichtlich entgegen“, verlautet von dort. Wie auch sonst ist der Zukunftsblick der Nachhaltigkeitsforscher positiv gestimmt.

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