Installationskunst: Fliegen summen, es riecht nach Erde
Dan Peterman widmet sich in Lübeck dem Vergehen der Zeit: lässt Käse reifen und Insekten sich daran laben. Oder er verpasst einer Auftragsarbeit von 1930 einen neuen Rahmen. Oder lässt Holz aus der Umgebung ein paar Wochen lang Kunst sein.
Es riecht leicht würzig und eindrücklich: nach Käse. Muss es auch. Denn Käse ist einer der Werkstoffe des amerikanischen Bildhauers Dan Peterman, der jetzt in der Lübecker Overbeck Gesellschaft gezeigt wird. Titel der Ausstellung: "Dan Peterman - was bleibt zu tun?"
Um diese Frage zu beantworten, sind zwei Räume zu betreten, teilweise ausgelegt mit Bodenplatten, bläulich-grau wie aus Stein. Darauf wiederum stehen Sitzmöbel sowie massige Regale, in denen Käselaibe ruhen. Peterman hat sie vor zehn Jahren schon einmal ausgestellt, dann in einer Metallkiste verpackt. Im zweiten Raum lagert frischer Käse aus der Region. Er muss erst noch reifen. Junger Käse, alter Käse.
Plastikmüll zu Möbeln
Bodenplatten und Regale sind nicht aus irgendeinem Stein gefertigt, sondern aus leichtem Plastik, Resultat von Petermans Arbeit "Archives for 57 people". Die ging so: Ein Jahr lang sammelte der Künstler, was 57 US-Amerikaner an Plastik verbrauchten. Recycelte die gewonnene Menge, goss daraus Bodenplatten und Elemente für Regale, Sitzbänke oder Hocker. Die liegen und stehen nun in einer Landschaft aus Rindenmulch und Holzspänen: Plastik versus Natur. Andererseits: Das Plastik war früher mal Erdöl. Und die Bäume sind womöglich gezielt angepflanzt, in jedem Fall aber kontrolliert gefällt worden.
Es ist ordentlicher, fast hygienisch cleaner Mulch, durchsetzt mit sehr manierlichen Holzspänen, nur aus gutem Holz geschreddert, ohne störendes Blattwerk oder sperriges Tannengrün. "Hier aus den Lübecker Forsten bei Wesloe", erzählt Marlies Behm, künstlerische Leiterin der Overbeck Gesellschaft. Sie habe davon ein Foto gemacht, es an Dan Peterman gemailt, "und er hat geantwortet: ,Sehr gut; schöne Farben'".
Damit nicht genug: Es gibt einen zweiten Eingang, garniert mit einem Gewächshaustunnel aus dem Gemüseanbau, durch die der Besucher wie beschützt ins Innere gelangt. Nur etwas steht im Weg: die Plastik "Daphne", drapiert auf einem Sockel aus Backsteinen. Damit wiederum hat es folgende Bewandtnis: Die Darstellung der Nymphe Daphne während der Verwandlung in einen Baum, um dem gewalttätigen Apollo zu entgehen, schuf 1930 die jüdische Künstlerin Renée Sintenis für die Overbeck Gesellschaft. Sie lässt sich insofern lesen als Kommentar zur damals sich verschärfenden politischen Situation.
Die Nazis jedenfalls entfernten die Plastik später unverzüglich. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine zweite Fassung gegossen, seither reckt sich Daphne wieder in die Höhe, die Füße von Ranken umschlossen. Peterman nimmt sie als Wächterin; zugleich als Botin, die uns weist in seine Welt.
Und was ist nun mit dem Käse? Der alte Käse, der von vor zehn Jahren, wird alle zwei Tage fotografiert. Damit festgehalten wird, ob und wie er sich verändert - "schon aus Versicherungsgründen", sagt Marlies Behm. Der junge Käse dagegen, der noch auf dem Wege ist sozusagen, wird jeden Tag gewendet und alle zwei Tage mit Salzlake gewaschen, nach Anweisung der Käsemeisterin. Was wäre, wenn jemand plötzlich herzhaft in den Käse hineinbeißen würde? Ein hungriger Besucher? Vermutlich wird sich Peterman da auf den Respekt vor der Kunst verlassen können.
Andere Lebewesen haben da weniger Hemmungen: Kleine Käfer huschen dann und wann zwischen den Laiben umher. Fliegen landen auf der mittlerweile harten Oberfläche. Einige von ihnen werden übrigens des Nachts weggefangen: Denn schließt das Haus, werden schnell Fliegenfänger auf- und morgens samt satter Beute wieder abgehängt. Alles nach Absprache mit dem Künstler.
Werden und Vergehen
Dan Peterman propagiert nicht das Chaos. Er will die Dinge nicht einfach laufen lassen. Sondern, dass wir darüber nachdenken, was passiert, wenn wir in die Prozesse des Werdens und Vergehens eingreifen. Will, das wir uns damit beschäftigen, was geschieht, wenn sich Dinge wandeln und wir uns sicher sind, dass wir verstehen, was da passiert. Obwohl dieses Verständnis nie ganz aufgeht, immer etwas fehlt. "10 % wild" nennt Peterman das. Der Rest, der bleibt, sozusagen.
Und so sitzen wir auf seinen Plastikbänken und kommen ins Reden über die Kunst und Gott und die Welt. Denn es ist schön hier: Es riecht nach Käse, manchmal kurz vom Boden her nach frischem Holz, fast ein wenig nach werdender Erde. Das Licht ist angenehm milde und besänftigt die Augen. Die Fliegen surren dazu leise wie vor einem schweren Landregen. "Es ist eine Ausstellung für alle Sinne", sagt Marlies Behm und freut sich aufrichtig. Stimmt hundertprozentig. Aber eines Tages ist damit Schluss. Dann wird der Gewächshaustunnel abgebaut. Dann steht Daphne, die Plastik, wieder alleine vor dem Haus und zeigt erst mal nur auf sich. Dann wird der Mulch zusammengekehrt, denn der Mulch ist nur geliehen. Er wird wohl in reißfesten Tüten gefüllt, zurück zum Forstbetrieb transportiert und vermutlich zu handelsüblichen Mulchpreisen verkauft werden. Und niemand, der etwas von ihm mitnimmt, ihn vielleicht ins Auto lädt, um ihn zu Hause zwischen seine Beete zu streuen, wird wissen, dass dieser Mulch einmal Kunst war. Nur für sechs Wochen, aber immerhin.
Zurück ins Archiv
Und der Käse? Beim Käse ist es etwas anders: "Ich werde den Käse eigenhändig nach Berlin in Dan Petermans Galerie bringen und dort auch belegen, dass wir stets vorsichtig und sorgsam mit ihm umgegangen sind", sagt Marlies Behm. Der Käse wird dann Petermans Käse-Archiv zugeführt werden, verschwinden in einer Metallkiste - bis zum nächsten Mal. 104 Euro hat Marlies Behm bei der Käserei für die zehn neuen Laibe hingeblättert. Für alle zusammen! Für diese Summe wird man dann nicht mal eine Käsescheibe bekommen.
bis 15. August, Lübeck, Overbeck Gesellschaft
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!