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InnungsherrschaftGefesseltes Gewerbe

Die „Böhnhasen“ werben für die Freiheit vom Meisterzwang: Jeder darf heute IT-Service anbieten, aber schon Friseure fallen unter alte Gewerbeordnungen.

Eigentlich abgeschafft: Den Zwangs-Schornsteinfeger gibt es nicht mehr. Bild: dpa

152 Jahre Gewerbefreiheit feierten die „Böhnhasen“ gestern mit einem kleinen, unangemeldeten Stand auf dem Bremer Marktplatz. Immerhin – das Stadtamt drückte ein Auge zu und billigte den illegalen Geburtstags-Stand unter der Bedingung, dass er nächstes Jahr ordnungsgemäß angemeldet wird. „Böhnhasen“ waren im Mittelalter freie Handwerker, die von den Zünften verfolgt wurden. Eine handvoll Sympathisanten und Zuschauer kamen zum Lob der Gewerbefreiheit auf den Marktplatz, die Bewegung ist klein heute.

Das war vor 152 Jahren anders. Da ging es rhetorisch um die Freiheit des Individuums und praktisch um die Beseitigung von vorbürgerlichen Zwängen, am 4. 4. 1861 schaffte der „Bremer Rat“ den Gewerbezwang ab. Die Nazis führten die Ordnung 1935 im Interesse ihrer kleinbürgerlichen Mitglieder wieder ein, sie gilt im Grunde bis heute.

Konkret gibt es zum Beispiel eine Firma „dreadfactory“, ein Dienstleister für Menschen, die eine verfilzte Haarpracht auf dem Kopf haben wollen. „Bis Marokko“ gibt es inzwischen Franchise-Nehmer, sagt Firmengründerin Sabine Hartke. Sie war gestern aus konkreter Betroffenheit bei der Feier der Böhnhasen – in München hat die dortige Handelskammer beschlossen, dass die Rasta-Macher illegal das Friseur-Handwerk ausüben und unter den Meisterzwang der Gewerbeordnung fallen sollen.

Auch bei den Dachdeckern gibt es Streit. Betroffene „Böhnhasen“ haben gestern eine Unterlassungserklärung öffentlich gemacht, mit der sie der Innung diverse diskriminierende Behauptungen über „reisende“ Handwerker untersagen lassen wollen – zwar gibt es Gewerbefreiheit für reisende Handwerker, die Innungen diskriminieren das als „Haustürgeschäfte“.

Wie schwer sich die Politik dabei tut, den vorbürgerlichen Gewerbezwang abzuschaffen, zeigt das Beispiel der Schornsteinfeger. Theoretisch gibt es seit dem 1. 1. 2013 die Freiheit für Hausbesitzer, einen Schornsteinfeger ihrer Wahl zu bestellen. De facto gibt es aber nur die Schornsteinfeger-Firma Fischer und Thor, die „frei“ ihre Dienste anbietet – und sich darüber beklagt, dass die „Bezirksschornsteinfegermeister“ ihre bisherigen Kunden nicht korrekt über die Gewerbefreiheit informieren. Wer denkt, er könnte seinen Heizungsbauer nun mit der Wartung seiner Heizung beauftragen, der irrt – die Heizungsbauer lehnen dieses Geschäft generell ab, selbst die SWB-Tochter „Inhome“. Ein Lump, wer dahinter eine kartellrechtswidrige Absprache der Innungen oder ein Stillhalte-Agreement vermutet.

Die Aufhebung des Schornsteinfeger-Zwanges selbst ist derweil auch nicht konsequent umgesetzt: Alle dreieinhalb Jahre müssen Heizungsbesitzer eine „Feuerstättenschau“ durch den alten Bezirksschornsteinfeger vornehmen lassen. Wer also die Gewerbefreiheit in Anspruch nimmt, hat dann gleich zwei Schornsteinfeger, die ihm Rechnungen schreiben. Und der „Bezirksschornsteinfeger“ hat die Aufsicht über Fege- und Messergebnisse des freien Schornsteinfegers von Amts wegen. „Das hat nichts mehr mit Liberalisierung zu tun“, sagt Bernd Richter von Haus&Grund dazu.

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4 Kommentare

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  • H
    Herrmann

    Ach, liebe TAZ – das Handwerk, die Gewerbefreiheit, der Meisterzwang, das Schornsteinfeger(un)wesen. Respekt, das alles in einen so kurzen Artikel gepackt zu haben!!! Das ganze gäbe genügend Stoff für eine tägliche Kolummne. Schornsteinfeger – das waren die, welche die Einführung der Brennwerttechnik im Heizungswesen viele Jahre verhindert haben. Ein Innovations-Verhinderungsverein, diese Schornsteinfegerinnungen. Dann haben die auch die Bundesregierung dazu gebracht EU-Forderungen nach einer Reform des Schornsteinfegerwesens über Jahre auszusitzen. Und die Meisterpflicht haben die sich dann – einmalig tricky – nicht über die Handwerksordnung, sondern über das Schornsteinfegergesetz absichern lassen.

    Und die Handwerksordnung ein Kind der Nazis. Die Friseur-Lobbyisten erklären Dreadlocks zu Ihrem Herrschaftsgebiet – obwohl das Fachwissen in den Ausbildungen zum Meister nicht vermittelt wird. An meinem Fahrrad darf ich trefflich rumschrauben, Wenn ich es gewerblich mache, dann gibt’s Ärger mit der Handwerkskammer. Innungen diffamieren auf breiter Front meisterfreie Unternehmen, und, und, und. Es macht Mut, von meisterfreien Handwerkern zu hören, die sich das Erinnern an den 4.4. 1861 nicht nehmen lassen! Bravo, Ihr Bremer Bönhasen!!

  • N
    Naja

    Wozu das führt, dass jeder IT-Service anbieten darf, kann jeder beurteilen, der sich in dem Fachgebiet auskennt: Jede Menge Scharlatanerie von dreist lügenden Vertriebsmenschen denen technisches Fachwissen fehlt. Die verkaufen und vermurksen und wenn's dann schief geht dann werden sie ganz kleinlaut und melden schnellstens Konkurs an. Und die Kunden sitzen auf dem Schaden.

  • MP
    Michael Pramann

    Warum lasst ihr euch denn alles gefallen.

     

    Warum zahlt ihr Beiträge an eine Organisation, deren "Präsidenten" z.B. 7.5 Std. für die Beerdigung der eigenen Sekretärin als "Aufwandsentschädigungen" abrechnen?

     

    mehr auf: www.kammerspartakus.wordpress.com

     

    Steht auf und zeigt, dass IHR Courage habt.

     

    Bei den Handwerkskammern gilt nicht Made in Germany. Bei den Handwerkskammern gilt Made im Speck.

    Legt den Handwerkskammern das Handwerk

  • MP
    Marvin Pollock

    Wir erstellen und pflegen Dreadlocks und wir haben Ärger mit der HandWERKskammer. :)