Innovationscamp „Proof of concept 21“: Zukunft selbstgemacht
Junge Tüftler entwickeln in einem französischen Innovationscamp umweltschonende Produkte – Ökoräder und Kreislaufduschen.
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Ein Ökostrom-Zweirad, auf dem sich Würstchen grillen oder Filme zeigen lassen – was wie ein schräger Einfall klingt, hat einen ernsthaften Hintergrund, erläutert Milenas Teampartner Yannick Schandene. „Wir wollen Alternativen zu den vielen Autos in unseren Städten schaffen, um den öffentlichen Raum mehr zur Geltung zu bringen.“ Während er aus dem Filmfestival-Bereich kommt, bringen Ingenieure wie Milena Sonneveld das technische Know-how mit. Noch stehen sie etwas ratlos vor den einzelnen Modulen, aus denen ihre fahrende Innovation entstehen soll.
Vielleicht gelänge ihnen die Entwicklung auch in ihrem Brüsseler Kämmerlein, wie sie es nennen. Leichter aber ist es im Schloss Millemont im französischen Garancières, das 50 Kilometer westlich von Paris liegt. Denn dort umgeben sie rund 100 andere Tüftler und Bastler aus der ganzen Welt, mit denen sie sich austauschen, von deren Fähigkeiten sie profitieren können. Gemeinsam ist ihnen allen das Ziel, neue Produkte für eine ressourcenschonende Zukunft zu schaffen, die kopierbar, reparabel und dezentral herstellbar sind.
„Proof of concept 21“, kurz POC21, nennt sich das fünfwöchige Innovationscamp, das am 19. und 20. September mit zwei Tagen der offenen Tür endet. Der Name spielt mit „COP21“, der offiziellen Bezeichnung der UN-Klimakonferenz, die am Jahresende in Paris stattfinden wird. Hohe Erwartungen ruhen auf den UN-Mitgliedsländern, wenn sie versuchen, sich auf ein Minimalziel für die Begrenzung der Erderwärmung zu einigen.
In die Geschichte eingreifen
POC21 sieht sich nicht als Gegenveranstaltung, man will eigene Akzente setzen. „Zukunft selbstgemacht statt Endlosdebatten“, lautet eines der Schlagworte. „Sexy wie Apple und offen wie Wikipedia“ ein anderes.
„Vor dem Hintergrund der COP21 können wir in die Geschichte eingreifen und sie mit konkreten Projekten selbst mitgestalten“, sagt Benjamin Tincq, einer der Initiatoren. Man wolle eine Alternative zur Konsum- und Wegwerfgesellschaft aufzeigen, aber auch die Möglichkeit eines Wirtschaftssystems, das auf Teilen statt auf Profit und Wettbewerb aus ist.
so benannt nach dem französischen „Ja“ zum englischen „Teilen“ – ist vor etwa vier Jahren aus einem Pariser Blog entstanden und heute ein globales Netzwerk mit rund 2.000 Mitgliedern. Ouishare zeigt, dass die Share & Collaborative Economy aus weit mehr besteht als aus den in Misskredit geratenen Unternehmen Uber und airbnb. Das Themenfeld umschließt die Bereiche kollaborativer Konsum (teilen und gemeinsam nutzen statt besitzen), kollaborative Produktion (FabLabs, Maker Movement), kollaborative Finanzierung (Crowdfunding, P2P-Lending) sowie Open Data (Wikipedia, Open Soft- und Hardware). OuiShare wird als führendes Expertennetzwerk in Fragen der kollaborativen Ökonomie wahrgenommen. Es hat inzwischen rund 200 Events in Europa, Lateinamerika und dem Nahen Osten veranstaltet. Der größte ist das jährlich stattfindende dreitägige OuiShare-Fest in Paris mit über tausend Teilnehmenden.
„Vielleicht wirken wir auf den ersten Blick wie verrückte Freaks“, räumt Tincq ein. „Aber wir glauben, dass wir etwas bewegen können. Open Source bedeutet nicht automatisch, dass Ideen gratis sind und ohne Business-Modell auskommen: Es gibt sie, wir haben und entwickeln sie.“
Tincq ist Mitbegründer von Ouishare, einem internationalen Netzwerk zur Förderung kooperativer Projekte. Gemeinsam mit dem Berliner Kollektiv Open State, das sich der Entwicklung neuer Gesellschaftsmodelle widmet, hat es ins Schloss Millemont eingeladen. Es ist eine in diesem Ausmaß bisher einmalige Zusammenkunft von Tüftlern und Designern, Ingenieuren, Medien- und Marketingexperten. Über 20 internationale Partner, darunter die Universität Potsdam, unterstützen sie. Unternehmen und Stiftungen tragen jeweils rund 40 Prozent des Budgets, das fast eine Million Euro beträgt. 20 Prozent stammen aus öffentlichen Zuschüssen.
Nicht nur ein idyllisches Feriencamp
Herausragend wirkt auch der Ort des Treffens – das alte Anwesen diente bereits als Kulisse für Filme wie „Marie Antoinette“ oder „Coco Chanel“. Nun vermietete es der Besitzer für POC21 nicht nur, um seine Ausgaben zu decken. Ihm gefalle die Idee, ein „Zentrum im Dienste der Ökologie“ daraus zu machen.
Optisch prallen hier Welten aufeinander. An den hohen Wänden hängen wild beschriebene Plakate fürs Brainstorming, zwischen den schweren Samtvorhängen stehen Flachbildschirme und auf dem Parkettboden bunt bemalte Konstruktionen für perfekte Mülltrennung. „Hochmoderne 3-D-Drucker neben alten Bildern und CNC-Fräsen im Schlosshof – das ist ein witziger Kontrast“, sagt Tincq schmunzelnd.
Der Eindruck eines idyllischen Feriencamps täuscht: Es gibt eine klare Organisation, die Tage beginnen und enden mit Teambesprechungen, konzentriert wird in den Holz- oder Metallateliers und vor den Laptops gearbeitet. Ein achteckiger Raum mit Spiegeln an vier Wänden dient als Besprechungsraum. Wo sich einst adelige Damen während der Ankleideprozedur von allen Seiten begutachten konnten, wird heute ein Projekt von verschiedenen Blickwinkeln aus betrachtet.
Das versinnbildlicht die Grundidee von POC21 – der gemeinsame Weg ist das Ziel. „Was zählt, ist weniger das Ergebnis als der Entstehungsprozess“, sagt Milena Sonneveld. „Wir haben hier ganz unterschiedliche Inspirationsquellen, die uns weiterbringen.“ Dass sie ihren Urlaub arbeitend verbringt, sieht die quirlige Ingenieurin als „Wahnsinnschance“. Und auch, dass es ihr Vélo m2 unter die zwölf Projekte geschafft hat, die die Organisatoren im Vorfeld aus 200 Bewerbungen auswählten. An ihnen arbeiten die Teams nun miteinander, übergreifend und mit Unterstützung durch Mentoren und Experten von außen.
Klug wie die Natur
Die Projekte umfassen die fünf Schlüsselbereiche Ernährung, Wohnen, Mobilität, Kommunikation und Energie – von der Kreislaufdusche „Showerloop“ über eine Windturbine aus Recyclingmaterial für 25 Euro bis zum hocheffizienten Wasserkocher „Nautile“ aus Keramik, benannt nach dem Meereslebewesen Nautilus. Er soll ebenso klug Ressourcen einsparen, wie es die Natur tut, erklären der Industriedesigner Guillian Graves und der Bio-Ingenieur Michka Mélo.
„Bei einem Wasserkocher sind nur 20 Prozent des Energieverbrauchs verbunden mit Produktion, Transport und Abfall. 80 Prozent fallen bei der Verwendung an.“ Um den Verbrauch zu senken, überdenken sie daher jeden Schritt von der Erhitzung über die Abmessung der benötigten Wassermenge bis zur Isolation – und lassen sich dabei von der Tierwelt inspirieren.
„Die Fellhaare des Eisbären sind hohl, deshalb trägt auch unser Gerät hohle Zacken auf der Oberfläche, um eine isolierende Luftschicht darunter einzuschließen“, beschreiben sie. „Der Nautilus hat in seiner spiralförmigen Muschel kleine Kammern, die er mit Wasser füllt, um ins Meer hinabzutauchen, und die er leert, um wieder hochzukommen: Deshalb konstruieren wir im Inneren des Gerätes ein Kreis-System, um nur so viel Wasser zu erhitzen, wie auch gebraucht wird.“
Die Kugelform des Geräts sei wiederum Tieren nachempfunden, die sich bei Kälte zusammenrollen. Dekorativ sieht der Kocher bereits aus, nur solle er noch leichter und zugleich robuster werden – und vor allem bezahlbar, sagen die beiden Franzosen. „Das bereitet uns noch Kopfzerbrechen“, geben sie zu. „Schließlich wollen wir nicht nur für eine Elite produzieren.“
„Es geht uns nicht um Profit“
Denn es muss zwar niemand „liefern“ – aber die Anwendbarkeit der Produkte, die später in einem Katalog und einer Wanderausstellung vorgestellt werden, wird zeigen, ob das Experiment POC21 den Praxistest besteht. Beim Team von Sunzilla ist das schon der Fall. Die fünf jungen Berliner sitzen auf einer Wiese hinter dem Schloss im Schatten ihres mobilen Solarkraftwerks.
Vor ihnen ausgebreitet liegen Zeichnungen, die zeigen, wie sie ihren Prototypen weiterentwickeln wollen. Er versorgt bereits das Zeltlager, in denen die Teilnehmer schlafen, mit Ökostrom. Bisher haben die Berliner die Kraftwerke, die dank eines Speichers auch an sonnenarmen Tagen Strom liefern, ehrenamtlich entwickelt. Bald wollen sie damit Geld verdienen. „Es geht uns nicht um Profit, aber bald möchten wir auch von unserer Arbeit leben“, sagen sie. Am besten in einem eigenen Unternehmen.
Noch sind die Ideen kuriose Einzelstücke – aber vielleicht gehören der Solarstrom „to go“ oder das Cargo Bike mit Ökogrill in 20 Jahren zur Grundausstattung.
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