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„Innovationsbahnhof“ Kottbusser TorManche Probleme löst man nicht in der U-Bahn

Kommentar von Claudius Prößer

Ist es okay, wenn die BVG Drogenabhängige oder Obdachlose von „Problembahnhöfen“ wie den Kotti verdrängt? Die Antwort ist komplexer, als es scheint.

Die Securitys sollen noch empathischer werden: „Reinigungsstreife“ im U-Bahnhof Kottbusser Tor Foto: Imago/Emmanuele Contini

W ird bald der Rauchhaus-Song in Dauerschleife laufen, um Drogenabhängige vom U-Bahnhof Kottbusser Tor zu vertreiben? Zumindest ließe sich eine Ankündigung der BVG so zugespitzt interpretieren. Um den Kotti zum „Innovationsbahnhof“ zu machen, soll neben weiteren Maßnahmen die „Beschallung mit entspannter Musik mit lokalem – also Kreuzberger – Bezug“ getestet werden. Man kennt das aus anderen Städten, etwa vom Hamburger Hauptbahnhof, wo es schon seit fast einem Vierteljahrhundert aus den Lautsprechern dudelt – mit genau diesem Vertreibungszweck.

Ist das der weich gepolsterte Ellenbogen, mit dem die Mehrheitsgesellschaft Gruppen noch weiter ins Abseits drängt, denen es ohnehin am schlechtesten geht? Die akustische Version von Kotti-Wache und Görli-Zaun, von Parkbänken mit Spikes oder fehlendem Mittelteil, auf denen es sich niemand allzu bequem machen kann? Die Antwort kann nur „Jein“ lauten.

Zuallererst: Niemand sollte sich Illusionen darüber machen, dass Musik Menschen vertreibt, die versuchen, sehr grundlegende Bedürfnisse wie das nach einem trockenen, halbwegs warmen Ort zu befriedigen. Selbst Trinker-Grüppchen, wie sie in manchen U-Bahnhöfen öfters die Sitzgelegenheiten in Beschlag nehmen, werden sich von ein bisschen Mucke kaum davon abhalten lassen.

Auch aus Hamburg hört man, dass die musikalische Berieselung eher wenig effektiv war. Vielmehr haben Push- und Pullfaktoren wie Securitydienste und die Schaffung alternativer Räume den Ausschlag dafür gegeben, dass die „offene Szene“ vom Bahnhofsvorplatz weitgehend verschwunden ist.

Fragt man die BVG, will sie von musikalischer Vergrämung ohnehin nichts wissen. Es gehe umgekehrt darum, den Fahrgästen das Warten und Umsteigen angenehmer zu machen, sagt der Sicherheitschef der Verkehrsbetriebe. Das könne wiederum den Effekt haben, dass sich andere eben nicht mehr so wohl fühlten.

Lichter und Spiegel

Aber es soll ja ein ganzes Maßnahmenbündel ausprobiert werden: Neben einem „modularen Sicherheitscenter“, das wohl in der Zwischenebene des U-Bahnhofs aufgebaut wird, gehören dazu eine hellere Beleuchtung, Spiegel, die abgelegene Ecken einsehbar machen, und eine verstärkte Reinigung der Fahrstuhlschächte, wo sich der Urin von Aufzugpinklern sammelt und stinkt. Auch ein derzeit ungenutzter Ausgang soll wiedereröffnet werden, um mehr Durchgangs(fuß)verkehr zu schaffen.

Natürlich soll all das in der Summe dazu führen, dass im Testareal Kotti nicht mehr gedrückt und gesoffen, gepennt und gegrölt wird. Dass am Ende ein wuseliger, aber cleaner Verkehrshub entsteht, den alle mit einem Lied auf den Lippen verlassen – kann das gut sein?

Im vergangenen Jahr übte unter anderem der Verein Gangway scharfe Kritik am Pilotprojekt „Reinigungsstreifen“, das nun verstetigt werden soll und aus dem die Ideen für den „Innovationsbahnhof Kotti“ hervorgegangen sind. Die kombinierten Einsätze von Putz- und Kontrollkräften, die aus Sicht der Verkehrsbetriebe „ein Projekt für, nicht gegen Menschen“ sind, habe durch Vertreibung wohnungsloser Menschen die Arbeit der Straßensozialarbeiter „extrem schwierig“ gemacht. Denn diese basiere auf Kontinuität und Vertrauen.

Die BVG hält dagegen, dass sie mit freien Trägern wie der Stadtmission und den Johannitern gut zusammenarbeite. Wohnungslose würden nicht einfach rausgeschmissen, sondern erhielten Unterstützung bei der Suche nach anderen Aufenthaltsorten. Künftig würden auch alle Security-Mitarbeiter geschult, um sensibler mit dem Thema umzugehen.

Das Versprechen darf kein leeres sein

Dass da noch viel Luft nach oben ist, steht für alle, die das oft robuste Auftreten der Sicherheitsdienste kennen, außer Frage. Aber: Wenn das Versprechen der BVG kein leeres ist, zunehmend eng mit sozialen Trägern zusammenzuarbeiten, dann ist die Verdrängung hinzunehmen.

Warum? Weil die so wichtige Mobilitätswende nur funktioniert, wenn die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel einigermaßen angenehm ist – und zwar überall in der Stadt. Dass potenzielle Fahrgäste abgeschreckt werden, weil sie sich regelmäßig unsicher oder unwohl fühlen, kann in niemandes Interesse sein.

Und im Übrigen ist auch das Klassismus: wenn eine Gesellschaft kein Problem damit hat, dass Menschen mit wenig Geld, die auf den ÖPNV angewiesen sind, halt ein paar Unannehmlichkeiten hinzunehmen haben und nicht jammern sollten. Alle haben es verdient, halbwegs komfortabel und sicher mobil zu sein. Die Probleme, die sich aktuell in den U-Bahnhöfen ballen, müssen von der Gesellschaft gelöst werden – aber besser, und anderswo.

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Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1969, lebt seit 1991 in Berlin. Seit 2001 arbeitet er mit Unterbrechungen bei der taz Berlin, mittlerweile als Redakteur für die Themen Umwelt, Mobilität, Natur- und Klimaschutz.
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