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Innovationen im KampfsportHauen und Schlagen für die Klicks

Immer absurdere Kampfsportarten finden vor allem im Netz ihr Publikum. Der Drang, sich auf eine wenig geregelte Art Schaden zuzufügen, hat Tradition.

Professionelle Kissenschlacht: die Pillow Fighting Championship in Florida Foto: Cover-Images/imago

Es wird nicht nur geschlagen im Boxring, sondern auch Schach gespielt. Geht es in der einen Runde noch um den Knock-out, muss man nun das Schachmatt vorbereiten. Andere schlagen sich auf engstem Raum in einer Telefonzelle oder auf einem Container, der über einem See schwebt. Eine Frau kämpft gegen einen schwer adipösen Mann, besonders junge Menschen kämpfen gegen besonders alte, Influencer gegen Profiboxer. Sogenannte Freak Fights sind in den letzten Jahren zu einer Größe im Sport avanciert. Mal finden sie mit Beteiligung prominenter Namen statt, mal mit völlig Unbekannten – Hauptsache das Ganze ist irgendwie unkonventionell.

Nachdem der MMA-Sport, bei dem verschieden Kampfsportarten zusammengemixt werden, Mitte der 2000er Jahre begann, sich zu professionalisieren und am Ende des Jahrzehnts den Mainstream erreichte, wollten zahlreiche neue Kampfsportarten von seiner Popularität profitieren.

So entstand 2008 „XARM“, eine krude Mischung aus Armdrücken und gleichzeitigem Schlagen, Kicken und Ringen. Im selben Jahr feiert auch „YAMMA Pit Fighting“ sein Debüt, ein Abklatsch des MMA-Sports mit ähnlichem Regelwerk, nur dass die Organisation dem runden Käfig noch eine Kuhle hinzufügte. Sowohl das hybride Armdrücken als auch der Käfig mit Grube sind krachend gescheitert. Doch längst sind neue Kontaktsportarten erfunden worden.

Heute wirbt die Sportliga „Armored MMA“ mit „mittelalterlichen Käfigkämpfen“ und liefert genau diese: KämpferInnen in Plattenrüstung und Helm, die nicht nur mit Schwert und Schild zuschlagen, sondern auch mit Händen und Füßen. Die „Pillow Fighting Championship“ geht es weniger martialisch an und statt mit den Fäusten schlagen sich die Kontrahenten mit Kissen im Boxring. In „Power Slap“, einem Nebenprojekt von Dana White, der die UFC zum Marktführer in der MMA-Szene geführt hat, geben sich Männer und Frauen abwechselnde harte Ohrfeigen, bis jemand zu Boden geht.

Die Kämpfe der „CarJitsu Championship“ beginnen – wie bereits der Name verrät – in einem Fahrzeug und enden, sobald jemand auf engstem Raum mit einem Aufgabegriff zum Abklopfen gebracht wird. Besonders die „Bare Knuckle Championship“ hat mit ihrem Konzept – Boxen ohne Handschuhe – einen durchschlagenden Erfolg.

Leicht gegen Schwer

Während sich solche Organisationen aus Vermarktungsgründen teilweise durchaus seriös geben, inszenieren sich Formate wie „Fight Circus“ selbstironisch und veranstalten Kämpfe, in denen zwei leichtere gegen einen schwereren Kämpfer antreten. Oder es wird mit einer Hand geboxt, während man in der anderen Hand ein Bier hält und trinken muss.

Die Popularität des MMA-Sports und die Zunahme von Freak Fights werden oft als Anzeichen für eine Verrohung der modernen Gesellschaft interpretiert, doch bereits im antiken Griechenland gab es Pankration, den sogenannten Allkampf, der mit seiner Vermischung von Ringen und Boxen das heutige MMA vorwegnahm. Auch unkonventionelle Freak Fights, in denen das Spektakel wichtiger als der Sport ist, sind keine neue Erscheinung.

Der japanische Wrestler Antonio Inoki trat schon 1976 in Tokio gegen die Boxlegende Muhammad Ali an. Das Regelwerk war eine unklare Mischung aus Treten und Schlagen und zog einen langweiligen Kampf nach sich, der aber heute als legendäres Aufeinandertreffen gilt. Ungleiche Freak Fights sind kein modernes Phänomen, sondern seit David gegen Goliath und Herkules in den Fängen der Hydra ein Teil der Mythenbildung.

Was sich aber in der modernen, digitalen Gesellschaft geändert hat, ist die Vermarktung der Spektakelkämpfe. Die irren Inszenierungen haben bis auf wenige Ausnahmen kaum langfristigen Erfolg. Viele der neu gegründeten Organisationen richten zwei oder drei Veranstaltungen aus, bis ihre Finanzen erschöpft sind. Was bleibt, sind die Social-Media-Clips der wildesten Momente. So ließ die „World Freak Fight League“ 2024 Eddie Hall, den ehemals stärksten Mann der Welt, mit seinen 1,91 Meter gegen zwei deutlich kleinere Influencer antreten.

Schnelles Geschäft im kurzlebigen Business

Im Netz findet man zwar Tausende von Tiktok-Videos davon, doch der vollständige Kampf interessiert kaum jemanden. Genau darauf sind viele der Events ausgelegt, auf die Viralität, den schnellen Klick und die Reichweite, um mit großen, aber bedeutungslosen Zahlen kurzfristig Sponsoren anzulocken. Da die Organisationen keine Zeit haben, über Jahre eigene Stars aufzubauen, setzen sie auf bekannte Namen aus anderen Bereichen und packen diese in möglichst spektakuläre Szenarien. Auch deswegen hat das Promiboxen in den letzten Jahren einen Wandel erlebt.

Dass nun vermehrt Influencer aus RealityTV-Formaten und anderen Branchen in den Ring steigen – wie zuletzt bei dem von der Bild mitorganisiertem Event „Fame Fighting“ in Essen – zeigt die Kurzlebigkeit des Marktes: Die Reichweite muss genutzt werden, solange es geht. Je größer der Name, je obskurer die Art, in der man sich schlägt, desto größer die Aufmerksamkeit. Die Social-Media-Vermarktung wird entweder durch die Fans oder das Ungewöhnliche zum Selbstläufer und millionenfach in den Netzwerken verbreitet. Es ist nicht das sportliche Element – wenn man denn überhaupt von einem sprechen kann –, dass die Gesellschaft verroht, sondern die Distribution der Events.

Worum sich die kapitalorientierten Kräfte dahinter meist keine Sorgen machen: die Gesundheit der Kämpfenden. Der Boxer Justin Thornton erlag 2021 seinen Verletzungen nach einem Kampf ohne Handschuhe bei der Organisation BKFC. Power Slap gilt unter Neu­ro­lo­g:in­nen als Garant für Gehirnerschütterungen. Und als Mike Tyson letztes Jahr gegen den über 30 Jahre jüngeren Influencer Jake Paul boxte, musste er zahlreiche ärztliche Untersuchungen überstehen, um einem möglichen Herzinfarkt vorzubeugen. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die Freak Fights weitere Opfer fordern.

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