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Innenpolitiker der Opposition„Natürlich können wir regieren“

Fünf Jahre lang haben sie im Innenausschuss Rot-Schwarz angegriffen. Jetzt ziehen Udo Wolf (Linke), Christopher Lauer (Piratenfraktion) und Benedikt Lux (Grüne) Bilanz.

Kein Kinderspiel: Wenn's um Polizeieinsätze in Berlin geht, sind die Innenpolitiker der Opposition gefordert Foto: dpa
Bert Schulz
Interview von Bert Schulz und Plutonia Plarre

taz: Herr Wolf, Herr Lauer, Herr Lux, wer von Ihnen ist der nächs­te In­nen­se­na­tor?

Schwei­gen.

Chris­to­pher Lauer: Jetzt kommt so eine ty­pi­sche Po­li­ti­kerant­wort: Wir sind alle froh, wenn Frank Hen­kel nicht mehr In­nen­se­na­tor ist.

Ty­pisch Lauer, drän­gelt sich vor. Auch im In­nen­aus­schuss stahl er Ihnen stän­dig die Show. Herr Lux und Herr Wolf, hat Sie das ge­nervt?

Udo Wolf: Ge­nervt hat er manch­mal schon. Aber Chris­to­pher ge­bührt ein gro­ßes Ver­dienst: Er hat in der Ge­schäfts­ordnung des Ab­ge­ord­ne­ten­hau­ses einen ver­staub­ten Pa­ra­gra­fen ge­fun­den. Damit konn­ten wir ge­mein­sam die flä­chen­de­cken­de Vi­deo­über­wa­chung stop­pen. Groß­ar­tig!

Ei­gent­lich war die vom rot-schwar­zen Senat ja schon be­schlos­sen. Jetzt hatte die SPD-Frak­ti­on eine Mög­lich­keit, hier einen Rück­zie­her zu ma­chen.

Wolf: Das Ge­setz wäre eine Ka­ta­stro­phe ge­we­sen. Die SPD hat ge­merkt, dass sie bei einem wich­ti­gen Teil des rot-rot-grü­nen Wäh­ler­spek­trums nicht punk­ten kann, wenn die CDU damit durch­kommt.

Best of Innenausschuss 2016

Mai: Robbin Juhnke (CDU) schimpft auf das Spardiktat des rot-roten Vorgängersenats. Er spricht vom „Fetisch“ der Linkspartei. Die SPD verschont er. Christopher Lauer (Piratenfraktion) zu Juhnke: „Das ist so, als ob Sie Ihrem Zwillingsbruder sagen, dass er eine doofe Mutter hat.“

April: Auf Antrag von CDU und SPD gibt es einen langen Powerpointvortrag über Europol. Lauer: „Die Infos hätten wir uns auch bei Wikipedia holen können.“

März: Lauer zu Kurt Wansner (CDU): „Ich schäme mich für Sie. Es gibt da draußen so viele intelligente Menschen und Sie sitzen hier und pöbeln rum.“ Wansner zu Lauer: „Ich verstehe Ihre Verzweiflung. Ihre Partei wird ja auch nicht wiedergewählt.“

Februar: Innensenator Frank Henkel (CDU) kommentiert die negativen Schlagzeilen über sich: „Bei jedem anderen schreiben sie: Toll, der kann übers Wasser laufen. Bei mir heißt es: Der muss übers Wasser laufen, weil er nicht schwimmen kann“. (plu)

Lauer: Die An­zahl der Leute, die sich in Deutsch­land für Bür­ger­rech­te in­ter­es­sie­ren, ist ja über­schau­ba­r. Aber sie sind Mul­ti­pli­ka­to­ren. Dann hätte es wie­der ge­hei­ßen: „Wer hat uns ver­ra­ten? So­zi­al­de­mo­kra­ten!“ Hof­fent­lich er­kennt die SPD, dass sie kei­nen Blu­men­topf ge­win­nen kann, wenn sie der CDU immer in­nen­po­li­tisch hin­ter­her­ rennt.

Warum traut sich bei der Frage nach der Hen­kel-Nach­fol­ge kei­ner aus der De­ckung? Herr Lux, sonst sind Sie doch nicht so zu­rück­hal­tend.

Be­ne­dikt Lux: Das In­nen­res­sort ist sehr schwie­ri­g. Auch Hen­kel woll­te es nicht. Das Res­sort hat einen rie­si­gen Per­so­nal­kör­per, es herrscht Re­form­stau. Auch in der nächs­ten Ko­ali­ti­on wird es eines der un­at­trak­tivs­ten sein.

Wie­der so ein Po­li­ti­ker­bla­bla.

Lux: Ich habe am Wo­chen­en­de ge­hei­ra­tet und bin noch nicht wie­der ver­neh­mungs­fä­hig (lacht). Aber das, was ich zum In­nen­res­sort ge­sagt habe, meine ich ernst. Es gab dort viele Per­so­nal­ro­cha­den und Blo­cka­den in den letz­ten Jah­ren; es ist un­klar, wer zu­stän­dig ist für den öf­fent­li­chen Dienst, die Di­gi­ta­li­sie­rung und die Bür­ger­äm­ter. Da kann man nicht wirk­lich ge­stal­ten. Die Res­sorts Stadt­ent­wick­lung, Bil­dung und Fi­nan­zen sind da tau­send­mal in­ter­es­san­ter.

Wolf: Ich mache mei­nen Job als Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der sehr gerne und möch­te ihn auch wei­terma­chen. Die Frage, wel­che Senatsres­sorts wir nach der Wahl be­an­spru­chen, ste­ht sin­ni­ger­wei­se am Ende von Ko­ali­ti­ons­ver­hand­lun­gen. Das soll­ten auch Jour­na­lis­tin­nen und Jour­na­lis­ten wis­sen.

Rum­spin­nen darf man ja mal.

Wolf: Selbst­ver­ständ­lich sind wir in der Lage zu re­gie­ren, und zwar am bes­ten in der Drei­er­kon­stel­la­ti­on Rot-Rot-Grün. Aber bis dahin ist es noch ein wei­ter Weg.

Spre­chen wir über die Po­li­zei: Egal wie die Wahl aus­geht, Klaus Kandt bleibt als Po­li­zei­prä­si­dent er­hal­ten. Wel­ches Zeug­nis stel­len Sie ihm nach drei Dienst­jah­ren aus?

Lux: Drei minus.

Im Interview: Christopher Lauer

32, sitzt seit 2011 für die Piraten im Abgeordnetenhaus. Er ist innen- und gesundheitspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Im Herbst verabschiedet er sich aus dem Parlament

Lauer: Er ist zwar nicht Mar­ga­re­te Kop­pers, aber er ar­bei­tet an­schei­nend eng mit der Vi­ze­prä­si­den­tin zu­sam­men. Mich hat po­si­tiv über­rascht, dass die Po­li­zei von sich aus den Ge­neh­mi­gungs­pro­zess für die kri­mi­na­li­täts­be­las­te­ten Orte neu or­ga­ni­siert hat. Das zeigt, Kandt ist kri­tisch. Aber er ist na­tür­lich auch CDU.

Wolf: Klaus Kandt ist schlecht ge­star­tet, er hat in Sa­chen Ra­ci­al Pro­filing viel Un­sinn er­zählt. Aber er ist nicht be­ra­tungs­re­sis­tent. Wenn er von der Op­po­si­ti­on, von Bür­ger­recht­lern auf Mis­sstän­de hin­ge­wie­sen wurde, hat er ver­sucht, das auf­zu­klä­ren.

Ist die Po­li­zei pro­gres­si­ver als ihr Dienst­herr Hen­kel?

Lux: De­fi­ni­tiv, zu­min­dest ein Teil der Po­li­zei.

Was sind die bren­nends­ten in­nen­po­li­ti­schen The­men?

Wolf: Ein un­ab­hän­gi­ger Po­li­zei­be­auf­trag­ter ist ganz wich­tig. Und die Dee­s­ka­la­ti­ons­stra­te­gie, die in die­ser Le­gis­la­tur­pe­ri­ode auf der Stre­cke ge­blie­ben ist.

Im Interview: Benedikt Lux

35, ist innenpolitischer Sprecher der Grünen und parlamentarischer Geschäftsführer. Der Rechtsanwalt ist seit 2006 Mitglied im Abgeordnetenhaus. Er ist auch für Drogenpolitik zuständig

An wel­chen Orten zum Bei­spiel?

Wolf: Beim Ein­satz im April in der Alice Sa­lo­mon- Hoch­schu­le. Die Po­li­zei hat sie wäh­rend einer Na­zi­de­mo re­gel­recht ge­stürmt, weil dort ein Trans­pa­rent gegen rechts aus dem Fens­ter hing. Ver­mitt­lungs­an­ge­bo­te des Rek­tors wur­den ab­ge­lehnt. Zeit­gleich zeig­ten die Nazis vor der Tür den Hit­ler­gruß – und die Po­li­zei hat nichts ge­macht. Das war das Ge­gen­teil von De­es­ka­la­ti­on.

Wo noch?

Wolf: Dass die Po­li­zei im Ja­nu­ar im Haus­pro­jekt Ri­ga­e­r94 mit 550 Be­am­ten eine Haus­be­ge­hung mach­te, ohne einen rich­ter­li­chen Durch­su­chungs­be­schluss zu haben. Und jetzt ak­tu­ell die Räu­mung der Kadter­schmie­de, eben­falls in der Ri­ga­er.

Was wäre Ihre Stra­te­gie?

Lauer: Hen­kel macht einen Larry und schickt da mög­lichst viele Po­li­zis­ten rein, um die Leute zu schi­ka­nie­ren. Das ist doch keine Stra­te­gie. Unter dem letz­ten In­nen­se­na­tor gab es die Pra­xis, dass man mit ra­di­ka­len Lin­ken den Dia­log ge­sucht hat.

Hen­kel sagt, der Rechts­staat sei nicht ver­han­del­bar. Kann man mit den Leu­ten in der Ri­ga­er denn reden?

Im Interview: Udo Wolf

53, ist Fraktionschef der Linkspartei. Seit 2001 sitzt der Publizist, der Politikwissenschaften studiert hat, im Abgeordnetenhaus. Von 2001 bis 2011 haben Linke und SPD in Berlin zusammen regiert

Lux: Ich glau­be schon.

Runde Ti­sche sol­len die Pro­ble­me lösen – ist das Ihr Ernst?

Lauer: Nee. Man braucht einen Ver­hand­lungs­füh­rer, der Er­fah­rung damit hat, ver­fein­de­te Volks­grup­pen zu einen. Die Leute aus dem al­ter­na­ti­ven Wohn­pro­jekt, die An­woh­ner, der Be­zirk und das Land Ber­lin – alle brau­chen einen Für­spre­cher, und dann ei­nigt man sich auf Dinge. Zum Bei­spiel, dass die Leute der Ri­ga­e­r94 dort woh­nen kön­nen, ohne Angst zu haben, ge­räumt zu wer­den.

Und die An­woh­ner der Neu­bau­ten brau­chen keine Angst mehr zu haben, dass ihnen mit Zwil­len in die Kin­der­zim­mer ge­schos­sen wird?

Lauer: Genau. Die Leute dort wis­sen: Un­se­re Yup­pie-Plat­ten­bau­ten wer­den nicht mit Farbe be­wor­fen, un­se­re Autos wer­den nicht an­ge­zün­det und keine Schei­ben ein­ge­wor­fen. Das Ziel muss eine fried­li­che Ko­exis­tenz sein. Das klingt heute ja ziem­lich alt­mo­disch.

Lux: Das ist aber eine Es­ka­la­ti­ons­la­ge, die man aus der Op­po­si­ti­on her­aus nur mah­nend auf­lö­sen kann. Mo­men­tan ist die Stim­mung auf allen Sei­ten so ver­gif­tet, dass erst mal Ruhe ins Spiel ge­bracht wer­den muss. Eine Mög­lich­keit wäre, das Haus zu kau­fen. Bei vie­len der ehe­mals be­setz­ten Häu­ser in Fried­richs­hain hat das An­fang der 90er Jahre auch funk­tio­niert. Aber dafür muss man eine Ak­zep­tanz in der Stadt haben. Vor der Wahl wird das be­stimmt nichts mehr.

Herr Wolf, Ihre Mei­nung?

Wolf: Ich gebe mei­nen Kol­le­gen recht. Vor­aus­set­zung, um über­haupt ins Ge­spräch zu kom­men, wäre, die­sen Po­li­zei­be­sat­zungs­zu­stand in der Stra­ße auf­zu­he­ben. Dabei gilt wie immer das Grund­prin­zip bei Frie­dens­ver­hand­lun­gen: Ein­sei­ti­ge Ab­rüs­tung kann das Ver­trau­en er­hö­hen, dass sich die an­de­re Seite wie­der an den Tisch setzt. Au­ßer­dem soll­te man ver­su­chen, die Strei­fen­tä­tig­keit der Po­li­zei so hin­zu­krie­gen, dass der eine oder an­de­re Brand­stif­ter er­wischt wird. Die ge­ra­de von Hen­kel ge­grün­de­te Son­der­er­mitt­lungs­grup­pe Linx hin­ge­gen ist völ­lig sinn­los.

Wann waren Sie das letz­te Mal in der Ri­ga­er Stra­ße?

Wolf: Ich muss da nicht hin. Ich bin in kei­ner exe­ku­ti­ven Ver­ant­wor­tung, ich bin dort auch wahr­schein­lich kein gern ge­se­he­ner Ver­mitt­ler. Die meis­ten Leute von der Ri­ga­er hal­ten uns oh­ne­hin für Ver­rä­ter in der gan­zen Haus­be­set­zer­fra­ge.

Wir sind froh, wenn Henkel nicht mehr Innensenator ist

Christopher Lauer, Piratenfraktion

Lauer: Wir sind uns da alle einig. Die Si­tua­ti­on ist ver­fah­ren und müss­te so schnell wie mög­lich ge­löst wer­den. Das wäre Auf­ga­be des Re­gie­ren­den Bür­ger­meis­ters Micha­el Mül­ler. Man kann nicht auf den nächs­ten In­nen­se­na­tor war­ten.

Ist das immer so har­mo­nisch, wenn Sie drei zu­sam­men­kom­men?

Lauer: Wir zof­fen uns eher im In­nen­aus­schuss.

Dort spie­len Sie sich doch auch immer die Bälle zu.

„Das Innenressort ist sehr schwierig“: Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Grünen Foto: dpa

(All­ge­mei­nes La­chen).

Lauer: Gut ja, ich schmie­re immer der Grü­nen-Ab­ge­ord­ne­ten Canan Bay­ram aufs Brot, dass sich ihre Par­tei bei un­se­rem An­trag auf Ab­schaf­fung der kri­mi­na­li­täts­be­las­te­ten Orte ent­hal­ten hat. Und jetzt zieht sie mit gro­ßem Tam­tam in Fried­richs­hain-Kreuz­berg in den Wahl­kampf und sagt, sie will die so­ge­nann­ten Ge­fah­ren­ge­bie­te in Ber­lin ab­schaf­fen.

Wie be­ur­tei­len Sie die Si­tua­ti­on im Gör­lit­zer Park, seit Hen­kel dort im April 2015 die Null-To­le­ranz-Zo­ne ein­ge­führt hat?

Lauer: Das hat kaum was ge­bracht. Die paar Leute, die fest­ge­nom­men wor­den sind, und das biss­chen Ha­schisch, das be­schlag­nahmt wor­den ist. Man hat total frus­trier­te Po­li­zis­ten, die sich da die Beine platt­ste­hen. An an­de­ren Stel­len feh­len sie.

Lux: Für die ge­sam­ten Ein­satz­stun­den der Po­li­zei im Görli hätte man auch eine Dau­er­park­strei­fe mit acht Leu­ten für den ge­sam­ten Gör­lit­zer Park fi­nan­zie­ren kön­nen. Im Un­ter­schied zur CDU wür­den Grüne, Linke und Pi­ra­ten viel ge­nau­er hin­schau­en, wie ein ge­ziel­ter Po­li­zei­ein­satz ab­lau­fen kann.

Eine ge­ra­de vor­ge­stell­te Feld­stu­die be­sagt, dass Kin­der und Ju­gend­li­che den Park wegen des Dro­gen­han­dels mei­den, auch ara­bi­sche und tür­ki­sche Fa­mi­li­en gehen dort nicht mehr hin.

Lux: Es gibt ja auch immer noch kei­nen ara­bisch­spra­chi­gen So­zi­al­ar­bei­ter für den Görli. Und in der Ha­sen­hei­de zeigt sich, dass es auch an­ders geht: Dort wird ein nicht ag­gres­si­ver Dro­gen­han­del seit Jahr­zehn­ten ge­dul­det, und der Park ist trotz­dem für Fa­mi­li­en at­trak­tiv.

Lauer: Es wäre an der Zeit, mal über eine an­de­re Dro­gen­po­li­tik in Deutsch­land und Eu­ro­pa zu spre­chen. Nicht sol­che In­sel­lö­sun­gen nach dem Motto, wir ma­chen jetzt einen Cof­fee­shop in Kreuz­berg. Son­dern: Wie le­ga­li­siert man Ha­schisch? Wie kriegt man im Zwei­fels­fall auch eine le­ga­le Ab­ga­be von här­te­ren Sa­chen hin? Als je­mand, der sich, ADHS-be­dingt, täg­lich legal auf Re­zept Am­phet­ami­ne rein­pfeift, lache ich nur über diese un­sin­ni­ge Ver­bots­po­li­tik.

Das löst die Pro­ble­me vor Ort ak­tu­ell aber nicht.

Lauer: Sorry, aber da ma­chen Sie es sich zu ein­fach: Ich bin seit fünf Jah­ren Ab­ge­ord­ne­ter in Ber­lin. Die Po­li­tik davor …

… also die Re­gie­rungs­ko­ali­ti­on aus SPD und Links­par­tei …

„Die ge­ra­de von Hen­kel ge­grün­de­te Son­der­er­mitt­lungs­grup­pe Linx ist völ­lig sinn­los“: Udo Wolf, Linke​ Foto: dpa

Lauer: … hat viele Wei­chen ex­trem be­schis­sen ge­stellt. Die Folge: Ge­ra­de bei der Dro­gen­po­li­tik geht es nicht über Ver­drän­gung hin­aus. Etwa am Wein­berg­spark in Mitte: 2011 war Dro­gen­han­del dort ein gro­ßes Thema. Eine Bür­ger­initia­ti­ve hat sich da­ge­gen ge­wandt, der Park wurde hübsch ge­macht. Und die Szene ist wei­ter­ge­zo­gen. Das ist ein Wan­der­zir­kus.

Wolf: Rich­tig: Gegen Dro­gen­kri­mi­na­li­tät hilft nur eine Än­de­rung des Be­täu­bungs­mit­tel­ge­set­zes auf Bun­des­ebe­ne. Man kann zwar auf Lan­des­ebe­ne Druck­räu­me schaf­fen und den Be­sitz wei­cher Dro­gen ent­kri­mi­na­li­sie­ren. Aber so­lan­ge das Ge­setz be­steht, kann In­nen­po­li­tik nicht viel er­rei­chen. So eine Null-To­le­ranz-Num­mer ist da nichts als Ak­tio­nis­mus.

Für die ge­nerv­ten An­woh­ner ist das ein schwa­cher Trost.

Lauer: Am Kotti könn­te man na­tür­lich was ma­chen, wenn man die Po­li­zis­ten nicht am Görli bei Sinn­los-Ak­tio­nen ver­brät. Ber­lin hat sich jahr­zehn­te­lang nicht die Zähne ge­putzt und wun­dert sich jetzt über ein kom­plett ver­faul­tes Ge­biss, das zu er­neu­ern eben viel teu­rer ist, als wenn man sich jeden Tag die Zähne ge­putzt hätte.

Wie ginge es bes­ser?

Lauer: Das Ord­nungs­amt könn­te die Po­li­zei bei be­stimm­ten Fäl­len ent­las­ten, etwa bei Ver­kehrs­un­fäl­len. Da spa­ren sich ja vor allem die Ver­si­che­run­gen den Au­ßen­dienst, weil die Po­li­zei das alles pro­to­kol­liert.

Umbau also. Und die Po­li­zei braucht auch mehr Per­so­nal? So steht es je­den­falls in den Wahl­pro­gram­men von Lin­ken und Grü­nen.

Wolf: Ja. Frank Hen­kel hat ein paar Stel­len ge­schaf­fen, die er – durch so­ge­nann­te pau­scha­le Min­der­aus­ga­ben – an an­de­rer Stel­le gleich wie­der ein­ge­spart hat. So kön­nen Po­li­zei­be­am­te eben nicht auf der Stra­ße Prä­senz zei­gen, son­dern sit­zen im Büro oder müs­sen beim Ob­jekt­schutz rum­ste­hen. Das zeigt doch, wel­che Prio­ri­tä­ten in der In­nen­ver­wal­tung be­ste­hen.

Von der CDU hätte man ja er­war­ten kön­nen, dass sie Wert dar­auf legt, die Po­li­zei auf Vor­der­mann zu brin­gen.

Lauer: Hat sie aber nicht. Das wohl größ­te Miss­ver­ständ­nis in der jün­ge­ren deut­schen Ge­schich­te ist, dass die CDU ir­gend­ei­ne Ah­nung von In­nen­po­li­tik hat.

Lux: Stimmt.

„Es wäre an der Zeit, mal über eine an­de­re Dro­gen­po­li­tik zu spre­chen“: Christopher Lauer, Piratenfraktion Foto: dpa

Lauer: Die set­zen sich hin, tun nichts – und nach ei­ni­gen Jah­ren muss dann eine an­de­re Re­gie­rung aus SPD und noch je­mand die Suppe aus­löf­feln.

Warum haben Sie Hen­kel nicht mehr ge­trie­ben?

Lauer: Haben wir doch! Ge­ra­de Linke und Grüne haben An­trä­ge noch und nö­cher in den Haus­halts­be­ra­tun­gen ge­stellt. Die haben die vor­hin er­wähn­ten pau­scha­len Min­der­aus­ga­ben tau­send­mal vor­ge­rech­net. Dann saß da immer Se­na­tor Hen­kel und las von sei­nem Sprech­zet­tel ab: „Höhö, Sie haben das nicht ver­stan­den, wir stel­len mehr Po­li­zis­ten ein.“ Das war dann die po­li­ti­sche De­bat­te. Und die Öf­fent­lich­keit ist eben mehr an Kra­wall­ge­schich­ten am Görli, am Kotti und in der Ri­ga­er in­ter­es­siert.

Jetzt sind die Me­di­en schuld, die lie­ber eine Sau durchs Dorf trei­ben?

Lauer: Ja – und nein.

Wolf: Ich finde den Vor­wurf, die Op­po­si­ti­on mache die­ses oder jenes nicht, auch un­glaub­lich ner­vend. Bei­spiel NSU-Skan­dal: Da haben wir Hen­kel und die Po­li­zei rauf- und run­ter­ge­trie­ben. Wir haben vor dem Ver­fas­sungs­ge­richt gegen die un­säg­li­chen Über­sichts­auf­nah­men bei Groß­de­mons­tra­tio­nen ge­klagt: Die Rich­ter teil­ten un­se­re Ein­wän­de lei­der nicht. Und, was das Thema Per­so­nal im öf­fent­li­chen Dienst an­geht: Da haben wir Ent­wick­lungs­kon­zep­te vor­legt, die hat Rot-Schwarz ab­ge­lehnt, und jetzt im Wahl­kampf stellt sich die SPD hin und for­dert genau das.

Hen­kel hat es Ihnen aber auch leicht ge­macht: Er ist ein ver­gleichs­wei­se schwa­cher In­nen­se­na­tor.

Lux: Stimmt. Die CDU und Hen­kel waren völ­lig über­for­dert, die haben gar nicht so viel in Rich­tung Law-and-Or­der-Staat ge­macht. Aber Pud­ding kann man nicht an die Wand na­geln. Wir haben den In­nen­aus­schuss gut be­spielt – und wir wer­den uns diese Zeit bald zu­rück­wün­schen: drei linke, bür­ger­recht­lich ori­en­tier­te Frak­tio­nen, die auch die Auf­ga­ben des Staats hin­ter­fra­gen. Das wird nach dem 18. Sep­tem­ber an­ders.

In der nächs­ten Le­gis­la­tur wer­den zu­min­dest Linke und Grüne mit der AfD zu tun haben. Was kommt da auf Sie zu?

Wolf: Die AfD ist eine ­klassische na­tio­nal­kon­ser­va­ti­ve Rechts­ab­spal­tung des bür­ger­li­chen La­gers, die sich we­sent­lich aus dem Lager der Nicht­wäh­ler speist. Wir haben mit un­se­ren Bran­den­bur­ger und Thü­rin­ger Kol­le­gen ge­spro­chen, wie der All­tag im Par­la­ment mit der AfD aus­sieht. Die Ar­beit wird nicht ein­fach.

Wie stel­len Sie sich das vor?

Nach seiner Pfeife tanzen sie sicher nicht: Innensenator Frank Henkel Foto: dpa

Wolf: Wir haben ja schon Nä­he­rungs­wer­te. Ei­ni­ge Äu­ße­run­gen aus der CDU, von Bur­kard Dreg­ger oder Rob­bin Juhn­ke, sind mit­un­ter nah dran an der AfD-Pro­gram­ma­tik.

Lauer: Stimmt.

Wolf: Ei­ni­ge Äl­tes­ten­rats­sit­zun­gen muss­ten sich mit auf diese Weise aus­ge­lös­ten Tu­mul­ten be­schäf­ti­gen.

Lauer: Das Ab­ge­ord­ne­ten­haus ist das op­po­si­ti­ons­freund­lichs­te Lan­des­par­la­ment in Deutsch­land. Viele An­trä­ge der Op­po­si­ti­on wer­den in die Aus­schüs­se wei­ter­ver­wie­sen, die Ge­sprächs­zei­ten sind fair ver­teilt. Ich habe Angst, dass wegen der AfD – aus durch­aus ver­ständ­li­chen Grün­den – an der sehr op­po­si­ti­ons­freund­li­chen Ge­schäfts­ord­nung her­um­ge­schraubt wird, dass also Min­der­hei­ten­rech­te ein­ge­schränkt wer­den und die Op­po­si­ti­ons­ar­beit schwie­ri­ger wird.

Wolf: Das darf auf kei­nen Fall pas­sie­ren. Bloß weil Fein­de der De­mo­kra­tie ins Par­la­ment ein­zie­hen, darf kein Jota De­mo­kra­tie ab­ge­schafft wer­den. Wir brau­chen einen Ber­li­ner Kon­sens der de­mo­kra­ti­schen Par­tei­en auch im Ver­hal­ten ge­gen­über die­ser un­ap­pe­tit­li­chen Or­ga­ni­sa­ti­on.

Lux: Ent­schei­dend wird sein, dass wir un­se­re Wäh­ler mo­bi­li­siert be­kom­men. Wenn ich höre, was die AfD er­zählt, dann leuch­tet mir ein­fach nicht ein, dass die ein so gro­ßes Spek­trum an­spre­chen.

Herr Lauer, Sie ver­ab­schie­den sich aus dem Par­la­ment. Ihre Bi­lanz nach fünf Jah­ren?

Lauer: Es ist an­stren­gend, total ner­vig, macht aber total viel Spaß. Die Pi­ra­ten­frak­ti­on konn­te aus der Op­po­si­ti­on ei­ni­ge sinn­vol­le Dinge in Ber­lin an­zet­teln. Ich finde es scha­de, dass das Thema Po­li­tik, ob­wohl es me­di­al so stark ver­tre­ten ist, ge­sell­schaft­lich so wenig be­han­delt wird. Alle Men­schen müs­sen po­li­ti­scher wer­den – und Lan­des­po­li­tik ist in­ter­es­san­ter, als man denkt.

Wolf: Ich werde Herrn Lauer ver­mis­sen, im In­nen­aus­schuss und im Ple­num.

Lux: Nicht nur ihn.

Herr Lauer, wird der Po­li­tik­be­trieb Sie wie­der­se­hen?

Lauer: Da er­eilt einen der Ruf.

Lux: Er ist ja noch jung.

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