Inklusive Kultur: Bibel wird jetzt verständlich
Das in Bremen ansässige Büro für Leichte Sprache hat die Ostergeschichte übersetzt. Sie ist nun erstmals in einer maximal barrierefreien Fassung erhältlich
BREMEN taz | Bei der Sprache hört die „Inklusion“ ja meist schon wieder auf. Also: Alleine schon das Wort! Für Menschen mit geringer Sprach- und Lesekompetenz ist es schwer zu verstehen. Und für genau die wird jetzt auch die Bibel übersetzt, ein bisschen zumindest: Soeben ist die „Die Ostergeschichte in Leichter Sprache“ erschienen, in einer maximal barrierefreien und ökumenischen Version, mit Gebärdenvideo und Hörbuch dazu.
Übersetzt wurde die Geschichte der Kreuzigung und Auferstehung Jesu vom Büro für Leichte Sprache, das die Bremer Lebenshilfe seit nunmehr zehn Jahren betreibt. Die hat 2010 auch schon mal eine „Weihnachtsgeschichte in Leichter Sprache“ veröffentlicht, damals noch ohne theologischen oder gar ökumenischen Beistand. „Das war ein Versuchsballon“, sagt Andreas Hoops, der Geschäftsführer der Bremer Lebenshilfe. Und dass sie etwas Angst hatten, die Kirchen könnten ihnen diese Idee klauen. Denn auch bei Büchern in Leichter Sprache kommt es auf die Verkaufszahlen an, das Büro für Leichte Sprache muss sich selbst finanzieren. „Die Frage ist: Gibt es da einen Markt für?“, sagt Hoops.
Am Ende wurde das Projekt aber „ein Erfolg“: Bislang haben sie 5.000 Bücher der Weihnachtsgeschichte in Leichter Sprache verkauft. Nun sollen bis zum Sommer 2016 vier biblischen Geschichten übersetzt werden und die Hilfsorganisation „Aktion Mensch“ unterstützt das mit 250.000 Euro. Als nächstes ist die Josephs-Geschichte aus dem Alten Testament dran.
Warum überhaupt die Bibel? „Viele Menschen mit Behinderungen glauben an Gott und gehen in die Kirche“, sagt Projektleiterin Judith Nieder.
Außerdem sei die Bibel ein wichtiges Kulturgut, das sich behinderte Menschen selbstbestimmt und ohne Vorwissen aneignen können müssten. Damit das geht, müssen die Sätze möglichst kurz sein. Sie sollen auch jeweils nur eine einzige Aussage enthalten. Lange Wörter werden mit Binde-Strichen zerlegt: Deshalb ist in der Ausgabe von „Kar-Freitag“ die Rede. Und vom „Abend-Mahl“. Fremdwörter sind tabu, Alltagssprache und fortlaufende Informationswiederholungen hingegen ausdrücklich erwünscht.
„Wir legen in erster Linie den Fokus auf Reduzierung und Vereinfachung“, sagt Nieder. Ob das jeweils gelungen ist, prüft und kontrolliert die Zielgruppe des Buches selbst: Ein Beirat aus zehn bis zwölf Menschen lektoriert es, liest es also zur Probe. „Was wir nicht verstehen, wird markiert und untereinander besprochen“, sagt Testleser Oliver Neddermann. Dasselbe gilt für die Bilder, die die jeweiligen Textpassagen illustrieren. Leider sehen sie ein wenig so aus, als käme das Buch von den Zeugen Jehovas. Jesus erscheint darin als strohblonder, langhaariger Mann mit Rauschebart und wallendem weißen Gewand. „Er wurde von den Bildprüfern so als Jesus erkannt“, sagt Nieder. Das Wort „Auferstehung“ kommt übrigens nicht vor. Jesus ist „wieder bei den Menschen“, heißt es stattdessen.
Auch der Hahn, der als Wächter und Mahner einen Platz im Passionsgeschehen hat, ist gestrichen worden. Aber auch manch ein starkes Bild, etwa jenes, kurz bevor Jesus stirbt: „Einer von ihnen tauchte sofort einen Schwamm in Essig und steckte ihn auf einen Stab, um Jesus davon trinken zu lassen“, heißt es im Markus-Evangelium.
Das sei für die Zielgruppe „nicht zu verstehen“, sagt der Münsteraner Pädagoge und Theologe Martin Merkens vom Arbeitskreis Theologie und Seelsorge der Bundesvereinigung Lebenshilfe. Er berät das Projekt bei der Frage, „was rein muss und was wegfallen kann“, so Merkens. Jesus‘ Verleugnung durch Petrus etwa – ist gestrichen worden.
„Vor zehn Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, dass wir uns mal an die Bibel ranmachen“, sagt Hoops. Dabei übersetzen sie sonst viel Komplexeres: Gesetzestexte und Verträge, Bedienungsanleitungen und Beipackzettel. Oder Fußball-Regeln.
Das Buch hat 48 Seiten. Es kostet 17 Euro. Dazu kommen Versandkosten. Es kann per E-Mail bestellt werden:
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen