Inklusive Demokratie: Bremen erleichtert das Mitwählen
Als erstes Bundesland erleichtert Bremen Menschen mit Leseschwierigkeiten die Teilnahme an der Wahl. Erstmals sind Wahlunterlagen barrierefrei.
BREMEN taz | Eine Hand, die einen Zettel in die Wahlurne schiebt, eine grübelnde Frau oder ein Kalenderblatt, das den Wahltag zeigt. Neben anschaulichen Bildern sind es vor allem die knappen, einfach formulierten Sätze, mit denen Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) und Landeswahlleiter Jürgen Wayand eine neue Wählerschaft für die Wahl zur Bürgerschaft am 10. Mai gewinnen wollen: Menschen, die Probleme mit der Schriftsprache haben, soll die Teilnahme an der Wahl von nun an erleichtert werden.
Damit ist Bremen das erste Bundesland, das das Wählen barrierefrei gestaltet: Um Menschen mit Leseschwierigkeiten nicht länger auszuschließen, werden Wahlunterlagen samt Stimmzettel und Anschreiben nun in leichter Sprache verfasst. Ab heute geht die Post mit Musterstimmzetteln und Informationen flächendeckend an alle WählerInnen.
Dass Bremen mit dem Versuch, es den WählerInnen mit der Sprache leichter zu machen, nun Vorreiter ist, freut nicht nur Innensenator Mäurer. Elisabeth Otto vom Büro für leichte Sprache der Lebenshilfe spricht von einem wegweisenden Projekt, mit dem Bremen in „die Annalen der Geschichte“ eingehen wird.
In den Augen Mäurers ist es darüber hinaus erforderlich, die Sprache der Verwaltung insgesamt zu vereinfachen. „Ich habe Probleme mit vielen Schreiben, die von meiner Verwaltung getextet werden“, sagt er. Denn hier seien die Sätze oft zu lang, in der Regel handele es sich gar um Schachtelsätze. Um die Sprache verständlicher zu machen, hat das Bremer Büro für leichte Sprache der Lebenshilfe an den Formulierungen mitgearbeitet. Dort haben Menschen mit geistiger Behinderung die Wahlunterlagen als TestleserInnen durchgearbeitet und dem Statistikamt Vorschläge für eine einfachere und präzisere Sprache vorgelegt.
Auf dem Stimmzettel zur Wahl fällt die leichte Sprache kaum auf. Worte, die sonst zusammengeschrieben werden, wurden etwa mit einem Bindestrich versehen.
Im Info-Schreiben steht: „Guten Tag, am 10. Mai ist die Wahl von der Bremischen Bürgerschaft. Und die Wahl vom Beirat. In diesem Brief sind zwei Hefte. Die Hefte sind Muster-Stimm-Zettel.“ Illustrationen zeigen etwa, wie man einen Zettel in die Wahlurne wirft.
Die Hefte seien zur Info, heißt es da weiter: „Sie können überlegen: Welche Parteien Sie wählen wollen. Welche Politiker und Politikerinnen Sie wählen wollen.“
„Sie dürfen nicht mehr als 5 Kreuze machen. Sie können weniger als 5 Kreuze machen. Zum Beispiel 3 Kreuze. Das bedeutet: Sie nutzen nicht alle Ihre Stimmen.“
Die neuen Wahlunterlagen richten sich Landeswahlleiter Wayand zufolge längst nicht nur an Wählerinnen und Wähler mit geistiger Behinderung oder jene, die als funktionale Analphabeten komplizierte Zusammenhänge nicht lesen können, sondern an alle.
Denn viele Menschen haben Schwierigkeiten mit der geschriebenen Sprache. Einer Hamburger Studie zufolge verfügen rund 40 Prozent der Bevölkerung in der Bundesrepublik im Alter von 18 bis 64 über Lesefähigkeiten auf Grundschulniveau, erklärt Elisabeth Otto vom Büro für leichte Sprache der Lebenshilfe. Otto spricht von einem bedeutenden Projekt, dass auch für andere Bundesländer wegweisend sei. „Inklusion ist in aller Munde und mit diesem Projekt haben viele Menschen nun Zugang zu Wahlunterlagen“, sagt sie. „Damit können sie überhaupt erst ihr Grundrecht, wählen zu dürfen, ausüben.“
Für Landeswahlleiter Wayand tun kurze und knappe Sätze, die einfach und für alle verständlich sind, aber eigentlich allen gut – auch wenn es bei der Umsetzung auch strittige Punkte gab.
Mit dem Vorschlag, die zur Wahl stehenden Kandidatinnen nicht als „Bewerber“ sondern als „Politiker“ zu bezeichnen, konnte der Landeswahlleiter nach eigenen Angaben zunächst nicht besonders gut leben. Doch am Ende setzte sich das Büro für leichte Sprache durch.
Denn neben einfachen Sätzen soll leichte Sprache auch leisten, dass die Komplexität der Sprache und gewisse Inhalte heruntergebrochen und zugleich konkretisiert werden, um den Interpretationsspielraum zu verringern.
„Bei der Wahl vor vier Jahren ist es vereinzelt vorgekommen, dass Wählerinnen und Wähler bereits auf dem Inhaltsverzeichnis ihre Kreuze gemacht haben“, sagt der Landeswahlleiter. Um diese Fehlerquelle zu vermeiden, wurde das Blatt nun mit weißer Schrift auf schwarzem Papier gedruckt. Dass bei der letzten Bremer Bürgerschaftswahl insgesamt 3,5 Prozent der Wähler ungültig wählten, hat dem Landeswahlleiter zufolge aber noch einen anderen Grund: „Ungültige Stimmen nehmen bei der Einführung eines neuen Wahlsystems immer zu“, sagt er.
Mit den Musterheften zusammen hat Bremen für die Kommunal- und Landtagswahl zwei Millionen Stimmzettelhefte gedruckt, so Wayand. Bis Ostern sollen alle Musterstimmzettel verschickt sein. Danach folgen die Wahlbenachrichtigungen. Die neuen farbigen Unterlagen in leichter Sprache, die für beide Wahlen an 492.00 deutsche Wählerinnen und nur für die Kommunalwahl an 28.000 EU-Bürgerinnen gehen, haben das Land zusätzliche 175.000 Euro gekostet.
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