Ingeborg-Bachmann-Preis 2013: Niemand ist tot oder pervers
Impressionen vom 37. Bachmann-Wettlesen: Von Käfer-Nerds, Jurydiskussionen, Schamhaarliteratur und der steten Angst vor dem Ende des Bewerbs.
Der Ingeborg-Bachmann-Preis gilt als die wichtigste Auszeichnung für NachwuchsautorInnen. Er wird seit 1977 in Bachmanns Geburtsstadt Klagenfurt vergeben. Für taz.de verfolgte Angela Leinen die Tage der deutschsprachigen Literatur und das Rahmenprogramm mit Bürgermeisterempfang und Wettschwimmen.
Die Preise am Sonntag
„Fehlte nur noch, dass ich meine Mutter grüße. Und weil das die einzige Gelegenheit ist, in der ich mich das traue, grüße ich jetzt meine Mutter, danke, dass du wieder drei Tage zugeschaut hast.” Jury-Vorsitzender Burkhard Spinnen sprach die Schlussworte bei den 37. Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt, sie gingen im Gelächter unter.
Er hatte zuvor ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz als „neuen, starken und dauernden Freund dieses Wettbewerbs“ begrüßt. Zwei Wochen vor Eröffnung des Bewerbs hatte ORF-Generaldirektor mit den Worten „Den Bachmann-Preis wird das Landesstudio Kärnten im kommenden Jahr ganz sicher nicht mehr durchführen” einen Sturm von Protesten und Diskussionen ausgelöst.
Am Samstagnachmittag stellte er sich der Diskussion mit der Jury und wurde anschließend von den Jurorinnen Daniela Strigl und Meike Feßmann erst zum Abendessen, dann zum Lendhafen abgeschleppt. Möglicherweise haben sie ihn dabei so gründlich niedergebusselt, dass er noch in der Nacht die Eintrittserklärung zur Bachmannsekte unterschrieb: Am Lendhafen setzte er sich an die von der Klagenfurter Initiative #bbleibt aufgestellte Maschine und tippte „Bachmannpreis muss bleiben, weil er wichtig ist, weil die Bedeutung vielen bewusst geworden ist.“
Darunter gingen die Sieger, die jetzt nicht die letzten sein werden, beinahe unter. Katja Petrowskaja aus Berlin gewann gleich im ersten Wahlgang – der Auszug aus ihrem Roman „Vielleicht Esther“, war eine „gelungene Geschichtsaneignung durch eine Nachgeborene“. Weitere Preise gingen an Verena Güntner (Kelag-Preis), Benjamin Maack (3sat-Preis) und Heinz Helle (Ernst-Willner-Preis), den Publikumspreis erhielt die Österreicherin Nadine Kegele.
Roman Ehrlich unterlag zwar beim Ernst-Willner-Preis in der Stichwahl, hatte dafür aber zuvor den Automatische-Literaturkritik-Preis der Riesenmaschine verliehen bekommen. Bei diesem Preis werden alle Texte werden nach vorher festgelegten Punkten nahezu objektiv überprüft. Ehrlich hatte unter anderem den im vorigen Jahr eingeführten „Andreas-Stichmann-Pluspunkt: Niemand ist tot oder pervers (auch keine Tiere)“ erhalten.
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Die Lesungen am Samstag
In meinen Ausführungen zur Bachmannpreis-Dramaturgie hatte ich einen Satz gestrichen: „Wer am allerletzten Leseplatz nicht gefällt, mit dem wird kurzer Prozess gemacht.“ Das war schon früher oft der Fall und auch die Diskussion zu Nikola Anne Mehlhorns Text „Requiem der Vierzigjährigen“ geriet am Schluss kürzer als die eingeplante Übertragungszeit.
Für diesen Fall sitzen im ORF-Garten aber immer schon Interviewgäste bereit, um direkt reinzugrätschen. Heute: Die erste Kandidatin des Tages, Hannah Dübgen. Ihr Text „Schattenlider“ war die Ansprache einer Mutter an ihr ohne Augen geborenes Baby. Außerdem Martin Kordic, der Lektor von Roman Ehrlich, welcher heute als Zweiter las und möglicherweise einmal sehr berühmt wird, sofern er sich einen Künstlernamen mit zielführenden Googletreffern zulegt.
Sein Text, „Das kalte Jahr“ ist ein Romanauszug, das Buch wird vermutlich morgen nach der Preisverleihung schon in einzelnen Exemplaren verteilt werden. Roman Ehrlichs Ich-Erzähler kehrt in sein Elternhaus in einem Ort am Meer zurück, in eine Kältekatastrophe unklarer Ursache und Dauer hinein, in der die Menschen kaum noch die Tage unterscheiden können.
Angenehme Unklarheit
In seinem ehemaligen Kinderzimmer findet er den Jungen Richard vor, der sich seine Umgebung auf seltsame Art angeeignet hat und offenbar einen dunklen Plan verfolgt. Der einzige Blick aus dieser Welt nach außen wird durch Videomitschnitte versprengt empfangener Fernsehschnipsel hergestellt. Überwiegend positiv war das Urteil der Jury, in der Diskussion wurde viel gerätselt über die Pläne des Jungen, die Ursache der Katastrophe („post-apokalyptisch“) und überhaupt die offenen Stellen, die der Text lässt. Ein gutes Beispiel dafür, dass es dem Leser (und dem lesenden Rezensenten) Spaß macht, wenn ein Text nicht alles haarklein offenlegt.
Nach Ehrlich las Benjamin Maack, der ebenso Preiskandidat sein dürfte. Der Junge Joachim ist ein Kerbtier-Nerd, er sammelt und vermisst mit großem wissenschaftlichen Ernst Käfer und geht das Thema „Mädchen“ mit ähnlichen wissenschaftlichen Methoden an – so verursacht er versehentlich ein Käfer-Inferno in seiner Butterbrotdose. Die Szene, in der die Mutter die gefundene Brotdose auf den Tisch stellt und Besteck danebenlegt, war für mich der aufregendste Moment der ganzen Veranstaltung, und das folgende Happy End (nicht für alle Käfer, zugegeben) der wärmste.
Die Jury muss am Samstagabend über die preiswürdigen Kandidaten beraten und eine Shortlist für die Preisverleihung aushandeln, leider unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Mein Tipp für die Shortlist: Larissa Böhning, Verena Güntner, Joachim Meyerhoff, Katja Petrowskaja, Cordula Simon, Roman Ehrlich und Benjamin Maack. Joker: Zé do Rock.
Am Sonntag ab 11 Uhr wird dann offen abgestimmt. Direkt davor um 10.30 Uhr werden Kathrin Passig und ich im Garten des ORF-Theaters den mit 500 Euro dotierten „Automatische-Literaturkritik-Preis der Riesenmaschine“ überreichen.
Und bereits fest stehen die Sieger des diesjährigen Bachmann-Wettschwimmens: Stadtschreiberin Cornelia Travnicek und der Autor Martin Fritz siegten in der Kategorie „Stein“ (mit Aufblas-Schwimmhilfe), in der Kategorie „Forelle“ siegte Katharina „Wörtherseeforelle“ Wilts (Klett Cotta).
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Vor den Lesungen am Samstag
Guten Morgen aus Klagenfurt, die Abende werden von Tag zu Tag länger, dafür fängt der Tag heute eine halbe Stunde früher an.
Gestern war Selbstzahler-Abend in Klagenfurt, für die meisten von uns. Für den Prosecco, mit dem auf Michaela Monschein angestoßen wurde, hatten ein paar Leute zusammengelegt. Frau Monschein war als Organisatorin im November unter kaum noch fadenscheinig zu nennender Begründung („normale Personalentscheidung“) nach elf Jahren abgesetzt worden, ohne Dank und Blumen.
Beides wurde gestern Abend am „Lendhafen“ nachgeholt, auf Initiative eines Bachmann-Fanclubs auf Facebook. Alle waren da, die Juroren, der sogenannte Literaturbetrieb und die Hooligans aus dem Internet. Schließlich war es Frau Monschein, die uns vor Jahren, als wir zum ersten Mal hierhin kamen, sofort der Veranstaltung einverleibte.
Es scheint, als hätten sie den Lendhafen extra für unseren kleinen Selbstzahlerliteraturbetrieb hier errichtet. Der Lendkanal verbindet das Strandbad Maria Loretto mit dem ORF-Theater, dazwischen, ans Ende des Kanals, haben kluge Klagenfurter Menschen vor zwei Jahren einen Getränkeausschank und eine Bühne gestellt.
Zwischen hohen Kaimauern, unter einer schmalen Brücke, ist Platz zum Herumstehen- und sitzen. Eine Literaturagentin sagte gestern abend: „Hier sieht man, wie der Bachmannpreis ins Internet fließt“. Vom Bachmannpreis-Public-Viewing, aus grünen Liegestühlen mit Bachmann-Zitaten, wird am Tag gelesen und getwittert. Am Abend werden die Gespräche über die Texte fortgesetzt.
Es ist eine Art Graswurzelliteraturbetrieb, der sich hier unter die üblichen Verdächtigen mischt, unter die Verlagsvertreter, Lektoren, Agenten, Journalisten. Selbstzahler wie die Hildesheimer Studenten, die jeden Morgen das Spaßblatt Ingeborg herausgeben, mit dem Klatsch vom Vorabend und – zum Beispiel – einem Jurorenquartett (Ilma Rakusa, eingespieltes Preisgeld pro Kandidat: 7.000 Euro). Die Studenten gehören hier genauso dazu wie die Klagenfurter Literaturinteressierten und die Leute, die aus dem Internet nach Klagenfurt kommen. Hier am Lendhafen genauso wie beim Empfang des Bürgermeisters, bei dem auch ohne Einladung jeder eingeladen ist.
Auf in den letzten Lesungstag: Im Lendhafen warten wir auf die neue Ingeborg und die Kandidaten des Tages: Hannah Dübgen, Roman Ehrlich, Benjamin Maack und Nikola Anne Mehlhorn.
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Die Lesungen am Freitag
Die Dramaturgie dieser drei Lesetage ist immer ähnlich: Am Donnerstag geht es noch zivilisiert zu, da rauft die Jury sich zusammen, dreht erst langsam auf, kein Kandidat wird vernichtet, keiner vorzeitig zum Favoriten erklärt, wer weiß, was noch kommt? Auch wenn der Donnerstag kaum jemanden zum Sieger macht, so kann man doch mit einem blauen Auge davonkommen.
Am Freitag, dem zweiten Lesungstag, wenn die Juroren den Bürgermeister-empfang vom Vorabend erst einmal überwunden haben, geraten sie in Fahrt. Am Samstag, die Vergnügungen der Nacht haben Spuren hinterlassen, muss, soweit noch nicht geschehen, unter zunehmendem Druck ein Preisträger verhaftet werden.
Wer da die Jury leidlich unterhält, hat beste Preischancen. Der zweite Tag begann mit dem Text „Gott ist Brasilianer, Jesus anscheinend auch“ von Zé do Rock, einem Deutsch-Brasilianer, der seit etwa 20 Jahren in Deutschland wohnt, schreibt, das Deutsche neu erfindet, auf Kleinkunstbühnen auftritt und Filme macht. Sein Text liest sich, als hätte er in seinem Deutsch-Portugiesisch-Bayrisch-Mischmasch seine Reiseerlebnisse diktiert und von Dragon Dictate ohne Rechtschreibkorrektur in Schrift verwandeln lassen.
Kein leicht lesbarer Stoff. Zé do Rock selbst liest etwa doppelt so schnell, wie ich das könnte. Ein Feuerwerk der guten Laune, mit Gewalt, Abgründen, viel Witz. Preiskandidat? Keine Ahnung, aber Burkhard Spinnen ist dafür zu danken, dass er uns am Morgen diesen Aufwecker-Vortrag geschickt hat.
Vorbestellbare Romane
Cordula Simon, die in Odessa lebende Grazerin, las eine Urgroßmutter-Geschichte vom Land, mit kindlichen Schuldgefühlen über den Tod des Bruders und Fluchtgedanken. Sie wies vor Beginn ihrer Lesung darauf hin, dass ihr Roman bald erscheine und man ihn auch schon vorbestellen könne. Moderator Christian Ankowitsch reagierte später: Fast alle Autoren hier hätten (vor-)bestellbare Romane.
Autor Heinz Helle las eine Partnerschaftsgeschichte vor – unerwünschte Schwangerschaft der Freundin. Ein oft benutztes, schreckliches Wort dafür ist „Klagenfurttext“, mir rutschte es zum ersten Mal auch hinaus, aber was soll das eigentlich sein? Ein Text vielleicht mit übersichtlichem Personal (Mann, Frau) etwa gleichen Alters, das auf übersichtlichem Raum spielt (Urlaub ausgenommen) und in dem so etwas wie Arbeit nicht vorkommt. Das war von Helle sprachlich gut gemacht und sicher auch sehr treffend geschildert.
Auf Twitter ploppten Kommentare der Art „genau wie bei mir“ auf. In der Jury-Diskussion wurde dann auch „gut gearbeitet“ von Burkhard Spinnen als großes Plus des Textes angeführt. Man könnte – nach den Well-made-Debatten am Vortag – auf die Idee kommen, dass Literaturkritik in Teilen dann doch nur der Versuch ist, seine Sympathie (interessiert mich/interessiert mich nicht), mit dem Anschein von Sachlichkeit zu umweben.
„Gut gearbeitet“ kann großes Lob sein, „well made“ dagegen fungiert fast als eine vernichtende Schmähung. Philipp Schönthalers Ich-Erzähler im Text „Ein Lied in allen Dingen“ begleitet einen Star-Querflötisten, der dem Geiger David Garrett ziemlich ähnlich sieht, auf seiner Deutschlandtournee. Der Ich-Erzähler ist der Simultanübersetzer, erklärt er am Ende des Textes. Am Anfang wird der Flötist unterm Dach der SAP-Arena in Mannheim aufgehängt, damit er am Ende herunterfallen kann.
Der Sturz und die Langeweile
Wir erkennen das Tschechowsche Gewehr, das im ersten Akt an der Wand hängt, und im letzten Akt abzufeuern ist. Dazwischen passiert wenig, es wird sehr viel sehr detailliert beschrieben. Die Jury redete ausführlich über Langeweile und die Frage, ob er am Ende wirklich stürzt. Jurorin Hildegard E. Keller wollte den Autor fragen, wurde aber von den anderen davon abgehalten.
Am Ende des Tages las Katja Petrowskaja aus ihrem kommenden Roman „Vielleicht Esther“, und nach der Jurydiskussion dürfte das zur Zeit die Favoritin für den Bachmannpreis sein. Im Text geht es um eine verschwundene jüdische Großmutter, über deren Schicksal nichts bekannt ist, nicht einmal der Name, „vielleicht Esther“.
Die Enkelin imaginiert ihre Deportation, ihren Tod beim Massaker in Babij Jar, und verzögert ihren Tod erzählend durch Einschübe von Achill, einer Pflanze (Birkenfeige) und Überlegungen zur Poetologie. Die Juroren waren fast einhellig begeistert, bis auf Paul Jandl, der infragestellte, ob alle Handlungselemente wirklich sinnvoll zusammenhingen.
Interessant ist die Frage, ob nicht die Ehrfurcht vor dem Stoff so groß ist, dass er die Kritik hemmt. Daniela Strigl sagte, sie hielte es nicht für nötig, als Literaturkritiker immer dazu zu sagen, „das war jetzt schon wirklich arg, was da passiert ist“. Sie wolle nicht „im Schatten dieses Grabsteins“ urteilen.
Fazit des Tages: Literaturkritik findet statt. Wer wissen will, wie sie entsteht und mit welchen Fragen sie kämpft, soll sich die Klagenfurter Jurydiskussionen anschauen.
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Vor den Lesungen am Freitag
In Klagenfurt laufen sich die fünf Kandidatinnen und Kandidaten für den zweiten Lesungstag warm. Während das Publikum sich im ORF-Theater (man hört von Platzverteilungskämpfen wie am Hotelpool), am sonnigen Public-Viewing-Lokal am Lendhafen oder draußen an den Geräten einrichtet, schnell ein paar Hinweise: Die Autoren lesen hier aus bislang unveröffentlichten Texten, die Juroren bekommen aber etwa zwei Wochen vorher ein Exemplar, falls sie sich vorbereiten möchten.
Nur der Text von Katja Petrowskaja war gestern morgen schon für fünf Minuten öffentlich: Er wurde, bis es jemand merkte, statt dem Text von Larissa Böhning auf der Bachmannpreis-Internetseite zum Download freigegeben. Die Juroren müssen je zwei Kandidaten einladen. Wie sie das machen, das bleibt jedem überlassen. Wer hier vorlesen will, kann Texte an die Juroren schicken, die müssen diese vielen Einsendungen aber gar nicht lesen, sondern können auch Empfehlungen von Verlagen und Agenten folgen oder Autorinnen oder Autoren fragen, ob sie nicht gerade etwas Schönes für Klagenfurt da haben.
In den ersten Jahren luden die Juroren einfach geschätzte Autoren ein, die brachten dann irgendwas mit, was sie gerade in Arbeit hatten, meist ein Romankapitel. Einerseits konnte es da zu unschönen Szenen kommen, wenn dem einladenden Juror dann doch nicht gefiel, was sein Kandidat mitbrachte. Andererseits war allen klar, dass über unfertige, unlektorierte Texte geredet wurde.
Die Vorgabe, dass der Text unveröffentlicht sein muss, wird ernst genommen. 1990 wurden gleich zwei Autoren nach ihren Lesungen disqualifiziert. Die arme Margit Schreiner hatte eine frühere Version bei einem Wettbewerb eingereicht, nichts gewonnen und gar nicht gewusst, dass der Text auf diesem Weg in eine Anthologie geraten war. Erstaunlich dabei, dass das – vor Google – irgendeiner Petze überhaupt aufgefallen war.
Heute heißt „unveröffentlicht“ oft: Fünf Minuten vor Auslieferung. Verlagsvertreter reisen mit Exemplaren des fertigen Romans im Koffer nach Klagenfurt, um sie am Sonntagnachmittag vorab zu verteilen, wie 2010 mit Dorothee Elmigers „Einladung an die Waghalsigen“ (3sat Preis und Automatische Literatur Kritik Preis). „Das kalte Jahr“ von Roman Ehrlich, der am Samstag liest, erscheint am kommenden Montag.
Es ist also gar nicht vorgesehen, dass Autoren sich die Jurykritik zu Herzen nehmen und ihre Texte bei Einsicht noch einmal überarbeiten können. Dazu passt nicht, dass Burkhard Spinnen in einem Interview in der vorigen Woche die Veranstaltung als „Nachwuchswettbewerb“ bezeichnete. Was soll da noch wachsen, wenn die Romane, aus denen gelesen wird, nur noch aus der Kiste ins Verkaufsregal geräumt werden müssen?
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Die Lesungen am Donnerstag
„Die gekochte Ochsenzunge stand auf einer Porzellanplatte, mitten auf dem Küchentisch. Er war rein gekommen und hatte gedacht, da steht ein fleischiger Riesenpenis.“ Meinetwegen hätte Larissa Böhning ihren Romanauszug („Zucker“, erscheint demnächst) ruhig etwas später am Tag lesen können – nicht auf (meinen) nüchternen Magen.
Klar, was man mit so einem Phallus-Nahrungsmittel macht: Mit großem scharfen Messer zerteilen, damit der Herr Freud eine Freud hat und dem anwesenden Heiratsschwindler der Appetit vergeht. Die Annemarie kommt aus Bayern, hat Krebs, sagt sie, noch sechs Monate – gibt es im Leben wirklich diese präzisen Todeszeitvorhersagen?, der Mann will ihr an die Elbchaussee-Villa, Sex findet statt.
Jedenfalls schon mal eine interessante Geschichte, und wer da wen verarscht, muss der Roman zeigen. Das ist jedenfalls interessanter als der Text, der letzten Lesenden des Tages, Anousch Müller. Denn deren Sujet „Paar fährt in Urlaub und trennt sich dort“ ist durch – durcher als durch – und ohnehin eine Klagenfurt-Standardsituation. Immerhin ist die Hauptfigur Hypochonderin mit Lippenherpes, Schwären und Beulen, das gibt dem Text Farbe.
Joachim Meyerhoff, der als Zweiter las, ist als Theaterschauspieler bekannt und hat eine große Fangemeinde, soweit das im Internet feststellbar ist. Ein junger Mann stiehlt einen Bildband, fährt schwarz, das ist voller Pointen, auch ganz guter Pointen, sehr lebhaft vorgetragen. Publikumspreisverdächtig. Nur: Immer wenn ich denke, dies wäre ein ganz guter Schluss, geht die Geschichte weiter, ohne dass etwas Neues passiert.
Meyerhoff tritt sehr selbstbewusst auf. Er überzieht seine Lesezeit um sieben Minuten und erklärt der Jury am Ende seine Poetologie. Als müsste nicht der Text für sich sprechen. Normales Arbeitsrisiko, dass man verkannt wird. Die Österreicherin Nadine Kegele hatte ein schönes selbstgemachtes Stop-Motion-Autorenvideo, so einfach ist das, man braucht nicht mal eine Filmkamera dazu, eine einfache Digitalknipse genügt.
Ersehnte Schwangerschaften
Sie las einen sehr körperbetonten Text, mit vielen Brüsten, ersehnten und beobachteten Schwangerschaften, noch mehr noch größeren Brüsten. Schamhaare kamen auch vor. Wobei: Als hätten sich abgesprochen, tauchten Schamhaare heute in vier von fünf Texten vorgestellten auf. So wie im vorigen Jahr ständig Tiere getötet wurden. Literarischer Trend Schamhaarliteratur.
Die Jury war unbegeistert, Burkhard Spinnen, der Nadine Kegele eingeladen hatte, versäumte es sogar, den Text gescheit zu verteidigen und wollte ein „nicht-gut-gemacht“-Sein als dessen besondere Qualität herausstellen. Mein Favorit des heutigen Tages ist „Es bringen“ (Romanauszug) von Verena Güntner. Ich lasse mir für gewöhnlich nicht gerne vorlesen, wahrscheinlich, weil der Text gehört so viel länger dauert. Verena Güntner las – trotz männlichem Ich-Erzähler, sehr passend.
Eine Pubertätsgeschichte, Rollenprosa aus der Sicht eines 16-jährigen. Luis ist ein Früchtchen, lebt in prekären Verhältnissen, hat eine Mutter mit schlechten Zähnen, die aber – angenehm überraschend – nicht an allem Schuld ist. Zu „Jugendsprache“ fällt ja immer das Stichwort „authentisch“, und irgendjemand merkt irgendwo an: So reden 16-Jährige nicht.
Doch erstens: Wer will das wissen? Selbst wer Kinder hat, kennt nur Kinder in einem bestimmten (bei Über-Literatur-Sprechenden in der Regel bürgerlichen) Umfeld, und weiß nicht, wie sie reden, wenn keiner dabei ist. Und es will ja auch keiner ein Buch in einer Sprache schreiben, die morgen schon wieder von vorgestern ist. Also muss eine Jugendsprache simuliert werden, die ungefähr abbildet, wie ein 16-Jähriger aus der Siedlung reden und denken könnte.
Die Juroren waren überwiegend überzeugt, nur Burkhard Spinnen putzte die Autorin mit dem Prädikat „Well made“ herunter – zwischen den Zeilen, jaja, ganz gut gemacht. Diese Jurysprache muss man auch erstmal verstehen, da ist „gut gemacht“ gleichbedeutend mit uninspiriert, und das vielleicht Schlimmste, was gesagt werden kann ist: „Ein wichtiges Thema“ oder „ein ehrenwerter Versuch“. Mit //twitter.com/NadineKegele:@NadineKegele und //twitter.com/Anousch:@Anousch traten heute die beiden aktiven Twitterinnen unter den Teilnehmern auf.
Falcos Schloss
Gewittert wird während der Lesungen sehr lebhaft unter dem Hashtag #tddl. Nachlesen vergangener Kommentare ist weniger empfehlenswert, da fehlt dann der Bezug, Gleichzeitig mitlesen und mitmachen schon eher. Für heute ist die Arbeit getan, das Strandbad hat geöffnet „bis Badeschluss“, was an jedem Tag neu festgelegt wird.
Am Abend lädt der Bürgermeister ins Schlösschen Maria Loretta am See ein. Da soll ja mal Falco gewohnt haben, dann verfiel es eine Weile und ist jetzt die Traumlocation für Hochzeiten und Offizielles. Der ORF muss dafür gar nichts bezahlen, das Büffet zahlt die Stadt. Nach der völlig frei gehaltenen und unüblich deutlichen Rede von Vizebürgermeister Albert Gunzer am Vorabend – keine Gesprächsbereitschaft über Einstellung des Bewerbs – habe ich in diesem Jahr das Gefühl: Der freut sich richtig, wenn alle kommen.
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Die Eröffnungsrede am Mittwochabend
„Ein bizarres UFO“, nannte Tex Rubinowitz die Veranstaltung einmal. Der Literaturbetrieb reist nach Klagenfurt und verschwindet wieder, spurlos, und ohne mehr als nötig von der Stadt und der Organisation mitzubekommen. Der Eröffnungsabend besteht aus Reden örtlicher Verantwortungsträger, denen kaum jemand zuhört, hat ja mit Literatur nicht viel zu tun, der „Klagenfurter Rede zur Literatur“ und der Auslosung der Lesereihenfolge.
Der letzte Punkt ist für gewöhnlich der Spannendste, vor allem für die Autoren. Aber ausnahmsweise ist zwischen dem „Bewerb“ 2012 und heute etwas passiert, wovon das UFO da draußen Notiz genommen hat: Im November wurde ohne überzeugende Begründung ORF-Redakteurin Michaela Monschein nach 11 Jahren als Organisatorin des Bachmannpreises abgesetzt.
Und vor knapp zwei Wochen verkündete ORF-Direktor Alexander Wrabetz, 2014 werde das Landesstudio Kärnten den Bachmannpreis „ganz sicher nicht mehr durchführen.“ Feiern wir heuer (hier sagt man „heuer“) Bachmannpreis, als wäre es das letzte Mal? Sind dieses Jahr mehr Leute angereist? Im Studio sind ohnehin zur Eröffnung keine Plätze mehr frei, draußen im Garten wird übertragen. Da ist auch die Luft besser.
Glaubt noch jemand ernsthaft, dass es im nächsten Jahr keinen Bachmannpreis mehr geben wird? „Dann kommen wir eben nur zum Wettschwimmen her“, sagt jemand. Wrabetz ruderte nach drei Tagen schon wieder zurück, so am 25. Juni auf //twitter.com/wrabetz:Twitter: „@wrabetz das letzte Wort ist noch nicht gesprochen! Wir werden alles tun um #Bachmannpreis fortzuführen. wir brauchen Unterstützung. Gespräche folgen.“
Randgruppenveranstaltung
Womöglich hat das miteinander zu tun, die Absetzung von Frau Monschein und die Drohung, diese Randgruppenveranstaltung abzuschaffen. Als Frau Monschein gehen musste, sickerte durch, der Bewerb solle ab 2014 „fetziger, poppiger, fernsehtauglicher werden“. Das wurde ja schon einmal vor fünf Jahren versucht.
Dieter „Max“ Moor als Moderator, weniger Juroren, weniger Kandidaten, nur noch zwei Lesetage. Soweit ersichtlich, fand das niemand gut, am Ende auch Herr Moor nicht. Wird da erst Feuer gelegt, dann im letzten Moment gelöscht und aus den Ruinen irgendwas Anderes gebaut? In ihren Ansprachen beteuerten alle mehr (Vizebürgermeister Albert Gunzer) oder weniger (ORF/3sat-Redaktionsleiter Hubert Nowak) vehement, dass der Wettbewerb erhalten werden muss.
Nachdem 2009 Josef Winkler in seiner „Klagenfurter Rede zur Literatur“ die versammelte Mannschaft an örtlichen Honoratioren (darunter die Witwe von Jörg Haider) herunterputzte, traut man sich nicht mehr, der Rede nur mit halbem Ohr zu folgen.
Michael Köhlmeier, ein Autor, der – kein Quatsch – so ziemlich alles kann, „hätte“ ohne die aktuelle Debatte um den Bachmannpreis eine halbe Stunde über Jörg Fauser geredet, der 1984 hier vor allem von Marcel Reich-Ranicki sehr schmerzhaft abgesnobbt wurde („Sie gehören hier nicht hin“). Tat Köhlmeyer dann auch, in einer langen „hätte ich erzählt, dass“-Rede.
Rede gegen die Abmurksung
Da hätte er nun zu dem oder jenem Schluss kommen können: Fordern, dass das künftig unterbleibt, damit es nie mehr jemandem geht wie Jörg Fauser. Oder eben so: „Nach einer Nacht Nachdenken habe ich mich schließlich dazu durchgerungen, mich in den Schulterschluss … einzuklemmen, auch auf die Gefahr, meine Nase einem unangenehmen Achselgeruch auszusetzen. In der Not werden eben Opfer verlangt.“
Er endete mit dem Aufruf, alles gegen die Abmurksung des Bewerbes zu tun – und dabei Jörg Fauser nicht zu vergessen. Womit wir bei den Nebendarstellern des Abends angekommen waren: Den Autorinnen und Autoren, laut Köhlmeier die „Sektgläser“ auf dieser Kritikerparty. Die saßen lange fast unbemerkt im Studio herum, bevor sie dann am Ende endlich ihr Leseplatzlos ziehen durften.
Die Juroren durften wenigstens mit Klatschmarsch einziehen. Heute lesen ab 10.15 Uhr Larissa Böhning, Joachim Meyerhoff, Nadine Kegele, Verena Güntner und Anousch Müller. Laut Statistik (danke, Kathrin Passig) gab es in der Geschichte nur vier Bachmannpreisträger, die schon am Donnerstag gelesen haben. Aber Kopf hoch: If you can make it here on Donnerstagmorgen, you'll make it anywhere.
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