Inga Copelands erstes Soloalbum: Stilwillen ist hier Widerstand

Im Hintergrund irrlichtern ein paar Synthesizer: „Because I’m worth it“ heißt das großartige Elektronikpop-Debüt von Inga Copeland.

Das Cover des Albums gefällt uns so gut, dass wir es gleich zweimal zeigen. Bild: Promo

Zugegeben, ein wenig denkfaul ist es schon, Musiker immer gleich an ihrer gesamtem Künstlerbiografie zu messen. Vor allem wenn die Künstlerbiografie so schillernd ist wie die der in London lebenden Estin mit russischen Wurzeln, Inga Copeland.

Lange war sie Teil des Duos Hype Williams, das mit einem einzigartigen Mix aus Dub, Goth-Synthesizern, Metalsamples und Zitierfreude die verschlagensten Trickser der fortschrittlichen britischen Bassmusik-Szene darstellten. Aber auf ihrem nun erscheinenden Debütsoloalbum begibt sich Copeland erst mal freiwillig in den langen Schatten ihrer eigenen Vergangenheit.

Im vergangenen Jahr verarbeitete die andere Hälfte von Hype Williams, ihr ehemaliger Partner und Mitmusiker Dean Blunt, die Trennung der beiden mit einem Album aus traditionellen und gleichzeitig artifiziellen Bluespatterns. Zwischengeschaltet waren Samples von Mailbox-Nachrichten: Missverständnisse, Bitten um Rückruf, „Baby, please …“

Inga Copeland dagegen lässt das Telefon einfach klingeln. „Advice to young girls“ heißt der Track, auf dem Anrufe grundsätzlich unbeantwortet bleiben. „The city is yours“, spricht sie dort mit einer Stimme, die nur deshalb unterkühlt wirkt, weil sie sich hinter einem Schleier aus elektronischen Artefakten verbirgt. „Because I’m worth it“ heißt Inga Copelands lang erwartetes Debüt.

Der Albumtitel ist ein Zitat: Der alte Werbeslogan des Kosmetikherstellers L’Oreal, bei Inga Copeland wird er zum Empowerment, zur Selbstverständlichkeit. Copeland, die ihr Alter geheim hält, ist eine selbstbestimmte und unabhängig handelnde Frau. Anstatt auf einem der zahlreichen Labels mit viel subkulturellem Kapital zu veröffentlichen, bringt sie ihr Debüt komplett selbstständig heraus: ein ziemliches Statement, ohne Vertrieb, ohne jegliche Werbung und in limitierter Auflage auf Vinyl gepresst.

Erfolg sabotieren

Die Veröffentlichung sabotiert ihren eigenen Erfolg, aber trotzdem reden alle über Inga Copeland. Es ist eine ihrer vielen Strategien. In Copelands Musik ist die Kunstsinnigkeit von Post-Dubstep, all das barocke Ausstellen der eigenen Geschmacks-Erbschaften in Kombination mit der inneren Befindlichkeit, wieder der Kunst gewichen: Stil als Widerstand, so wie bei vielen Art-School-Musikern vor ihr.

Das rückt Inga Copeland in die Nähe einer anderen großen Meisterin der künstlichen Oberflächen: Grace Jones. Aber wo Jones ihre Artifizialität betont, ihren Körper nach der technisch präzisen Oberfläche des Cyborgs modelliert, ist bei Copeland von den Verheißungen der Mensch-Maschine nur noch Erschöpfung übrig geblieben. Auf dem Cover von „Because I’m worth it ist ein grobkörniges Schwarz-Weiß-Foto. Inga Copeland steht mit verschwitzten Haaren und einem Sport-Oberteil vor einer Wand. Müde schaut sie in die Kamera, die eigene Erschöpfung kann nicht mehr aus dem eigenen Zeichenvorrat ausgeschmückt werden.

Natürlich weiß Inga Copeland ganz genau, dass Popmusik über Zeichen funktioniert. Aber die Zeichen auf „Because I’m worth it“ sind so miteinander verbunden, dass ihre Disparatheit in den Vordergrund tritt. Copelands Album beginnt mit dem Ticken eines Geigerzählers, über den sich schnell ein Sinuston in der Nähe der Schmerzgrenze legt. Im Hintergrund irrlichtern ein paar Synthesizer durch den Track, der genauso brutal endet wie er sich ankündigte.

Und wie eben diese Synthesizer irrlichtern alle Stücke auf „Because I’m worth it“. Bei „l’oreal“ erklingt ein Breakbeat, aber er bleibt bruchstückhaft, findet nie in den hypnotischen Groove von Jungle und Drum ’n’ Bass. Copeland surft auf den Ruinen von 35 Jahren Pop-Avantgarde: Postpunk, Acid, das Hardcore Continuum.

Aber ihr geht jegliche Melancholie, das Betrauern des Verlusts einstiger Möglichkeiten und Hoffnungen auf ein besseres Morgen ab. Stattdessen vermischt Inga Copeland all das, als wäre sie eine klassische Dub-Produzentin. Nur dass sie weniger an den Klischees von Dub, den Hallfahnen, dem Gesang auf Patois, interessiert ist, sondern an seiner Erfahrbarkeit: dem Moment, wenn man vor einem Soundsystem steht und der Sound den gesamten Körper durchfährt.

Dier in London lebende Estin Inga Copeland hat bis 2013 zusammen mit ihrem Partner Dean Blunt das Artprankster-Duo Hype Williams betrieben und mehrere Alben veröffentlicht. Seit ihrer Trennung arbeiten beide an Solokarrrieren. Copelands Debütsoloalbum erscheint komplett in Eigenregie.

Inga Copeland „Because I’m worth it“ (Eigenverlag)

Nach 30 Minuten ist Schluss. 30 Minuten, in denen Copeland alles gesagt hat. Der Nullpunkt ist erreicht. Jetzt kann’s wieder vorwärts gehen.

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