piwik no script img

Informelle Siedlungen in der StadtEinfach schwimmen lassen

Mitten in der Rummelsburger Bucht ankern derzeit bunt und ungeplant 15 Boote. Man hilft sich aus auf Lummerland, doch fürchtet man auch das Verbot.

Lummerland gibt's auch ohne Jim Knopf. Foto: Sophie Schmalz

Bunt und ungeplant schwimmt die Siedlung auf der Spree in der Rummelsburger Bucht. Boot an Boot schafft die Schiffsinsel etwas ganz Besonderes inmitten der Stadt. „Um frei zu sein“, sagt Hausbootbesitzer Woody, sei er vor fünf Jahren aufs Wasser gezogen. Die KapitänInnen der Schiffe unternehmen das Wagnis, einen utopischen Freiraum jenseits gesellschaftlicher Normen auf dem Wasser zu erschaffen. Piraterie auf der Spree – wenn es sie noch gibt, gibt es sie hier.

Lummerland nennen sie ihre Bootssiedlung. Ihr gehören 15 Boote an. Mit der ordentlichen Uferbebauung im Hintergrund sieht sie aus wie eine fiktive Insel. So idyllisch es klingt, die Zukunft Lummerlands hängt nicht nur von der Wasserschutzpolizei, sondern auch von AnwohnerInnen und PolitikerInnen der anliegenden Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Lichtenberg ab. Auf den Booten kursiert das Gerücht, dass das Ankern in der Bucht verboten werden soll. Warum lässt man die Siedlung nicht einfach schwimmen?

Sieben Anker halten die Insel. Neben einem Segelschiff liegt ein kleines aus Holz gebautes Schiffchen, das ausschließlich aus Blumen besteht – das „Blumenbeetboot“. Man hilft sich aus auf Lummerland: Auf einem Boot gibt es eine Dusche, auf dem anderen einen Fernseher, auf dem dritten einen Grill. „Einmal am Tag wird für alle gegrillt“, sagt Kapitän Mike. Er ist vor einem Jahr aufs Wasser gezogen und hat neben Woody geankert. „Wir hatten das nicht geplant, aber nach und nach kamen weitere Schiffe dazu“, sagt Woody. So entstand Lummerland.

Für vorbeifahrende Tretboote und Touridampfer ist die Bootssiedlung ein Spektakel; ständig werden Handykameras hochgehalten. „Manchmal fühlen wir uns wie im Zoo“, sagt Mike und lacht.

Die Insel ist mit weiteren Hausbooten, die in der Bucht frei ankern, und Schiffen, die an der Spundwand anlegen, gut vernetzt: In der WhatsApp-Gruppe „Bootsfreunde Rummelsburg“ sind rund 40 Leute – auch LandbewohnerInnen. So wird vor Unwetter gewarnt, informiert, wenn die Kulturflöße „Wackelberry“ und „Anarche“ ein Floßkino oder eine Demonstration veranstalten, und besprochen, ob ein Ankerverbot droht.

Ein Verbot wäre das Ende für viele BootsbesitzerInnen. „Bezahlbare Liegeplätze gibt es erst wieder hinter Schöneweide“, sagt Martina von der „Anarche“. Theaterprojekte mit Geflüchteten und andere Veranstaltungen, die das „Anarche“-Kollektiv organisiert, wären dann nur noch schwer zu realisieren. Die meisten Schiffe der Bucht sind zu unkonventionell, um in einem der umliegenden Jachthäfen einen Liegeplatz zu bekommen. Die Kulturflöße der Bucht haben sich daher unter dem Namen Spree:publik zusammengeschlossen, um für einen stadtnahen Kulturhafen zu kämpfen.

Ein Ankerverbot sei nicht erforderlich, sagt Stefan Sühl vom Wasser- und Schiff­fahrts­amt, der zuständigen Bundesbehörde. Da die Bucht Teil der Bundeswasserstraßen ist, kann das Land Berlin den Bund lediglich um ein Ankerverbot bitten, wenn Gründe wie Naturschutz angeführt werden. Das sei bisher nicht passiert und auch nicht geplant, so Petra Rohland, stellvertretende Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt.

Allerdings lagert auf dem Grund der Bucht jahrzehnte­alter Giftschlamm. Durch das Ankern werde dieser aufgewirbelt, sagt ein Landbewohner, der anonym bleiben will. Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Freien Universität hingegen sagt, dass die Boote „kaum Auswirkungen“ auf das Gift­pro­blem hätten.

„Wir wollen die Hausboote nicht vertreiben. Wir erkennen diese Lebensweise an“, sagt Stefan Glücklich von der Ini­tia­tive „Stralau gegen Lärm“, die sich gegen laute Musik umliegender Clubs und Partyboote wehrt. Ruhestörungen durch die Boote der Bucht sind ihm nicht bekannt, allerdings seien die öffentlichen Mülleimer am Ufer überfüllt, und es werde vermutet, dass Fäkalien im Wasser landen, so Glücklich. „Wir haben Trockenklos und Abwasserkanister“ sagt Hausbootbesitzer Jan. Die werden in Jachthäfen entleert oder von Entsorgungsfirmen abgeholt.

Am 3. September organisieren LandbewohnerInnen ein Fest an der Uferpromenade. Es wird gemunkelt, dass einige Boote der Bucht involviert werden, um sich gegenseitig besser kennenzulernen. Wahrscheinlich keine schlechte Idee.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!