Industrie holzt Spessart ab: Kahlschlag vor Schneewittchens Haustür
Im Spessart werden uralte Wälder gefällt. Das Unternehmen Bayerische Staatsforsten verstößt dabei mehrfach gegen Naturschutzrecht, sagt Greenpeace.
![](https://taz.de/picture/224721/14/6779758erwt.jpg)
HEIGENBRÜCKEN taz | Vereinzelt ragen kahle Stämme in den Himmel. Dazwischen zeugen die Stümpfe frisch gefällter Buchen und Eichen davon, dass die Maschinen der Bayerischen Staatsforsten (BaySF) hier in einem Waldstück nahe Rohrbrunn im Spessart erst vor kurzem Holz geschlagen haben. Ein einzelner Stamm ist mit einer gelben Schlangenlinie gekennzeichnet.
Ein Biotopbaum. Für die Holzverarbeitung von minderem Wert, aber mit seinen Rindentaschen und Spechtlöchern wichtiger Lebensraum für andere Lebewesen – allerdings nur, wenn es um ihn herum noch Bäume gibt. „Für den Vogelbaum da drüben gilt das Gleiche“, sagt Wolfgang Sadik und zeigt auf einen Horst in der blätterlosen Krone eines weiteren einsamen Baumes. Der Greifvogel werde ohne schützenden Wald kaum zu seinem Nest zurückkommen.
Seit fast vier Wochen zeltet Projektleiter Sadik mit bis zu zwanzig weiteren Greenpeace-Aktivisten im Vorgarten einer Saftkelterei im unterfränkischen Heigenbrücken. Jeden Tag schwärmen sie in die Wälder aus, vermessen und kartografieren den Baumbestand. Mehr als 210 Hektar Staatswald haben sie schon erfasst, mehr als 8.000 Buchen und Eichen kartiert.
Diese Informationen werden damit erstmals öffentlich zugänglich. „Bayern ist das einzige Bundesland, das keine Daten darüber offenlegt, wo und wann es Waldflächen aus der forstwirtschaftlichen Nutzung nehmen will“, sagt Sadik. Dazu wäre der Freistaat nach der Nationalen Strategie über Biologische Vielfalt von 2010 verpflichtet. Bis 2020 will Deutschland 10 Prozent weniger staatliche Fläche forstwirtschaftlich nutzen. Bis dahin verlangt Greenpeace einen Einschlagstopp für über 140-jährige Eichen und Buchen.
Gefällter Schutz vor dem Klimawandel
Der Heisterblock im Zentrum des bayerischen Spessarts mit seinen über 400-jährigen Eichen und 180-jährigen Buchen zählt zu den ältesten und schönsten Wäldern Mitteleuropas. So alte Bäume trügen mit ihrer hohen Speicherkapazität für CO2 viel zum Schutz gegen den Klimawandel bei, sagt Greenpeace-Waldexperte Martin Kaiser.
2011 hat die Unesco alte Buchenwälder in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Thüringen und Hessen ins Weltnaturerbe aufgenommen. Dort sind sie anders als im Spessart in Nationalparks und Biosphärenreservaten geschützt. „Die Bayerischen Staatsforsten stellen den eigenen Profit über den Naturschutz“, sagt Projektleiter Sadik. Auch dicke, wertvolle Bäume würden geschlagen. Selbst das Totholz – das bei einer nachhaltigen Forstwirtschaft im Wald verbleiben müsste – werde mithilfe riesiger Maschinen abtransportiert. „Das ist nichts anderes als ein Kahlschlag.“
Die Kritik der Umweltschützer geht noch weiter: Anschließend würden oft Douglasien gepflanzt – ein ökosystemfremder, schnell wachsender Nadelbaum aus Kanada, der in erster Linie der Gewinnmaximierung diene. Experte Kaiser sieht darin einen Verstoß gegen die europäische Natura-2000-Richtlinien und das Bundesnaturschutzgesetz.
Bei den BaySF, die die bayerischen Staatswälder seit 2005 im Auftrag der Landesregierung bewirtschaften, weist man die Kritik zurück. Der Vorwurf angeblicher Gesetzesverstöße entbehre jeglicher Grundlage. Immerhin: Man werde die Vorwürfe von Greenpeace genau prüfen, verlautet über eine schriftliche Mitteilung. Im Spessart stellt sich Sadik mit seinem Team derweil auf eine längere Aktion ein. „Wir werden uns hier für längere Zeit festbeißen“, sagt er.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Münchner Sicherheitskonferenz
Selenskyjs letzter Strohhalm