piwik no script img

Indigene über Landraub in Brasilien„Wir müssen draußenbleiben“

Ládio Veron kämpft für die Guarani Kaiowá um die Rückgabe des Landes. Das hatte die brasilianische Agroindustrie unter sich aufgeteilt.

Protest der Guarani Kaiowá in Sao Paulo, 2015 Foto: Imago/Xinhua
Interview von Hannah Lena Roth

taz: Herr Veron, müssen Sie um ihr Leben fürchten, wenn Sie von Ihrer Tour durch Europa nach Brasilien zurückkehren?

Ládio Veron: In Griechenland habe ich von einem Farmer aus meiner Heimat einen Anruf erhalten. Er sagte mir, dass mein Sarg schon fertig sei, wenn ich zurückkehrte.

Wie ernst nehmen Sie diese Drohung?

Ich bin schon mehrmals nur knapp dem Tod entkommen. Mein Vater, einige meiner Geschwister und eine Nichte haben den Kampf um die Rückgabe unseres Landes mit dem Leben bezahlt. Die Großgrundbesitzer bilden Paramilitärs aus, die uns bedrohen. Über unserer Siedlung Takuara fliegen rund um die Uhr Drohnen. Sie überwachen uns und schauen, ob wir Besuch von Nicht-Indigenen erhalten oder einen Angriff planen. Aber ich habe keine Angst vor dem Tod.

Seit fast 30 Jahren garantiert die brasilianische Verfassung allen indigenen Gruppen das Recht auf ihr ursprüngliches Land. Aber Sie müssen mit Ihrer Familie auf 10 Hektar in einem illegalen Camp in einer Zuckerrohrplantage leben. Warum?

Das ist unser eigenes Land, das wir besetzt haben. Uns stünde sogar das gesamte Gebiet zu, 9.700 Hektar. Es gibt dazu ethnologische Gutachten, alle Papiere sind vollständig. Aber der Präsident unterzeichnet den Erlass nicht, der uns das Land zurückgeben würde.

Im Interview: Ládio Veron

ist Cacique (politischer Anführer) der Guarani Kaiowá und derzeit auf Info-Tour durch Europa.

Die Guarani sind mit rund 51.000 Mitgliedern das größte indigene Volk Brasiliens, die Guarani Kaiowá mit etwa 30.000 Mitgliedern die größte Teilgruppe. Sie leben in Zentralbrasilien.

Was ist da los?

Dahinter steckten immer schon ökonomische Interessen. Unser Land wurde an große nationale und internationale Konzerne verkauft, die es gewinnbringend nutzen. Unter der aktuellen Regierung von Michel Temer sind alle Prozesse zur Landrückgabe zum Erliegen gekommen. Der neue Landwirtschaftsminister ist der größte Sojaproduzent weltweit, ihm gehören etwa 400.000 Hektar Land. Nun soll die Verfassung so geändert werden, dass der Kongress darüber entscheidet, ob und wann Land zurückgegeben wird – dort hat die Agrarierfraktion aber ein übergroßes Gewicht.

Zuletzt fand in Brasília ein nationales Treffen von mehr als 4.000 Teilnehmer*innen aus 200 Ethnien statt, das größte Protestcamp in der Geschichte des indigenen Widerstands in Brasilien. Hat das etwas gebracht?

Nein. Wir wurden von der Regierung nicht zu Gesprächen eingeladen, sondern hatten mit Repressalien zu kämpfen. Gegen uns wurde Tränengas und Gummigeschosse eingesetzt.

Gibt es diese Gewalt auch im Alltag?

Es wird kein Hehl daraus gemacht, dass wir nicht erwünscht sind. Oft wird uns der Zutritt zu Supermärkten verwehrt, und an vielen Restauranttüren gibt es Hinweisschilder mit einem durchgestrichenen Indio. Wir leben von der Gesellschaft ausgeschlossen. In den letzten fünfzehn Jahren wurden 385 unserer politischen Anführerinnen und Anführer ermordet. Die, die das getan haben, kommen dabei straffrei davon.

Wie gehen die Guarani Kaiowá mit dieser Situation um?

Viele leben in überfüllten Reservaten. Wer das nicht aushält, wohnt am Straßenrand, zwischen Autobahnen und Sojaplantagen. In unserem nationalen Rat haben wir aber beschlossen, die gefährlichen Siedlungen zu verlassen und die Gebiete zu besetzen, die uns zustehen.

Und dort ist das Leben besser?

Nicht unbedingt. Wir leben ohne Strom, ohne Wasser, ohne sanitäre Anlagen in Hütten mit Plastikplanen. Flugzeuge der Farmer fliegen über unsere Siedlungen und bespritzen uns mit Pestiziden. Und wir müssen Angst haben, vertrieben zu werden. Aber wir versuchen, die unfruchtbaren Böden und verwüsteten Felder zu renaturieren, indem wir Samen aus den verbliebenen Wäldern nehmen und auf den Feldern verteilen. Das ist mühsam und langwierig. Aber auf unseren 10 Hektar kommt der Wald wieder zurück.

Was erhoffen Sie sich von Ihrer Tour durch Europa?

Das Ziel meiner Reise ist es, ein Netzwerk aufzubauen, das das internationale Agrargeschäft unter die Lupe nimmt. Außerdem müssen die Banken, die das Agrargeschäft mit Krediten unterstützen, boykottiert werden. Die Menschen sollen dafür sensibilisiert werden, wie die Produkte hergestellt werden, die sie in Europa kaufen können – sie sind genmanipuliert, vollgepumpt mit Giftstoffen und mit dem Blut unseres Volkes beschmutzt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!