Indiens Premier Modi in China: Gipfel misstrauischer Giganten
Narendra Modi besucht China. Die Erwartungen sind groß, dass die beiden Länder zueinanderfinden. Doch es gibt viel Misstrauen.

PEKING taz | Noch vor wenigen Tagen ließ es sich Chinas Staatszeitung Global Times nicht nehmen, in einem Leitartikel zum verbalen Schlag gegen Indien auszuholen. „Die Arroganz der indischen Elite und ihr blindes Vertrauen in ihre Demokratie machen es Indiens Führung unmöglich, sich in die Lage der gewöhnlichen Menschen hineinzuversetzen.“ Sie sei deshalb auch kaum in der Lage, die chinesisch-indischen Beziehungen „objektiv und rational“ zu bewerten.
Von dieser Anfeindung war am Donnerstag bei der Ankunft des indischen Premiers Narendra Modi in Chinas früherer Kaiserstadt Xi’an nicht viel zu spüren. Staatspräsident Xi Jinping wirkte geradezu herzlich, als er Indiens Regierungschef die Hand reichte. Auch Modi wirkte freundlich. Bereits wenige Stunden später stellte er Bilder von sich beim Besuch der berühmten Terrakottaarmee auf seinen Twitter-Account. „Ich wurde von den Würdenträgern sehr herzlich empfangen“, schrieb er.
Beim dreitägigen Staatsbesuchs des indischen Regierungschefs in China sind die Hoffnungen groß, dass die beiden bevölkerungsreichsten Länder nach Jahrzehnten der Feindschaft aufeinander zugehen. Auf den ersten Blick sind die Voraussetzungen besser denn je.
Der seit einem Jahr amtierende Modi hatte schon als Regierungschefs des indischen Bundesstaats Gujarat aus seiner Bewunderung für Chinas Wirtschaftsaufschwung kein Hehl gemacht. Auch die chinesische Seite ist zumindest nach offizieller Lesart um gute Stimmung bemüht: „Indien und China können gemeinsam vieles erreichen“, sagte die chinesische Außenamtssprecherin Hua Chunying im Vorfeld.
Schwelende Konflikte
So sehr die Global Times für ihre besonders nationalistischen Töne bekannt ist und keineswegs eins zu eins die Regierungshaltung wiedergibt, so gibt der Leitartikel doch deutlich zu verstehen, dass es im indisch-chinesisch Verhältnis auch weiterhin knirscht. Für Streit sorgt weiterhin der seit mehr als einem halben Jahrhundert schwelende Grenzkonflikt.
Seit dem kurzen, aber heftigen Krieg 1962 hält China ein Gebiet von Indiens Bundesstaat Jammu und Kaschmir besetzt. Delhi fordert diese Region zurück. China wiederum beansprucht eine rund 90.000 Quadratkilometer große Region im Nordosten Indiens, die Chinesen auch als Südtibet bezeichnen.
Eine Lösung scheint nicht in Sicht. Im Gegenteil: Wenige Stunden bevor Xi im vergangenen Jahr zum Antrittsbesuch in Indien eintraf, überschritten chinesische Grenzbeamte für kurze Zeit die Grenze. Ob aus Versehen oder um zu provozieren, ist bis heute unklar. Xi soll lakonisch gesagt haben: Das könne wegen der unklaren Grenzverhältnisse schon mal vorkommen.
Für Zündstoff sorgen auch wirtschaftliche Fragen. Noch vor 30 Jahren waren beide Staaten wirtschaftlich etwa gleich stark. Mittlerweile ist Chinas Volkswirtschaft mehr als viermal so groß wie die Indiens. Zwar hat sich der bilaterale Handel in den letzten Jahren auf über 70 Milliarden US-Dollar vervielfacht und soll 2015 die 100 Milliarden überschreiten. Doch der Handel ist einseitig. 2001 lag Indiens Defizit mit China noch bei rund einer Milliarde Dollar, inzwischen sind es über 38 Milliarden.
Chinas Pläne einer „Neuen Seidenstraße“, die antiken Handelswege vom Reich der Mitte über Zentralasien nach Europa wiederzubeleben, sieht Delhi mit Skepsis. Nicht nur, dass China Indien nicht mit in seine Pläne einbezieht – aus Furcht vor Chinas Dominanz wollen es die Inder auch nicht. Stattdessen setzt Modi auf ein verteidigungspolitisches Bündnis mit Japan, Vietnam und den USA – Chinas Gegnern.
Lesen gegen das Patriarchat
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ergebnis der Sondierungen
Auf dem Rücken der Schwächsten
Krieg im Nahen Osten
Definitionsmacht eines Genozids
Frauen und Krieg
Krieg bleibt männlich
Sondierung und Klima
Ein Kapitel aus dem Märchenbuch
Verhandlungen mit den Grünen
Und was ist mit dem Klima?
Grünen-Realo Sergey Lagodinsky
„Vollgas in die Sackgasse tragen wir nicht mit“