■ In neun Monaten gibt's den Euro, wenn auch zunächst nur als Rechnungseinheit. Noch vier Jahre kommt man mit Mark, Schilling oder Gulden durch. Dann warten ganz praktische Probleme Aus Brüssel Alois Berger: Wenn Mark und Lire gehen
Der Euro kommt – und alle haben irgendeine andere Angst davor. Europas Regierungen versuchen dem entgegenzusteuern und nicht nur ihre Staatsfinanzen auf Euro-Linie zu bringen, sondern auch ihre Bevölkerungen auf das Unternehmen einzustimmen. Mit ganz unterschiedlichem Erfolg.
Ab jetzt wieder einmal jeden Monat: drei Seiten Europa, koordiniert von den KorrespondentInnen und der Berliner Redaktion. Zusammengestellt hat diese Ausgabe Ralf Sotscheck in Dublin
So kompliziert hatte sich Jeff die Sache nicht vorgestellt, da muß er erst mal den Rucksack absetzen. 7,50 Euro soll die Übernachtung im Schlafsaal kosten, Frühstück inklusive. Bei der Bank in Baltimore hatte man ihm gesagt, daß in Brüssel am besten in belgischen Francs zu zahlen sei. „Wo soll ich jetzt Euro herkriegen“, fragt er etwas hilflos, „und wieviel ist das überhaupt?“ Die Japanerin neben ihm ist da schon etwas weiter: „Euro gibs nich“, grinst sie, „noch nich.“
Seit die Jugendherberge „Vincent van Gogh“ im Brüsseler Stadtteil Schaerbeek die Übernachtungspreise in Euro ausweist, dauert das Einchecken manchmal länger. „Vor allem die Amerikaner sind häufig etwas verunsichert“, erzählt der Typ an der Kasse, „die glauben, sie hätten die neueste Entwicklung in Europa nicht mitgekriegt.“ Die asiatische Kundschaft dagegen sei in der Regel bestens informiert. Am coolsten reagierten die Europäer: „Die meisten interessiert der Euro nicht die Bohne.“
Aus praktischen Gründen stellt „Vincent van Gogh“ die Rechnung dann doch in belgischen Francs aus. Wer will, kann sich die Euro-Preise auch in Dollar oder Mark umrechnen lassen. 7,50 Euro macht 14 Mark nochwas, eigentlich nicht viel für ein Bett im Sammellager. Nur in Euro kann man vorerst nicht zahlen, was für die Jugendherberge auch besser ist, nicht nur, weil es für das neue Geld bisher weder Scheine noch Münzen gibt. Das Empfangspersonal rätselt auch noch herum, wie das Kleingeld hinterm Komma eigentlich heißt: „Centimes, glaub' ich, ja doch, Centimes.“
Offensichtlich ist in der Brüsseler Jugendherberge schon länger kein Finanzminister mehr abgestiegen, der das Mißverständnis hätte aufklären können. Centimes war zwar lange Zeit im Gespräch, verlor aber vor einigen Monaten in der Endausscheidung gegen den langweiligeren Eurocent. Wer den Eurocent nicht ehrt, ist des Euro nicht wert. Wie sich das schon anhört.
Einige Finanzminister hätten den Euro übrigens gerne „Florin“ getauft, aber der Mehrheit der eher schwerfälligen Herren klang das zu südländisch. Gegen den nicht ganz so eleganten Ecu stemmte sich vor allem der deutsche Bundeskanzler, weil Ecu französisch ist. Dabei hätte das den Vorteil gehabt, daß der Ecu bereits existiert und außerdem ziemlich genau dem Wert des künftigen Euro entspricht. Wer also wissen will, was ein Euro kostet – Jeff aus Baltimore beispielsweise –, kann im Börsenteil der Zeitungen unter Ecu nachschauen: genau 1,97689 Mark oder 40,7893 belgische oder 6,62869 französische Francs.
Die Eurobeamten in Brüssel und Luxemburg bekommen ihr Gehalt schon seit Jahren in Ecu überwiesen, dessen Wert in einem komplizierten Schlüssel aus allen EU-Währungen errechnet wird. Als überzeugte und zudem überaus gut bezahlte Europäer verkneifen sie sich das Meckern über den Wechselstreß. Denn am Bankschalter müssen die Ecu dann jedesmal in Mark oder Francs umgerechnet werden, weil es für den Ecu weder Münzen noch Scheine gibt.
Dieses Schicksal wird auch den Euro ereilen. Vom 1.1. 1999 bis zum 1.1. 2002 wird der Euro nur als Buchwährung existieren. Dann wird man zwar ein Euro- Konto eröffnen, einen Mercedes gegen Euro bestellen und bei „Vincent van Gogh“ einen Schlafplatz mit Euro bezahlen können. Aber das geht nur mit Scheck oder Kreditkarte. Erst ab 2002 kann man den Euro in die Hand nehmen und zum Bäcker tragen. Ein paar Wochen später werden die nationalen Währungen dann aus dem Verkehr gezogen.
Normalbürger werden bis dahin ganz gut mit der Mark durchkommen. Geschäftsinhabern aber empfiehlt Torsten Slink vom Deutschen Industrie- und Handelstag, sich schneller auf den Euro gefaßt zu machen: „Am Montag, dem 4. Januar 1999, werden sicher bereits ein paar besonders fortschrittliche Kunden im Laden stehen, das Scheckheft ziehen und in Euro bezahlen wollen.“
Den Scheck kann man dann zwar noch bei jeder Bank gegen Mark eintauschen, aber hinter den Kulissen wird derzeit heftig gestritten, wer die Kosten dafür übernehmen soll. Verbraucherschützer, Europaparlamentarier und auch der zuständige EU-Kommissar Yves-Thibault de Silguy fordern von den Banken, den Umtausch gratis zu erledigen.
Doch da gibt es Widerstände. Zwar setzt sich bei den Banken und vor allem den Sparkassen die Einsicht durch, „daß wir uns unter dem öffentlichen Druck dem kostenfreien Umtausch von Euro nicht entziehen werden können“, aber ganz allein wollen sie den enormen Aufwand auch nicht tragen. Deshalb wird zur Zeit fieberhaft nach Möglichkeiten gesucht, die Kosten über andere Gebühren auf die Kunden abzuwälzen. Genaues kann man noch nicht sagen, außer daß es in jedem Land andere Regelungen geben wird.
Vor allem die Regierungen legen großen Wert darauf, daß Brüssel nicht allzu viele Vorschriften macht. Schließlich hat jedes Land seine ganz besonderen Probleme. In Österreich beispielsweise leben viele kleinere Sparkassen bis zu 25 Prozent von den Wechselgebühren, die die ausländischen Touristen beim Skiurlaub oder in der Sommerfrische zurücklassen. Wenn Ende dieses Jahres die Wechselkurse aller Euro-Teilnehmer eingefroren werden, fallen die Kursschwankungen, etwa zwischen Mark und Schilling, weg und damit auch die Begründung für die Wechselgebühren.
Aber die Sparkassen wollen auch leben, und deshalb setzt sich die Regierung in Wien für sogenannte Handling-Abgaben ein, die bei jedem Umtausch fällig werden. Ab 2002, wenn auch in Österreich nur noch mit Euro bezahlt werden kann, ist auch damit Schluß. Aber bis dahin fällt den Banken und Sparkassen sicher etwas Neues ein.
Die Bundesregierung hätte die Währungsumstellung übrigens am liebsten als Big Bang inszeniert. Am 1.1. 2002 wären alle Konten auf Euro umgestellt, das neue Geld ausgegeben und die ganze Wirtschaft mit einem Schlag in die neue Währung überführt worden. Ein halbes Jahr lang sollten dann nach Bonner Vorstellungen noch die alte und die neue Währung nebeneinander gelten.
Aber damit konnten sich Kohl und Waigel nicht durchsetzen. Die EU-Kommission und die Mehrheit der künftigen Euro-Länder will aus Kostengründen die Zeit möglichst kurz halten, in der Euro- und D-Mark-Scheine gleichzeitig in Umlauf sind, und uns dafür vorher langsam an den Euro gewöhnen. Ab Anfang nächsten Jahres werden deshalb Bundesschatzbriefe nur noch in Euro ausgegeben. Unternehmen können ihre Buchhaltung und ihren bargeldlosen Zahlungsverkehr bereits in Euro abwickeln, was vor allem für Betriebe mit Filialen in verschiedenen Ländern interessant ist. In Belgien oder Frankreich können sogar die Steuern in der neuen Währung bezahlt werden. Spätestens in zwei Jahren, schätzt Torsten Slink vom Deutschen Industrie- und Handelstag, werden auch Normalbürger immer häufiger mit dem Euro Bekanntschaft machen. Denn wenn Mercedes oder Siemens mit ihren Zulieferern in Euro abrechnen, wie sie das vorhaben, dann werden auch die Zulieferer versuchen, ihre Geschäftspartner zur Euro-Umstellung zu überreden.
Der Euro sickert als Phantomwährung langsam von oben nach unten in die Gesellschaft ein. Handelsketten wie Ikea wollen schon bald anfangen, alle Preise in Euro und in der jeweiligen Landeswährung auszuzeichnen. Lange bevor es Münzen und Scheine gibt, so das Kalkül, werden die Leute wissen, was ein Euro ist und was er kostet. Euroline, einer der Brüsseler Ramschläden mit dem üblichen Euro- Nippes in Blau und Gelb, bietet schon mal das nötige Hilfsmittel an. Ein Taschenrechner, kaum größer als eine Streichholzschachtel, rechnet für knapp 20 Mark die Preise von der alten in die neue Währung und zurück. „Das wird ein Massenartikel“, prophezeit Slink, „der wird bald weniger als eine Mark kosten.“
Spätestens Ende 2001 sollte ihn jeder in der Tasche haben. Denn dann beginnt die Rechnerei. Zwei Monate lang gibt's die Spreewaldgurken für 2,49 Mark oder für 1,26 Euro, das Pils am belgischen Tresen für 80 Francs oder 1,96 Euro. Das riecht nach leicht durchsetzbaren Preiserhöhungen. Die Europaabgeordnete Christa Randzio-Plath kämpft deshalb für ein Gesetz, das die doppelte Preisauszeichnung verbindlich vorschreibt: „Der Verbraucher muß kontrollieren können, daß da nicht aufgerundet wird.“
Doch ganz verhindern läßt sich das ohnehin nicht. „Die Geschäfte und Handelsketten werden schon vor der Umstellung die Preise und auch Packungsgrößen korrigieren“, meint Torsten Slink, „damit die gewünschten Euro-Preise entstehen.“ 1,29 sei psychologisch einfach attraktiver als 1,26. Die Handelsverbände klagen, daß eine durchgehende doppelte Preisauszeichnung nicht nur die Computerkassen, sondern auch die Käufer überfordern würde.
Schon jetzt müssen in einigen Ländern auf den Kassenzetteln die Preise für jeden Artikel mit und ohne Mehrwertsteuer und die Mehrwertsteuer auch noch extra aufgelistet werden. Bei zwei Währungen gebe das nur noch einen Zahlensalat. Am besten sei es deshalb, die Vorschriften knapp und die Übergangszeit möglichst kurz zu halten.
Aber das finden die Aufsteller von Zigarettenautomaten nicht so gut. Schließlich müssen sie alle Kippenschränke auf die neuen Münzen umstellen. Das dauert, und je mehr Automaten den Euro noch nicht kennen, wenn die D-Mark schon aus dem Verkehr gezogen ist, desto größer ist der Verdienstausfall der Automatenabfüller.
Doch das Mitleid mit der Branche hält sich selbst in den Unternehmerverbänden in engen Grenzen. Die Automatenindustrie werde wie kaum eine andere von der Einheitswährung profitieren, meint Torsten Slink vom Deutschen Industrie- und Handelstag. Nicht nur, daß künftig in allen Euro-Ländern die gleichen Geräte aufgestellt werden können, die Automatenindustrie gewinne auch neue Märkte dazu. Denn in Italien beispielsweise gebe es bisher kaum Zigarettenautomaten, weil die Lire-Münzen dafür ungeeignet seien. Torsten Slink: „Wenn Sie für eine Packung 20 Münzen einwerfen müssen, bricht jeder Automat bald zusammen.“
Zu den Gewinnern der Währungsunion zählt übrigens schon heute die „Vincent van Gogh“-Jugendherberge in Brüssel. Seit sie die Übernachtungspreise in Euro ausweist, haben selbst internationale Zeitungen und TV-Sender die Adresse in der Rue Traversière 8 in alle Welt verbreitet. Und immer noch kommen regelmäßig Reporter vorbei, weil sie einen lockeren Einstieg für ihre Geschichte über das dröge Thema Währungsunion suchen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen