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Berliner SzenenIn der Schlange

Höflich hallo

Er dreht sich gemächlich um und mustert den Schlaksigen

In der Kaiser’s-Filiale an der Warschauer Brücke ist nur eine von drei Kassen geöffnet. Die Warteschlange geht durch den halben Laden. Stimmen werden laut, noch eine Kasse zu öffnen, und auch sonst herrscht in der Schlange Unruhe: Der kräftig gebaute rothaarige Mann, der als Dritter in der Reihe steht, lässt sich sehr zum Ärger des Mannes hinter ihm, einem schlaksigen Blonden mit vollem Einkaufswagen, Zeit, die wenigen Einkäufe auf seinem Arm auf das Laufband zu legen.

Der Schlaksige stöhnt betont laut in Richtung des kräftiger Gebauten. Als sich der von dem Stöhnen nicht beeindrucken lässt, stöhnt der Schlaksige noch einmal aggressiver und lauter. Als der kräftiger Gebaute auch auf sein zweites, unmissverständlich demonstratives entnervtes Stöhnen nicht reagiert und auch weiterhin keine Anstalten macht, sich zu beeilen, stößt der Schlaksige seinen Einkaufswagen betont laut gegen das Laufband und ruft: „Haallooo!“

Der Kräftigere lässt sich auch davon nicht aus der Ruhe bringen, kramt umständlich einen Jutebeutel aus seiner Jackentasche, dreht sich dann gemächlich um, mustert den Schlaksigen von oben bis unten und fragt: „Sind Sie auf der Flucht? – Nein? Geht es dann vielleicht auch etwas höflicher?“ Und nach einer Pause, in der er den perplexen Gesichtsausdruck des Schlaksigen genießt: „Schon mal eine Schlange an einer Bushaltestelle in Großbritannien gesehen? – Genau. Da stehen alle, ohne zu meckern oder einander zu halloen, bis sie dran sind, egal wie eilig sie es haben.“

Der Schlaksige murmelt etwas von Parkticket und Parkverbot. Dann ist der Kräftigere an der Reihe zu zahlen und legt betont langsam Ware für Ware aufs Laufband. Als er bezahlt und alle Waren eingepackt hat, dreht er sich noch einmal um und sagt: „Hallo? Höflichkeit!“ Eva-Lena Lörzer

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