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■ In der Außen- und Sicherheitspolitik legt die neue rot-grüne Regierung einen atemberaubenden Paradigmenwechsel vorFrieden mit dem Weltpolizisten Nato

„Kontinuität, Verläßlichkeit, Berechenbarkeit, Bündnistreue.“ Natürlich sind Joschka Fischers Lieblingsvokabeln, für die der neue Außenminister in den letzten Wochen in der veröffentlichten Meinung fast einhellig gelobt wurde, das richtige Signal an Polen und andere osteuropäische Staaten, in denen es aus historischen Gründen verständlicherweise immer noch Sorgen vor einem deutschen Sonderweg gibt. Wobei wir auch hier mit Blick auf die Altlasten der vorherigen Regierung gerne genauer wüßten, was Kontinuität genauer heißt, zum Beispiel in der Vertriebenenpolitik oder bei der beschämenden Verweigerung angemessener Entschädigungen für ehemalige Zwangsarbeiter und Überlebende deutscher Konzentrationslager in Osteuropa.

Doch in Richtung Washington offenbaren Fischers Lieblingsvokabeln sowie ähnliche Äußerungen von Kanzler Schröder und Verteidigungsminister Scharping eher politische Phantasielosigkeit, Naivität, Ahnungslosigkeit und mangelnde Courage beim Vertreten bisheriger Überzeugungen. Außerdem kaschieren diese Vokabeln – zumindest rhetorisch – einen Paradigmenwechsel rot-grüner Außen- und Sicherheitspolitik von geradezu atemberaubendem Tempo. In nur vier Wochen – angefangen von der gemeinsamen Washington-Reise Fischers und Schröders – hat die neue rot-grüne Bonner Koalition scheinbar ihren Frieden geschlossen mit der Nato als neuem Weltpolizisten, die notfalls auch ohne UNO-Mandat agiert, sowie mit dem Einsatz deutscher Soldaten in diesem Rahmen. Rot-Grün hätte damit besiegelt, was Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe während der letzten vier Jahre mit einer geschickten Salamitaktik unter wohlwollender Duldung von Kanzler Kohl und bei lediglich sporadischen Bedenken von Außenminister Klaus Kinkel systematisch vorangetrieben hat.

Ist diese Entwicklung der letzten vier Wochen in der praktischen Politik der nächsten Monate und Jahre noch korrigierbar? Das Stillschweigen in den beiden Bonner Regierungsfraktionen und an der Parteibasis von Grünen und SPD gibt bislang wenig Anlaß zur Hoffnung. Jetzt rächt sich bitter, daß beide Parteien ihren Matadoren zu Beginn des Wahlkampfs im Frühjahr gestatteten, das Thema Außen- und Sicherheitspolitik als angeblich nicht von großem Wählerinteresse aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Und nun läßt man sich offensichtlich gerne von Fischers und Schröders Beteuerungen einlullen, die Zustimmung zu Nato-Luftangriffen gegen Serbien ohne Mandat des UNO-Sicherheitsrates sei eine „Notfall-Ausnahme“ und schaffe keinen Präzedenzfall; einlullen auch von den vagen Abmachungen im Koalitionsvertrag zur Stärkung von UNO und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sowie von der Beobachtermission, die die OSZE jetzt im Kosovo spielen soll. Dabei ist diese Mission – so sie überhaupt in der beabsichtigten Größenordnung von 2.000 Personen zustande kommt – eine von Natos Gnaden. Ihre Erfüllung ist abhängig von der Unterstützung durch Flugzeuge und eine Eingreiftruppe der Allianz. Scheitert das ganze Unternehmen, wird der Mißerfolg der OSZE angelastet und führt statt zu ihrer Stärkung eher zu ihrer Schwächung. Entsprechende Erfahrungen machte die OSZE in den letzten Jahren bereits in Bosnien – ähnlich wie die UNO. Fischers bisherige Absichtserklärungen zur Stärkung der Weltorganisation sind völlig unkonkret. Seine Einladung an Hochkommissarin Sadako Ogata nach Bonn zwecks Erläuterung der Flüchtlingspolitik der Weltorganisation verrät eher Hilflosigkeit und mangelnde Vorbereitung auf das Amt des Bundesaußenministers. Als ob in Bonn und auch gerade in der grünen Fraktion nicht genauestens bekannt wäre, welche Beschwerden das UN-Flüchtlingswerk über die Politik der bisherigen Bonner Regierung hat und welche Korrekturen es sich erhofft.

Gebt den neuen Leuten mehr Zeit! So lautet derzeit die gängige Reaktion auf kritische Anfragen an die neue Regierung. Doch in der Außen- und Sicherheitspolitik drängt die Zeit ungemein. Beim Nato-Gipfel zum 50. Geburtstag des Bündnisses Anfang April nächsten Jahres in Washington wird eine neue Strategie der Allianz verabschiedet. Die Vorentscheidungen über das neue Dokument sollen auf den Außen- und Verteidigungsministertagungen der Nato im November und Dezember fallen. Bei den bisherigen bündnisinternen Diskussionen drängen vor allem die USA massiv darauf, in dem neuen Strategiedokument die Option zum weltweiten militärischen Handeln der Nato auch ohne UNO-Mandat und zur Drohung mit dem Einsatz atomarer Waffen gegen sogenannte Schurkenstaaten ausdrücklich festzuschreiben.

Damit Fischer und Scharping diesen Plänen bei den Nato-Beratungen erfolgreich widersprechen, bedarf es sehr bald deutlich erhöhter Aufmerksamkeit aus den beiden Regierungsparteien sowie größeren Drucks auf die Regierung. Notwendig ist allerdings auch, daß sich die pazifistische Linke in beiden Parteien nicht länger um eine Antwort auf die Frage drückt, was geschehen soll, wenn alle nichtmilitärischen Instrumente zur Konfliktprävention versagt haben (oder wie in bislang den meisten Fällen gar nicht ernsthaft versucht wurden) und eine humanitäre Katastrophe oder ein Völkermord unmittelbar drohen. In einer derart zugespitzten Situation reicht der Verweis auf die nichtmilitärischen Instrumente einfach nicht mehr aus. Gerade weil es von Grünen und SPD in den letzten zehn Monaten seit Beginn der bewaffneten Eskalation im Kosovo keine Antwort gab – keine Vorstöße etwa zur Stationierung einer UNO-Truppe –, gelang die Relegitimierung der Nato und ihre Aufwertung zum Weltpolizisten. Es ist gut möglich, daß der Kosovo-Konflikt bereits vor dem nächsten Frühjahr wieder militärisch eskaliert oder auch anderswo in Europa ähnliche Konflikte ausbrechen. Wenn die neue Bonner Regierung nicht sehr bald alternative Vorstellungen zur militärischen Intervention durch die Nato entwickelt und diese aktiv in die internationale Diskussion einbringt, wird ihr wenig anderes übrigbleiben, als die neue Rolle der Nato als Weltpolizist auch offiziell und endgültig abzusegnen. Dann blieben alle schönen Absichtserklärungen zur Stärkung von UNO und OSZE Makulatur. Und dann wäre es auch ehrlicher, wenn sich die rot-grüne Regierung für eine Änderung der UNO-Charta und ihrer Anpassung an die neuen völkerrechtlichen Realitäten einsetzen würde. Andreas Zumach

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