piwik no script img

In Tschetschenien wird weiter geschossen

■ Rebellenführer Dschochar Dudajew lehnt Verhandlungen mit Moskau ab. UN-Bericht: Menschenrechte in Tschetschenien werden mit Stiefeln getreten

Moskau/Grosny (dpa/AFP) – Ungeachtet der von Rußland einseitig verkündeten Waffenruhe hat es gestern im Süden Tschetscheniens wieder schwere Kämpfe gegeben. Die russischen Streitkräfte hätten gestern einen Sturmangriff der Rebellen auf den Ort Orechowo zurückgeschlagen, meldete die Nachrichtenagentur Itar-TASS unter Berufung auf einen Vertreter des russischen Oberkommandos. Etwa drei Dutzend Rebellen seien getötet worden.

Man halte sich im übrigen aber strikt an den von Präsident Boris Jelzin verkündeten Waffenstillstand, versicherte das russische Oberkommando. Danach dürfen die russischen Truppen nur das Feuer eröffnen, wenn sie angegriffen werden.

Der von Moskau nicht anerkannte tschetschenische Präsident Dschochar Dudajew will erst mit Rußland verhandeln, wenn sich die russischen Truppen aus Tschetschenien zurückgezogen haben. Das sagte Dudajew gestern in einem Interview mit der aserbaidschanischen Nachrichtenagentur Turan. Er reagierte damit erstmals offiziell auf den Friedensplan des russischen Präsidenten Boris Jelzin. Jelzin hatte Dudajew am Sonntag Verhandlungen über einen Vermittler angeboten.

Auch in den Reihen der russischen Armee stößt der Friedensplan von Boris Jelzin scheinbar auf Widerstand. Der Kommandeur der russischen Truppen in der Kaukasusrepublik, Wjatscheslaw Tichomirow, schloß neue Attacken nicht aus und lehnte indirekt die von Jelzin genannten Verhandlungsziele ab. Tichomirow sagte, der Kampf gegen „die bewaffneten Banden und Terroristen“ werde fortgesetzt, solange er Kommandeur sei. Ziel russischer Verhandlungen sei, daß die Rebellen die Waffen abgeben. Der Militärchef der tschetschenischen Unabhängigkeitskämpfer, Schamil Bassajew, bezeichnete den Plan Jelzins als „Wahltrick“. Er warf Moskau vor, das tschetschenische Volk „ausrotten“ zu wollen.

Unterdessen hat UN-Generalsekretär Butros Ghali die Lage der Menschenrechte in Tschetschenien kritisiert. In einem gestern in Genf veröffentlichten UN-Bericht heißt es, die Menschenrechte würden in Tschetschenien mit Stiefeln getreten.

In Lagern seien Folterungen an der Tagesordnung, Jungen und Mädchen im Lande seien nach vielen Bombennächten traumatisiert sowie Frauen und Kinder durch Minen verkrüppelt, heißt es weiter. Doch die Täter würden nicht zur Rechenschaft gezogen. Auch dem von Moskau nicht anerkannten Tschetschenen-Präsidenten Dschochar Dudajew hielten die Hilfsorganisationen massive Menschenrechtsverstöße vor.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen