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In Grund und Boden geradelt

Der italienische Radsportler David Garbelli gewinnt die 50. „Tour de Berlin“. Doch wer gestern beim Schlusspurt am Europacenter vorne lag, blieb unter den Fahren umstritten

Als 1953 die „Berliner Vier-Etappenfahrt“ das erste Mal ausgetragen wurde, da war das Westberliner Radsportereignis so etwas wie die westdeutsche Antwort auf die Friedensfahrt. Gegenseitig versuchten die Veranstalter der Rennen sich die besten Fahrer aus Westeuropa abspenstig zu machen, um das jeweils eigene Rennen ein wenig aufzuwerten. Diese Zeiten gehören spätestens seit der Neuorganisation des Radsportes der Vergangenheit an. Die Friedensfahrt hat sich den Profis geöffnet, während das in „Tour de Berlin“ umbenannte Mehretappenrennen dem Amateursport treu geblieben ist, mithin eine U 23-Veranstaltung geworden ist.

In diesem Jahr nun wurde die Berliner Mehrtagesfahrt zum 50. Mal ausgetragen, und zum ersten Mal ging es um Punkte für die UCI-Weltcupwertung für U 23-Fahrer. Teams aus 28 Ländern bewarben sich beim veranstaltenden Berliner Radsportverband um die Teilnahme. Zugelassen wurden letztlich Mannschaften aus zehn Nationen, darunter die Italiener, die die Tour dominierten wie selten ein Team in der Vergangenheit. Vor allem David Garbelli wusste zu gefallen. Der Fahrer aus dem italienischen Nationalteam gewann nach insgesamt 595 Kilometern die Gesamtwertung, nachdem er im Zeitfahren auf der Havelchaussee die Konkurrenz in Grund und Boden gefahren hatte. Vier der fünf Etappen gewannen die Fahrer in den blauen Trikots, die ersten vier Plätze der Gesamtwertung nahmen ebenfalls Azurri ein. Lediglich auf der Schlussetappe ließen die Italiener den Deutschen den Vortritt.

Doch wer am Pfingstmontag vor dem Europacenter als erster über den Zielstrich gefahren ist, war lange nicht klar. Eric Baumann, der von der Jury auf den dritten Platz gesetzt wurde, war stinksauer: „Ich habe eigentlich gewonnen, aber die haben ja überhaupt keine Ahnung.“ Als Sieger ließ sich Marcel Sieberg feiern. Zweiter wurde der Berliner Björn Schröder, der hinter vier Italienern bester Deutscher in der Gesamtwertung wurde.

Ob Baumann mit seiner Vermutung richtig liegt, lässt sich wohl so richtig nicht beweisen, denn ein Zielfoto wurde nicht angefertigt. Zu der unübersichtlichen Situation ist es gekommen, weil kurz vor dem Ziel eine Gruppe überrundeter Fahrer, die von einem Krankenwagen begleitet wurde, dem ansprintenden Hauptfeld vor der Nase herumfuhr. Sieberg riss die Arme hoch, fühlte sich als Sieger und hatte wohl auch ein wenig Glück, dass die Jury sich seiner Meinung angeschlossen hat.

So ging die Jubiläumstour mit einem kleinen Eklat zu Ende, was die Stimmung der Veranstalter doch ein wenig trüben dürfte. Denn so professionell, wie die Fahrer unterwegs waren – allen voran die hoch talentierten Italiener –, war die Organisation des Rennens lange nicht.

ANDREAS RÜTTENAUER

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