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In Fußballland

■ Christoph Biermann

Seltsam sind die Konjunkturen, mit denen manche Starkworte in unserer Rede auftauchen. Da werden Menschen plötzlich besonders häufig als „Schattenparker“ und „Querschwimmer“ beleidigt. Ausrufe des Erstaunens begleiten ein das englische „fucking hell“ nachahmendes „fickende Hölle“. Einige Wochen geht der Unsinn, bis Freunde überdrüssig protestieren, dann ist die Wirkung verpufft, wir machen uns auf die Suche nach Neuem, unsere Rede zu verzieren.

Pannen-Olli, Thurn und Taxis, Sir Erich und andere Kalauer – gespenstisch!

Mein momentanes Lieblingswort „gespenstisch“ stammt aus dem Fußball. Jedenfalls seit jenem späten Novembernachmittag vor fast acht Jahren, als im Münchner Olympiastadion der SV Werder beim FC Bayern gastierte. Im Mittelfeld der Tabelle dümpelten beide Teams damals herum, und viel mehr wollte für sie auch am Ende einer beidseitig ruhmlosen Saison nicht herausspringen. Das 4:3 der Norddeutschen in den bayerischen Spätherbstnebeln ist auch nur wegen des berühmten Moments in der 67. Minute unvergessen, als der Sieg zwischenzeitlich in Gefahr zu geraten schien.

Da nämlich unterlief Bremens Torhüter Oliver Reck eine Flanke und leitete ein lustiges Durcheinander und Gestochere im Fünfmeterraum ein, infolge dessen ein Münchner Angreifer den Ball an die Latte schoss. Groß war die Wucht des Schusses nicht, aber Reck irrte, der Situation so ganz und gar nicht gewachsen, herum, dass er dem zurückprallenden Ball weder ausweichen noch ihn fangen konnte. Das Leder prallte gegen die Stirn des Tormannes, der nur noch zusehen konnte, wie er zum Eigentorschützen wurde. Dann sank er zusammen gleich einem Boxer nach ordentlichem K.o.-Schlag.

Diese Szene wurde uns vom damals noch in öffentlich-rechtlichen Diensten stehenden Reporter Fritz von Thurn und Taxis übertragen, der heute nicht etwa die Reste der Abfindung vom Briefmarkenmonopol aufzehrt, sondern in der verschlüsselten Welt des Pay-TV weiterhin ordentlich seine Arbeit verrichtet. Während wir damals noch einmal in verlangsamter Wiederholung eben jenes Geschehen betrachteten, das ein wichtiges Element des Oliver Reck bis heute verfolgenden Rufs „Pannen-Olli“ ist, suchte der in diesem Moment seines Berichts schweigsam gewordene Fritz von Thurn und Taxis nach Worten, die der Situation angemessen sein könnten. Während Reck herumtaumelte und den Ball an die Birne kriegte, fand der Reporter nur eines: „Gespenstisch!“

Das übrigens sagte Fritz von Thurn und Taxis mit einem solchen Schauer in der Stimme, dass ganz offensichtlich wurde, wie sehr er sich mit der überaus peinlichen Situation identifizierte, in der Reck, der unglückliche Torhüter, da steckte. Was zweifellos sehr nett von ihm war und den guten Menschen im Reporter zeigte.

Mein momentanes Lieblingswort „gespenstisch“ hat, wie diese umständlichen Ausführungen gezeigt haben mögen, also eine ganz eigene, unverwechselbare Farbe. Gespenstisch ist es demnach nicht selten auch, den Ausführungen von Teamchef Erich Ribbeck zu diversen Aspekten der von ihm betreuten Nationalmannschaft zu lauschen. Dabei soll hier besonders auf jene Momente in den Pressebefragungen des Sir hingewiesen werden, in denen der gelernte Trainer sich selbst nicht mehr zuhört. Fraglich ist, ob er sich da mit den Fragen langweilt oder mit seinen Antworten. Jedenfalls verliert Ribbeck ganz offensichtlich den Faden, weiß das aber durch einen nachdenklichen Blick in die Ferne aufzufangen, der dem Beobachter das überraschende Auftauchen ungewöhnlich wichtiger Gedanken suggeriert. Dann kommt aber leider nur ein Stotterer. Das ist wahrhaftig gespenstisch.

In den nächsten Tagen wird dies Phänomen ganz bestimmt wieder zu beobachten sein, etwa wenn es zum Spiel nach Finnland geht. Dort ist auch der Kalauer über den gespenstischsten Publikumserfolg diesen Jahres angesiedelt, die sogenannte Sonnenfinsternis. Vorgetragen wurde der Witz im zweifellos völlig gespenstischen ARD-Fernsehgarten an einem Sonntag Vormittag vom stets gespenstischen Max Schautzer. „Was heißt Sonnenfinsternis auf Finnisch?“, fragte der beliebte Moderator. „Hel-Sinki.“ – Gespenstisch!

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