piwik no script img

In Die Architektur ist Die jüngere Geschichte Hamburgs eingeschrieben. Nun will ein investor die Schilleroper abreißenWas wird aus einer Stadt, die ihre Geschichten abreißt?

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Als ich einmal von Altona in den Hamburger Osten gezogen bin, da war das etwas, das andere nicht verstehen konnten. Das ist auch heute noch so. Ich wohne in Eilbek, und es kommt öfter vor, dass, wenn ich das sage, Leute, die seit zwanzig Jahren in Hamburg leben, mich fragen, wo das ist. Am Stadtrand etwa?

Am Stadtrand ist das nicht, es liegt nur dort, wo 1943 der Feuersturm tobte. Übrig blieb nur sehr, sehr wenig, fast nichts. Deswegen stehen hier im Hamburger Osten nicht mehr viele alte Häuser. Deswegen ist um mich herum alles mit dreistöckigen Rotklinker-Genossenschaftshäusern bebaut. Es sieht hier aus wie da. Ich habe mich dran gewöhnt. Ich wohne gern hier. Es ist nicht schick. Es ist nicht exklusiv.

Die jüngere Hamburger Geschichte ist auf diese Art in die Architektur eingeschrieben. Von vor dem Krieg ist hier nichts mehr zu finden. Kaum. Das gefällt den meisten Leuten aber nicht. Sie wollen in einer historischen Altstadt leben. Sie wollen Dielenboden, hohe Decken, Stuck. Auf so eine Art Wohnung ist man stolz. Da stellt man gern den Ikea-Tisch rein, die Flohmarkt-Möbel, die Designer-Stehlampe, hängt den jungen Künstler an die Wand. So wohnt man gern, in Berlin, Hamburg, München, Freiburg und Kiel.

Weniger interessiert ist man an historischen Gebäuden, in denen man nicht wohnt. Obwohl historische Gebäude doch anscheinend so wichtig sind, für die Umgebung, für die Richtigkeit des Stadtteils. Was macht eine Stadt aus, was macht sie interessant? Warum ist es wichtig, etwas Altes zu erhalten? Weil es alt ist? Weil wir Altes mögen? Weil wir romantisch sind, nos­talgisch? Weil wir gern in Häusern wie Weihnachtskalendern wohnen?

Ich wohne in einem Haus, das nicht sehr alt ist, mit Teppichboden und gar nicht hohen Decken. Mir ist diese Art des Wohnens nicht wichtig. Mich interessiert kein Dielenboden und kein Stuck. Ich bin ein nüchterner Mensch. Aber mich interessiert Architektur. Es ist für viele unverständlich, warum man alte Gebäude, die seit vielen Jahren verfallen, und die scheinbar nichts „Hübsches“ an sich haben, für viel Geld erhalten sollte. Es wohnt doch keiner in diesen Gebäuden. Sie haben ja gar keinen Stuck an der Decke. Keine Kringel, keine Engel an der Fassade und keine Sprossenfenster. „Abreißen, das alte Ding!“, heißt das.

Und es ist ja auch schwer, Verständnis für diejenigen aufzubringen, die so ein altes Ding nur erhalten wollen, wegen einer historischen Stahlskelettkonstruktion. Darunter stellen sich viele Menschen einfach nichts Hübsches vor. Für eine Stahlskelettkonstruktion hat kaum jemand ein Herz, auch wenn sie vielleicht die letzte ihrer Art in Europa ist.

In Hamburg soll die alte Schilleroper abgerissen werden, so will es der Investor, weil er das Gebäude für marode hält oder marode halten will, es steht seit so langer Zeit ungenutzt herum und sieht überhaupt nicht hübsch aus. Aber es steht auch seit 2012 unter Denkmalschutz, dieses runde Zirkusgebäude, in dem 1891 die Akrobaten durch die Luft flogen, in dem später Hans Albers sang und das durch eine Brandbombe im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt wurde.

Die Schilleroper kann viele Geschichten erzählen, Schweine sollten drin gezüchtet werden, Kriegsgefangene lebten darin. Abreißen und neu bauen will der Investor, eine „Befreiung aus den Denkmalschutz“ erlangen. Wohnungen, Büros und Ladenflächen will er bauen. Er ist ein Investor. Was interessiert ihn Geschichte? Was interessiert ihn eine Stahlskelettkonstruktion? Was interessieren ihn uralte Zirkusgeschichten, die Oper, der Krieg? Büros und Ladenflächen, das interessiert ihn. Das hat einen materiellen Wert, Denkmalschutz einen immateriellen.

Aber was wird aus einer Stadt, die ihre Geschichten abreißt? Und wem gehören diese Geschichten? Den Investoren?

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr neuer Roman „Das Dorf“ erscheint im August bei Rowohlt Berlin.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen